«Der Vogel ist befreit»: Ein Jahr ist seit der Twitter-Klage gegen Elon Musk vergangen
©Bilder / Montage: Keystone / Baseljetzt
Kurznachrichtendienst
Unterhaltung

«Der Vogel ist befreit»: Ein Jahr ist seit der Twitter-Klage gegen Elon Musk vergangen

13.07.2023 10:05 - update 13.07.2023 11:23
Lea Meister

Lea Meister

Vor einem Jahr hat Twitter Elon Musk verklagt. Im Oktober übernahm der Milliardär dann den Kurznachrichtendienst. Ein Jahr gespickt mit vielen Kündigungen, Skandalen und ungewollten blauen Häkchen.

Ein Jahr ist es her, dass Twitter den Milliardär Elon Musk verklagt hat. Der Grund: Er soll Vertragsbruch begangen haben, indem er sich aus der Vereinbarung zur Übernahme des Kurzbotschaftendienstes zurückgezogen habe. Musk hatte zuvor angekündigt, Twitter für rund 44 Milliarden Dollar kaufen zu wollen, trat dann aber von der Vereinbarung zurück.

Twitter forderte vor Gericht, dass Musk die vereinbarte Übernahme Twitters umzusetzen habe. In der gut 60-seitigen Klageschrift forderte Twitter das Gericht dazu auf, die Übernahme anzuordnen. Musk glaube wohl, dass er es sich erlauben könne, von einem geschlossenen Vertrag einfach so zurückzutreten, das Unternehmen zu verunglimpfen, dessen Geschäft durcheinanderzubringen – und Werte von Aktionären zu zerstören.

Nach Hin und Her folgte das Ja

Im Oktober 2022 wurde das Verfahren dann überraschenderweise eingefroren. Richterin McCormick stellte die Verfahrenspause unter klare Bedingungen: Wenn Musk die rund 44 Milliarden Dollar teure Übernahme des Kurznachrichtendienstes bis zum 28. Oktober nicht abgeschlossen hat, müssten sich die Streitparteien auf einen neuen Prozess im November einstellen.

Nach längerem Hin und Her hatte sich Musk doch zu einem Kauf bereit erklärt. Voraussetzung war aber, dass er Zeit für die Finanzierung bekomme und ein Prozess abgewendet werde.

«Der Vogel ist befreit»

Ende Oktober war der Kauf dann besiegelt. Elon Musk betrat die Twitter-Zentrale in San Francisco mit einem Waschbecken. Dieses stellte er in die Lobby und postete ein Video davon mit dem Text «Let that sink in» – also im übertragenen Sinn «zieht euch das rein.» Kurz nach diesem Tweet müssen einige Angestellte, die Musks Begrüssung nicht so goutierten, den Betrieb verlassen. Auch twitterte Musk «Der Vogel ist befreit.»

Vor der Übernahme arbeiteten bei Twitter weltweit rund 7’500 Menschen. Kurz nach der Übernahme sollen es noch etwa 1’500 gewesen sein. Dies bestätigte Musk in einem BBC-Interview Mitte April. Viele seien ohne Vorwarnung aus ihren Systemen ausgeloggt worden, wie erzählt wird. Eine Gruppe verklagt Twitter gar, weil Kündigungsfristen nicht eingehalten wurden.

Kaum mehr moderierte Inhalte

Was folgten waren technische Fehler, Pannen, weitere Entlassungen und das Thema Redefreiheit, welches Musk von Beginn weg in den Fokus stellte. Profile, die aus verschiedenen Gründen für ihre Inhalte gesperrt worden waren, wurden plötzlich wieder freigeschaltet. Das prominenteste Beispiel: Donald Trump.

Seit seiner Freischaltung hat dieser aber nicht mehr getwittert, da er seinen eigenen Kurznachrichtendienst Truth Social bevorzugt. Moderation des Contents auf Twitter findet seit der Übernahme durch Elon Musk kaum mehr statt. Dies bestätigen auch ehemalige und aktuelle Beschäftigte. Die Folgen: Falschinformationen, Hassrede, rechtsextreme und sonstige extremistische Posts, die sich ungefiltert auf Twitter verbreiten.

