Befreite Hamas-Geisel: «Ich kann nicht abschliessen, bis die anderen frei sind»
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Befreite Hamas-Geisel: «Ich kann nicht abschliessen, bis die anderen frei sind»

17.01.2024 10:00 - update 17.01.2024 10:02

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Zwei Monate wurde sie von der Hamas gefangen gehalten: Nach ihrer Freilassung fürchtet Nili Margalit um das Leben der 136 verbleibenden Geiseln. In Davos GR appellierte sie an die Politik.

«Ich möchte mein normales Leben zurück und wieder arbeiten, aber ich kann nicht abschliessen, bevor die übrigen Geiseln nicht frei sind», sagte die 41-Jährige israelische Krankenschwester in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA am Rande des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos. Zwei Monate wurde sie von der islamistischen Hamas in Tunneln in Gaza festgehalten. Sie zählt zu den ersten Hamas-Geiseln, die nach ihrer Freilassung in die Schweiz reisten.

«Ich sollte nicht hier sein, ich hätte nicht entführt werden dürfen, ich bin eine einfache Person aus einer kleinen ländlichen Siedlung», sagte sie mit niedergeschlagenem Gesicht und Tränen in den Augen.

«Meine Pflicht zu kämpfen»

Was sie antreibt, ist die Hoffnung, dass auch die verbleibenden entführten Geiseln vom Überfall der palästinensischen Hamas am 7. Oktober auf Israel freikommen. «Es ist meine Pflicht, für sie zu kämpfen.»

Am WEF richtete Margalit einen emotionalen Appell an Spitzenpolitiker:innen und Vertreter:innen von einflussreichen Organisationen: Diese sollten alles in deren Macht Stehende tun, damit das seit über hundert Tagen andauernde Martyrium der Geiseln endet. Die Vereinigten Staaten, Katar und alle in Davos «müssen eine Seite im Konflikt wählen».

«Bin keine Politikerin und keine Diplomatin»

Dieselbe Botschaft will auch der israelische Präsident Isaac Herzog am WEF verkünden. Er reist am Mittwoch mit einer Delegation von Angehörigen von Geiseln, die sich noch immer in den Händen von Hamas-Kämpfern befinden, an.

Politische Forderungen äusserte die Freigelassene Margalit in Davos nicht. «Ich bin keine Politikerin und keine Diplomatin», sagte sie. «Ich kann der Schweiz nicht vorschreiben, was der beste Weg wäre.»

«Nachbarn bei lebendigem Leib verbrannt»

Margalit wurde am 7. Oktober aus ihrem Zuhause von Hamas-Kämpfern in der Kommune Nir Oz entführt. Terroristen hätten 40 Menschen aus ihrem 400-Seelen-Ort getötet – darunter ihren Vater – und 71 weitere verschleppt. Es seien Freunde, Nachbarn und Bekannte gewesen, sagte die gelernte Kinderkrankenschwester. «Ich habe gesehen, wie Nachbarn bei lebendigem Leib verbrannt wurden.»

«Weiss nicht, warum ausgerechnet ich wieder freigelassen wurde»

Am 30. November kam sie während eines von den USA und Katar vermittelten Waffenstillstands zwischen der Hamas und Israel frei. «Ich weiss nicht, warum ich entführt, und warum ausgerechnet ich wieder freigelassen wurde.» Margalit lebte zuletzt temporär in einer neuen Wohnung. «Mein Haus ist abgebrannt. Ich habe nichts mehr.»

Google-Mitarbeiterin spricht über Entführungen anstatt über KI

Ihre Bekannte Noam Peri, deren 80-jähriger Vater sich seit über hundert Tagen in Hamas-Gefangenschaft befindet, sagte, das WEF sei ein Ort, an dem über die Zukunft und Fortschritte gesprochen werde.

Wenn die Hamas den Angriff auf Israel nicht verübt hätte, würde sie vielleicht am WEF über Künstliche Intelligenz (KI) reden. Aber jetzt redet die Google-Mitarbeiterin über die Entführungen, und diese seien ein «Rückschritt» in der Welt. Sie bangt derweil weiter um das Leben ihres Vaters. Er höre fast nichts mehr und sei sehbehindert. «Er ist ein Optimist. Aber ich weiss nicht, wie lange er durchhält.»

Dramatische Zustände in Tunneln

Margalit beschrieb dramatische Zustände im Untergrund in Gaza. In den Tunneln habe es kein Tageslicht gegeben und kaum Frischluft. Es habe nicht immer frisches Wasser gegeben. Die einzige Toilette für sie und ihre 20 Leidensgenossen in der Gruppe sei einmal am Tag gespült worden. Zum Essen habe sie pro Tag eine Schale Reis und ein halbes Pita-Brot bekommen.

Die gelernte Kinderkrankenschwester kümmerte sich um die Leiden der Mitgeiseln. «So hatte ich eine Beschäftigung.» Aber es habe kaum Medikamente gegeben.

«Fürchte um Leben der anderen, wenn ich sage, was ich über Geiselnehmer denke»

Mehrere Angehörige von Geiseln und die israelische Regierung kritisierten jüngst das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Ihrer Ansicht nach war die Hilfsorganisation nicht in der Lage, den Gefangenen die benötigten Medikamente zukommen zu lassen. Margalit mochte nicht in diesen Chor einstimmen: «Ich weiss, dass die Handlungsfähigkeit des Roten Kreuzes im Gazastreifen eingeschränkt ist. Dieser wird von der Hamas kontrolliert. Verantwortlich für die Entführungen ist die Hamas.»

Neben den Konversationen mit ihren Mitgeiseln sprach Margalit auch mit ihren Entführern. «Diese wollten letztlich, dass wir alle Israel verlassen.» Mehr wollte Margalit zu ihren Peinigern nicht sagen. «Ich fürchte um das Leben der verbleibenden Geiseln, wenn ich sage, was ich über die Geiselnehmer denke.» (sda)

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17.01.2024 13:40

mil1977

Arabische Israelis stellen 21 Prozent der Bevölkerung Israels, haben dort Arbeit, sitzen mit eigener Partei im Parlament, haben Fussballvereine, etc, geniessen Verfassungsrechte.
In “Palästina” werden Menschen ermordet, wenn sie nur im Verdacht stehen, für die Israelis zu sein und Juden sitzen dort ganz sicher nicht im Parlament. Wenn es einen Apartheidstaat gibt, dann sind das die Palästinensergebiete. Und wer bezüglich Israel Worte wie “Apartheid” oder “Holocaust” benutzt, verfälscht nicht nur die Situation, relativiert den Holocaust und das südafrikanische Apartheidsregime, sondern ist auch glasklar antisemitisch.

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