«Aufs Schlimmste vorbereiten»: Kaum Hoffnung für «Titanic»-Abenteurer
©Bild: Keystone
Vermisstes Tauchboot
International

«Aufs Schlimmste vorbereiten»: Kaum Hoffnung für «Titanic»-Abenteurer

22.06.2023 16:23

Baseljetzt

Den fünf Männern in dem vermissten Tauchboot «Titan» geht in ihrer lebensbedrohlichen Lage der Sauerstoff aus. Der Vorrat an Bord sollte nach Angaben der Betreiber für 96 Stunden ausreichen.

Nach Schätzungen der Suchtrupps dürfte sich dieses Zeitfenster nun geschlossen haben. Die Männer im Alter von 19 bis 77 Jahren könnten sich nur noch auf ihr Glück verlassen, sagte der Meeresforscher Simon Boxall von der Universität Southampton am Donnerstag dem Sender Sky News. Der pensionierte britische Konteradmiral Chris Parry sagte, die Überlebenswahrscheinlichkeit der Insassen sei «verschwindend gering». «Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten.»

Das Tauchboot wird seit Sonntagvormittag (Ortszeit) vermisst. Die «Titan» war mit fünf Menschen an Bord auf dem Weg zum Wrack der 1912 gesunkenen «Titanic» in rund 3800 Metern Tiefe. Etwa eine Stunde und 45 Minuten nach Beginn des Tauchgangs riss der Kontakt zum Mutterschiff ab. Unklar ist, ob das Boot noch intakt ist und wo es sich befindet. Nach Angaben des Betreibers hatte die 6,70 Meter lange «Titan» ausreichend Sauerstoff an Bord, um fünf Menschen für 96 Stunden zu versorgen.

Betreiber will nichts von Aufgeben wissen

Experten wiesen allerdings darauf hin, dass es sich um einen ungenauen Wert handle. So könnte auch jetzt noch Luft für die Insassen vorhanden sein, falls es ihnen gelungen sei, Sauerstoff zu sparen, etwa indem sie sich wenig bis kaum bewegten. «Wir wissen nicht, wie lange sie in Bezug auf den Sauerstoffgehalt tatsächlich durchhalten werden», sagte Experte Boxall dem US-Sender NBC News.

«Aufs Schlimmste vorbereiten»: Kaum Hoffnung für «Titanic»-Abenteurer
Die «Titan» bei einer Expedition im Juni 2021. Bild: Keystone

Von Aufgeben wollte der Betreiber des «Titan»-Mutterschiffs «Polar Prince» aber auch vier Tage nach dem Verschwinden nichts wissen. «Das mobilisierte Equipment ist das Beste der Welt, das leistungsfähigste der Welt», sagte Sean Leet am Mittwochnachmittag (Ortszeit) vor Journalisten im kanadischen St. John’s. Er fügte hinzu: «Wir werden bis zum Schluss an der Hoffnung festhalten.» Die Rettungstrupps verstärkten ihre Anstrengungen weiter.

Riesiges Suchgebiet

Die US-Küstenwache teilte am Donnerstagmorgen (Ortszeit) mit, ein ferngesteuertes Tauchgefährt des kanadischen Schiffs «Horizon Arctic» habe den Grund des Atlantiks erreicht. Auch ein ähnliches Gerät des französischen Forschungsschiffs «L’Atalante» werde für den Einsatz in grosser Tiefe vorbereitet.

Experte Boxall sagte, die «Titan» könne Dutzende Kilometer weit im Meer geglitten sein. «Deshalb ist das Suchgebiet so riesig», erläuterte er bei Sky News. «Die Leute gehen davon aus, dass die Tiefsee sehr ruhig ist.» Dabei gebe es einige der stärksten Tiefseeströmungen der Erde.

