Am «Bahnhof der Schmetterlinge» kommen sich Natur und Industrie in die Quere
©Bild: Lucky Film GmbH / Montage: Baseljetzt
Dok-Film
Basel-Stadt

Am «Bahnhof der Schmetterlinge» kommen sich Natur und Industrie in die Quere

29.08.2023 17:57 - update 30.08.2023 08:57

Lars Franzelli

Was soll der alte Badische Rangierbahnhof in Basel künftig sein, eine Drehscheibe für Güter oder ein Naturschutzgebiet? Der Film «Bahnhof der Schmetterlinge» erzählt die Story aus verschiedenen Perspektiven.

Schmetterlinge, Bienen und Insekten – sie haben in den vergangenen 40 Jahren den stillgelegten Rangierbahnhof der Deutschen Bahn zurückerobert. Weil viele seltene Pflanzen und Insekten auf dem Areal wohnen, wir er als Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung eingestuft.

«Bahnhof der Schmetterlinge» ist ein politischer Dok-Film, der die Geschichte des Areals erzählt, welches bald dem Gateway Basel Nord weichen soll. Der Gateway ist ein Umschlagplatz für Container mit Rhein-, Schienen- und Strassenanschluss, welcher die Verkehrslage verbessern und zur Energiewende beitragen soll.

Nach dem Ja der Basler Stimmbevölkerung warten die Beteiligten noch auf grünes Licht vom Bund. Das Regisseuren-Duo Daniel Ballmer und Martin Schilt erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven – und gibt den Tieren und Pflanzen eine Stimme. Wir haben Ballmer und Schilt zum Film befragt.

Baseljetzt: Wie seid ihr dazu gekommen, einen Film über dieses Thema zu drehen?

Martin Schilt: Wir haben einen grossen Film (Anm: die Hüter des Mikrokosmos, Arbeitstitel) über Insekten und das Insektensterben in Planung und haben uns deshalb intensiv mit der Welt der Insekten beschäftiget. Dadurch sind wir auf einen der wichtigsten Trockenstandorte der Schweiz beim alten Badischen Rangierbahnhof gestossen. Dort haben wir eine Art Trainingslager eingerichtet und geübt wie wir die kleine Welt der Insekten auf die grosse Leinwand bringen können. Dann haben wir plötzlich gemerkt: Hier findet ja eigentlich auch ein spannender Konflikt statt und diese Geschichte können wir erzählen.

Was hat euch an diesem Thema fasziniert?

Martin Schilt: Mich faszinierte der scheinbaren Konflikt zwischen den berechtigen Interessen für einen Hafen und dem berechtigten Interesse für die Bewahrung eines Naturschutzgebietes, welches in den letzten 40 Jahren entstanden ist. Es war spannend herauszufinden, ob es bei diesem Konflikt tatsächlich nur ein Entweder-oder gibt – oder ob es etwa unerkannte Muster gibt, die ein Nebeneinander ermöglichen.

Daniel Ballmer: Ebenfalls spannend ist, dass sich zwei Wegnetze gegenüberstehen, die ähnlich aufgebaut sind. Zum einen die Güterverkehrsnetze quer durch Europa mit Puffer, Ruhezonen und Umlageflächen. Und gleichzeitig die Wege der Tiere und Pflanzen, die genau auf das Gleiche angewiesen sind. Wir haben also unsere eigene, menschengemachte und gleichzeitig eine ökologische Infrastruktur – und die müssen aneinander vorbeikommen.

Zusätzlich interessant ist, dass die politische Diskussion gar nicht entlang der gewohnten Grenzen links-rechts oder liberal-konservativ verliefen, sondern Vertreter:innen aller Lager mit unterschiedlichen Argumenten auf beiden Seiten standen.

Am «Bahnhof der Schmetterlinge» kommen sich Natur und Industrie in die Quere
Auf diesem Areal soll ein neues Hafenbecken entstehen. Bild: Lucky Film GmbH

Der Gateway Nord ist zum einen einmal ein Wirtschaftsprojekt. Eine weitere Seite ist die komplexe Umweltperspektive: Die Wichtigkeit für die Energiewende und die Gefährdung der Biodiversität. Wie habt ihr diesen Balanceakt gemeistert?

Daniel Ballmer: Uns war wichtig, dass wir allen, die eine relevante Meinung zum Thema haben, auch die Gelegenheit dazu geben, ihr bestmögliches Argument zu geben. Wir wollten nie einen Propagandafilm machen, der sich nur auf eine Seite stellt. Dadurch haben wir sehr viele gute Antworten und Akzeptanz von allen Seiten gekriegt.

Im Film fühlt es sich nach einem Gegeneinander zwischen Menschen und Tieren an. Habt ihr dies bewusst so dargestellt und das «Zusammenleben» kritisch abgebildet?

Daniel Ballmer: Es ist natürlich so: Die Tiere sind die grossen Ungehörten. Sie konnten bisher ihre Position noch nicht von sich geben. Und wir wollten sie das erstmals sicht- und hörbar machen. Deshalb der Fokus auf sie.

Martin Schilt: Es ging uns aber weniger darum es «crashen» zu lassen und darzustellen, dass am Schluss eine Seite gewinnt. Viel mehr versuchten wir filmisch darzustellen, dass die beiden Welten viel gemeinsam haben. Netzwerke, die es bei uns Menschen gibt, gibt es auch in der Natur. Diese Parallelen wollten wir hervorheben.