Musk bestritt dies allerdings in mehreren Interviews. Ein weiteres Diskussionsthema ist der blaue Haken, der ursprünglich die Echtheit von Accounts markieren sollte. Was die Häkchen nie waren: käuflich.

Accounts werden nicht mehr überprüft

Plötzlich waren fast alle ursprünglich verliehenen blauen Häkchen verschwunden. Unterdessen kann jeder eines haben, der dafür bezahlt. Privatpersonen kostet dies rund zehn Euro im Monat, Unternehmen rund 1’000 Euro monatlich.

Das Hauptproblem, welches dadurch verursacht wird, ist, dass von niemandem mehr überprüft wird, ob ein Account tatsächlich echt ist. Immer wieder tauchen Fakeaccounts auf, die falsche Informationen verbreiten. Gleichzeitig werden Behörden, Ministerien oder Regierungsmitglieder mit einem grauen Häkchen gekennzeichnet, das nicht käuflich ist.

Weniger Werbeeinnahmen

Offizielle Zahlen veröffentlicht Twitter keine mehr. Marktbeobachter vermuten aber, dass die Werbeeinnahmen deutlich zurückgegangen sind, wahrscheinlich beträgt der Rückgang etwa 28 Prozent. Durch diverse Gerichtsverfahren drohen zusätzlich noch hohe Kosten.

Das mangelnde Interesse an den Twitter-Häkchen sorgt auch nicht gerade für grossen Optimismus in den Reihen der Twitter-Geschäftsführung. Gewissen Prominenten wurde das Häkchen sogar unfreiwillig verliehen. Stephen King beispielsweise wehrt sich sogar dagegen, weil er nicht als Unterstützer von Musk wahrgenommen werden will.

Das Absurde: Accounts, die wegen Hassrede gesperrt wurden und dann von Musk wieder reanimiert wurden, konnten Twitter helfen, da sie teilweise Millionen Menschen erreichen und so Millionen an Werbeeinnahmen einbringen.

Seit Mitte Mai gibt es eine Nachfolgerin für den Posten als Twitter-Chef, bzw. Twitter-Chefin: Linda Yaccarino werde sich auf geschäftliche Aufgaben konzentrieren, während er selbst für «Produktdesign und neue Technologie» zuständig sein werde, so Musk im Mai. Die Vorgeschichte: Ende 2022 liess Elon Musk die Twitter-Nutzer:innen darüber abstimmen, ob er die Spitze des Unternehmens abgeben soll. 56.3 Prozent sagten: Ja. Musk antwortete, dass er abtreten werde, sobald er «jemanden gefunden habe, der dumm genug sei, den Job zu übernehmen».

Langsam sinkendes Schiff?

Trumps neuster Streich: Er hat eine Grenze festgelegt, wie viele Tweets man an einem Tag sehen kann. Wer verifiziert ist, also für das blaue Häkchen bezahlt, sieht noch 6’000 Beiträge am Tag. Wer nicht verifiziert ist, sieht noch 600 Tweets am Tag. Bei nicht verifizierten, neuen Konten ist die Anzahl gar auf 300 täglich begrenzt. Nur zwei Stunden nach der Ankündigung stellte Musk aber schon wieder in Aussicht, die Maximalanzahl an Beiträgen auf 8’000/800/400 erhöhen zu wollen. Damit noch nicht Schluss: Einen Tag später kommunizierte er nochmals eine Erhöhung auf 10’000/1’000/500 Beiträge am Tag.

Ein Parodie-Account, der auf Twitter den Namen Elon Musk (Parodie) trägt, gab der Entscheidung des Milliardärs mit diesem Tweet dann nochmals eine neue Perspektive:

Twitter musste einiges an Glaubwürdigkeit einbüssen. Viele Nutzer:innen haben die Plattform längst verlassen und sind zu Alternativplattformen wie Mastodon gewechselt. Viele aber bleiben Twitter vorerst erhalten. Grundsätzlich funktioniert die Plattform noch, sie hat aber einen Grossteil ihres «Charmes» verloren. Elon Musk scheint allem Anschein nach nichts an seinem chaotischen Führungsstil ändern zu wollen. Gut möglich, dass Twitter ganz langsam untergehen wird.

Feedback für die Redaktion

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Kommentare

Dein Kommentar

Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise

Kommentare lesen?

Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.