Öffnung für Sauerstoffzufuhr fehlt

Doch selbst wenn das Tauchboot bald gefunden würde, kann es Experten zufolge unter Wasser nicht mit frischem Sauerstoff versorgt werden. «In dieser Tiefe gibt es wirklich keine Möglichkeit, Sauerstoff hineinzubekommen», sagte der Meeresforscher Tom Dettweiler dem US-Sender CNN. «Es gibt keine Öffnung oder ähnliches, durch die Sauerstoff eindringen könnte.»

«Aufs Schlimmste vorbereiten»: Kaum Hoffnung für «Titanic»-Abenteurer
Eine Karte der US Küstenwache, welche den Atlantischen Ozean zeigt und das entsprechende Suchgebiet. Bild: Keystone

Die einzige Lösung wäre, die «Titan» so schnell wie möglich nach oben zu bringen, die Luke zu öffnen und zu den Menschen zu gelangen, betonte Dettweiler, der selbst 1985 an der Suche und dem Fund des gesunkenen Luxusdampfers «Titanic» beteiligt war. Aber das Tauchboot aus grosser Tiefe an die Oberfläche zu bringen, würde vermutlich mehrere Stunden dauern, betonte der Forscher.

Führender Experte an Bord

An Bord der «Titan» befindet sich der Forscher Paul-Henri Nargeolet (77). Der als «Monsieur Titanic» bekannte Franzose gilt als einer der führenden Experten für das Wrack des Luxusliners. Weitere Insassen sind der britische Abenteurer Hamish Harding (58), der mehrere Guinness-Weltrekorde hält, sowie der britisch-pakistanische Unternehmensberater Shahzada Dawood (48) und dessen 19-jähriger Sohn Suleman. Der fünfte Vermisste ist der Chef der Betreiberfirma Oceangate, Stockton Rush (61), der das Boot steuerte.

Ohne Sauerstoff würde den Besatzungsmitgliedern ein langsamer Tod bevorstehen, sagte der Lungenfacharzt Rainer Schädlich. «Der Prozess dauert lange, da sich der Sauerstoff langsam aufbraucht und zusätzlich CO2 durch Atmung entsteht.» Üblicherweise enthält Luft etwa 21 Volumenprozent Sauerstoff (O2). Steigt der Anteil an Kohlendioxid, sinkt der von O2. «Sinkt der Sauerstoffgehalt unter 15 Volumenprozent, wird die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zunehmend vermindert», sagte der Facharzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie und Umweltmedizin in Straelen.

Abhängigkeit von Atmung und Aktivität

Bei zunehmendem Sauerstoffmangel kommt es demnach zu Kopfschmerzen sowie zu Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, aber auch Atemnot, Verwirrtheit, Schwindel und Benommenheit bis zur Apathie. Wie schnell der Sauerstoff verbraucht wird, hängt stark von Atmung und Aktivität der Insassen ab.

«Aufs Schlimmste vorbereiten»: Kaum Hoffnung für «Titanic»-Abenteurer
Hier wurde die «Titan» auf die Expedition vorbereitet. Bild: Keystone

Oceangate bietet zahlungskräftigen Kunden eine abenteuerliche Reise – die Kosten für die insgesamt achttägige Expedition liegen bei 250’000 US-Dollar (229’000 Euro) pro Person. Die Tauchfahrt zur Titanic selbst dauert gewöhnlich aber nur einige Stunden.

Konsequenzen erwartet

Die «Titanic» war im April 1912 auf ihrer Jungfernfahrt von Southampton nach New York im Nordatlantik gesunken. Mehr als 1’500 der 2’200 Menschen an Bord starben. Die in zwei grosse Teile zerbrochenen Überreste des berühmten Luxusdampfers wurden 1985 entdeckt.

Angesichts von Berichten über schlechte Sicherheitsvorkehrungen für das vermisste Tauchboot «Titan» erwarten Experten Konsequenzen. «Es wird sicherlich eine Untersuchung nach dieser Katastrophe geben und deutlich striktere Regeln und Vorschriften werden eingeführt werden», sagte der Chef der auf «Titanic»-Ausstellungsstücke spezialisierten Firma White Star Memories, David Scott-Beddard, zu CNN. (sda/mei)

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