Am «Bahnhof der Schmetterlinge» kommen sich Natur und Industrie in die Quere
Eine Gottesanbeterin putzt sich auf dem alten Badischen Rangierbahnhof. Bald ein Anblick der Vergangenheit? Bild: Lucky Films GmbH

Was war die grösste inhaltliche oder filmtechnische Herausforderung, mit welcher ihr konfrontiert wurdet?

Daniel Ballmer: Wir wollten bereits im 2021 mit dem Filmen der Natursequenzen anfangen, aber das Jahr war so verregnet, dass wir die meisten seltenen Insektenarten eine ganze Saison nie zu Gesicht bekamen. Wir hatten schon Angst, dass gewisse ausgestorben sind. Dann kam das Jahr 2022 und das war so schön und alle Tierarten waren da.

Martin Schilt: Ich fand zwei Aspekte besonders schwierig: Die Komplexität des Themas und die technische Herausforderung. Es ist immer eine Herausforderung komplexe Zusammenhänge im Film einfach darzustellen. Wir haben aber versucht der Komplexität nicht auszuweichen und glauben, dass sich das Publikum ein eigenes Bild dazu machen kann. Zudem haben während den Dreharbeiten auch gemerkt, dass es technisch wahnsinnig schwierig ist, die kleinen Insekten gross auf die Leinwand zu bringen. Wir wollten, dass die Menschen in die grosse Welt der kleinen Insekten eintauchen können. Das war sehr anspruchsvoll.

Beim diesem Prozess gibt es sicher viele schöne Momente. Welcher ist euch noch besonders präsent?

Daniel Ballmer: Die schönsten Momente waren für mich immer, wenn wir ein Tier und seine Verhaltensweisen während eines Drehtages besser kennengelernt haben. Dabei haben wir auch eine Tierart entdeckt, die vorher in der Nordschweiz noch nicht bekannt war: Die Spargelsandbiene. Diese kleine Wildbiene hat sich während den Dreharbeiten über die Fläche in die Schweiz ausgebreitet. Dazu haben wir sogar eine kleine wissenschaftliche Publikation geschrieben.

Am «Bahnhof der Schmetterlinge» kommen sich Natur und Industrie in die Quere
Die Blauflüglige Ödlandschrecke in einer Nahaufnahme. Bild: Lucky Films GmbH

Martin Schilt: Die Blauflüglige Ödlandschrecke spielt im Film eine wichtige Rolle. Wenn man diese braun-graue Heuschrecke sieht, ist sie nichts ungewöhnliches. Ihre Magie und Schönheit entfaltet sich erst, wenn sie losfliegt. Der Moment, als ich im Sucher das erste Mal einen Absprung in Zeitlupe hatte – und die blauen Flügel zum ersten Mal im Video sah – war magisch.

Gerade bei Wirtschaftsthemen besteht die Gefahr, dass ein Thema trocken rüberkommt. Man hat bei «Bahnhof der Schmetterlinge» das Gefühl, dass ihr euch filmtechnisch ausgelebt habt. Ist dieser Eindruck richtig?

Daniel Ballmer: Das ist goldrichtig. Wir konnten uns ausleben – was war aber auch einfach war. Zum einen haben wir natürlich die vielen schönen Natur- und Insektensequenzen. Aber nicht nur die: Ich fand auch die Container- und Güterästhetik schön. Sie bietet so viel Visuelles, dies mussten wir einfach nur hervorheben.

Martin Schilt: Dem würde ich zustimmen. Die Bewegungen der Container und wie sie aufeinandergestapelt werden, ist fast wie ein grosses Legospiel. Wie wir das aus der Luft filmen konnten und es fast zu einem abstrakten Gemälde wurde – diese Ästhetik hat mir sehr gefallen. Ich habe auf beiden Seiten mein Herz verloren: auf dem alten Rangierbahnhof und bei der Logistik der Container.

Letzte Frage: Was sollen die Zuschauer:innen dann vom Film mit in ihren Alltag nehmen?

Daniel Ballmer: Natürlich die Frage: Wie lösen wir die beiden grössten Umweltprobleme unserer Zeit, also die Klimakrise und das Artensterben. Der Film zeigt eine Diskussion auf, die wir gesellschaftlich führen müssen. Während wir diesen Film machten, wurden immer mehr grosse Industrieprojekte mit dem gleichen Argument lanciert: Um die Energiewende zu schaffen, muss man der Natur etwas wegnehmen. Das passiert aber schon seit der industriellen Revolution und hat zu grossen Problem geführt. Das ist eine Diskussion, die wir als Gesellschaft beeinflussen können und müssen. Die Zuschauerinnen sollen nach dem Film denken: Wir werden gebraucht, aber es gibt auch die Hoffnung, dass wir es schaffen können.

Martin Schilt: Das Wichtigste ist, dass wir lernen: Zwischen Natur und Menschen gibt es nicht ein Entweder-oder. Wir sind ein Teil der Natur und wir müssen das zusammendenken. Es geht nicht darum, ob ein Schmetterling oder der Mensch die höheren Ansprüche hat und schlussendlich «gewinnt». Sondern wir müssen lernen: Es ist ein komplexes System, das zusammen funktionieren muss. Nur so kommen wir zu guten Lösungen.

Den Film gibt es ab dem Donnerstag 31.08.2023 in den Kinos zu sehen. In Basel läuft er im kult.kino atelier täglich an zweimal. Zum ersten Mal am 31. August um 12:00 und 15:45. In Liestal läuft «Bahnhof der Schmetterlinge» im Kino Sputnik. Der Film soll um Weihnachten im SRF und auf 3sat gezeigt werden.

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