
10 Jahre nach dem Textilfabrik-Einsturz in Bangladesch: Was hat sich getan?
Julia Schwamborn
Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in der Nähe der Hauptstadt Dhaka jährt sich zum zehnten Mal. 1’138 Menschen kamen ums Leben. Was hat sich seither in der Textilindustrie getan? Weniger als gedacht.
Eine Katastrophe sondergleichen, die 1’138 Menschen das Leben und mehreren Tausend die Existenz kostete: Als das achtstöckige Gebäude einstürzte, von denen laut bangladeschischem Innenministers drei illegal errichtet worden waren, verschaffte sich der eklatante Missstand in der internationalen Textilindustrie Gehör. Der Einsturz führte der Welt vor genau zehn Jahren vor Augen, unter welchen Umständen Kleidung produziert wird.
Ein Abkommen als direkte Folge
Das bislang düsterste Kapitel in der Geschichte der Bekleidungsindustrie führte im Mai 2013 zum Abkommen über Brand- und Gebäudesicherheit, dem «Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh». Der Accord habe die Sicherheit in den Textilfabriken Bangladeschs wesentlich verbessert, schreibt Public Eye in einer Reportage. 2018 wurde das Abkommen um weitere drei Jahre verlängert, Ende Mai 2021 lief es aus. Seit dem 1. September 2021 ein neues, internationales Abkommen in Kraft.
Nach dem Unglück wurde eine Kampagne initiiert, welche betroffenen Familien zu einer gerechten Entschädigung verhelfen sollte. Die Kampagne forderte Modeunternehmen und Einzelhändler immer wieder dazu auf, über wohltätige Spenden hinauszugehen und konkrete Massnahmen zu ergreifen. «Um sicherzustellen, dass die Familien der Verstorbenen nicht in noch grössere finanzielle Notlage gedrängt würden und dass die Tausenden von Verletzten die notwendige medizinische Versorgung erhalten», erklärt Public Eye.
Als Ergebnis dieser Kampagne und auf Druck von Regierungen und internationalen Organisationen, sei es zu Verhandlungen gekommen. Überlebende hätten jedoch nur geringe Beiträge erhalten. Die Behandlungskosten der Verletzten sei nicht vollständig gedeckt worden. Die Gesamtsumme, die Überlebende und Angehörige von Toten in den letzten zehn Jahren erhalten haben, beträgt laut der lokalen Zeitung Dhaka Tribune weniger als 40 Millionen US-Dollar.
«Dank des Bangladesch-Accords hat sich die Sicherheit in den Textilfabriken in den letzten zehn Jahren wesentlich verbessert: 1’600 Fabriken sind sicherer geworden, in denen 2.5 Millionen Textilarbeiter:innen beschäftigt sind», so Elisabeth Schenk von Public Eye auf Anfrage.
Und ganz grundsätzlich, so Elisabeth Schenk, habe sich das Problembewusstsein der Konsument:innen zum Positiven verändert. Sie verlangten immer stärker nach sauberer, also ethisch produzierter Kleidung.
Welche in der Schweiz tätigen Unternehmen haben aktiv etwas unternommen, welche nicht?
Das erste Abkommen über Brand- und Gebäudesicherheit wurde von Tally Weijl unterschrieben. Das nachfolgende dann auch von Coop, Migros und Triumph. Seit letzter Woche sei auch Mammut dabei. «Chicorée, Intersport, Manor und Zebra und weitere Schweizer Modeunternehmen, aber auch internationale Unternehmen wie IKEA und Levis weigern sich jedoch nach wie vor, den Internationalen Accord zu unterzeichnen», so Elisabeth Schenk von Public Eye auf Anfrage.
Was kann die Schweizer Politik konkret gegen den immer noch herrschenden Missstand unternehmen?
Die EU hat mit ihrer Textilstrategie ein Exempel statuiert, wie der Druck auf Arbeitsbedingungen und das ökologische Bewusstsein der Textilindustrie verstärkt werden soll. Die Schweiz ist einer solchen Strategie bislang nicht nachgekommen.
Im Nationalrat ging im vergangenen Juni eine Interpellation ein, die eine solche auf den Tisch bringen soll. Der Bundesrat antwortete zwei Monate später darauf: «Im Bereich der Textil- und Bekleidungsindustrie sind die Achtung der Menschenrechte, die Gleichstellung der Geschlechter und die Bekämpfung der Kinderarbeit für den Bundesrat von grosser Bedeutung. Die arbeits- und menschenrechtliche Situation ist in diesem Sektor tatsächlich leider oft prekär». Trotz der Stellungnahme des Bundesrats ist die Interpellation im Rat noch immer hängig.
Baseljetzt-Redakteurin in Bangladesch
Im März 2022 war ich in Bangladesch und wollte mir einen Eindruck über die vorherrschenden Arbeitsverhältnisse machen. Dies gestaltete sich jedoch schwierig, denn in die grossen Textilfabriken ausserhalb von Dhaka wird kaum ein:e Ausländer:in reingelassen. Schon gar nicht mit Kamera.
In Dhaka selbst wird offen mit der Produktion umgegangen. Fragt man die Arbeiter:innen vor Ort, wird oft als erstes darauf hingewiesen, dass die Textilien nur für den Bangladeschischen Markt vorgesehen seien und nicht nach Übersee verkauft würden. Die Antworten wirken oft orchestriert. Ob man ihnen Glauben schenken will, sei dahingestellt. Sicher ist jedoch, dass auch in den frei zugänglichen Produktionsstätten oft nur die ärmsten der Armen und Kinder arbeiten. Von Sicherheitsstandards kann kaum die Rede sein.
Tierkadaver, von denen die Haut für die Gerberei abgezogen werden, liegen gehäuft bei 38 Grad in der Sonne. Den Geruch kannst du dir dazu denken. Gefärbt wird das Leder mit Farbstoffen, welche ohne Mund- und Nasenschutz aufgesprüht werden. Bei glühender Hitze spannen Kinder und Jugendliche das Leder auf die Flachdächer.
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Cabbage
Ich bin mir nicht sicher, dass die Farbstoffe das giftigste sein sollen. Der eigentliche Gerbvorgang wird heute meistens mit Chromsalzen bewerkstelligt (3wertiges Chrom), das mässig giftig ist, aber das Arbeiten in offenen Behältern unter tropischer Sonne führt dazu, dass sich das Chrom-III in Chrom-VI umwandelt, und dieses ist krebserregend. Selbstredend keine Schutzmassnahmen (auch der Mann auf der Foto der Abfallhalde geht barfuss durch den Schlunz). Bon appétit!