
8 Jahre für Eltern nach Tötung von behinderter Tochter
Baseljetzt
Das Bezirksgericht Bremgarten AG hat am Freitag die Eltern eines dreijährigen Kindes der vorsätzlichen Tötung schuldig gesprochen. Sie hatten im Mai 2020 ihre stark behinderte Tochter getötet. Das Gericht verhängte Freiheitsstrafen von je acht Jahren.
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Sie können ans Obergericht des Kantons Aargau weitergezogen werden.
Am Abend des 6. Mai 2020 hatten die Beschuldigten in Hägglingen AG ihre zerebral schwer behinderte dreijährige Tochter mit Ecstasy im Schoppen betäubt und anschliessend durch Bedecken der Atemwege erstickt. Ein paar Monate zuvor hatten sie erfolglos versucht, das Kind mit Schlafmittel zu töten.
Das Gericht sprach die 32-jährige Frau und den 34-jährigen Mann zusätzlich wegen versuchter vorsätzlicher Tötung schuldig. Der Mann, der das Ecstasy besorgt hatte, erhielt ausserdem eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 110 Franken wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Die aus Deutschland stammenden Eltern müssen die Schweiz nach Verbüssen ihrer Strafen für zehn Jahre zu verlassen.
Die 52-jährige Grossmutter des Kindes wurde vom Vorwurf der Gehilfenschaft freigesprochen. Das Gericht sprach ihr Genugtuung und Haftentschädigung zu. Sie habe zwar nicht genug getan, um ihre Tochter und deren Partner von der Tat abzuhalten, sagte die vorsitzende Richterin. Dies sei aber «allenfalls von moralischer, aber nicht von strafrechtlicher Relevanz».
Gericht muss Tat juristisch einstufen
Generell sei es nicht am Gericht, «einen ethisch-moralischen Diskurs darüber zu führen, was ein lebenswertes Leben ist», sagte die Richterin bei der mündlichen Begründung der drei einstimmigen Gerichtsentscheide. Das Gericht habe das Gesetz anzuwenden und die Tat juristisch einzustufen. Das Gesetz basiere darauf, dass jedes menschliche Leben gleichwertig und gleichermassen schützenswert sei.
Das Gericht anerkannte, dass die Eltern mit ihrem schwer kranken Kind viel durchgemacht hätten. Es sei nachvollziehbar, dass sie an Grenzen gestossen und am Ende ihrer Kräfte gewesen seien, dass sie Verzweiflung, Frust und Wut empfunden hätten. Nicht nachvollziehbar jedoch sei, dass sie nicht mehr Unterstützung angenommen und stattdessen das Kind getötet hätten.
Weder Mord noch Totschlag
In der Qualifikation der Tat folgte das Gericht weder der Anklage noch der Verteidigung. Die Anklage hatte eine Verurteilung wegen Mordes und ein Strafmass von 18 Jahren gefordert. Das Kind sei den Eltern lästig gewesen, sie hätten es loswerden wollen.
Die Verteidiger hatten argumentiert, die Eltern hätten ihre Tochter aus Liebe und Mitleid von seinem Leiden erlösen wollen. Sie hätten unter einer schweren seelischen Belastung gehandelt. Sie plädierten auf Totschlag und teilbedingte Freiheitsstrafen von drei Jahren. Beide Argumentationen überzeugten das Gericht nicht.
Voraussetzung für Totschlag sei eine grosse seelische Belastung im Sinne eines länger anhaltenden chronischen seelischen Ausnahmezustandes aus dem es scheinbar keinen anderen Ausweg als die Tötung gebe. Die sei im Sinne des Gesetzes nicht gegeben gewesen – auch wenn das Gericht einen grossen Leidensdruck und Ausnahmezustand der Eltern anerkenne.
Anderseits liege auch die für die Mordqualifikation erforderliche besondere Skrupellosigkeit nicht vor. Die Beschuldigten hätten glaubhaft dargelegt, dass sie für ihre Tochter einen schönen Tod wollten und darauf vertrauten, dass dies mit Ecstasy möglich sei. Es gebe keine Beweise für einen qualvollen Tod des Kindes.
Zwar könnte auch die Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern Indiz sein für skrupelloses Vorgehen. Von entscheidender Bedeutung seien aber die Beweggründe zu einer Tat. Nach Überzeugung des Gerichts seien die Beschuldigten zwar nicht mit der Betreuung des Kindes überfordert gewesen, wohl aber mit den Emotionen, welche die Situation auslöst habe.
Geringe Rückfallgefahr
Ein Tötungsdelikt zieht eine Landesverweisung nach sich. Das Gericht stufte jedoch die Rückfallgefahr bei beiden Beschuldigten als gering ein. Es erachtete deshalb eine Landesverweisung von zehn Jahren als angemessen. Die Staatsanwältin hatte 15 Jahre gefordert, die Verteidiger einen Verzicht beantragt. (sda/jwe)
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Felice
☹️
pserratore
Viel zu wenig☹️