
«Die Menschen wachen langsam auf»: Türken in Basel über die Proteste gegen Erdogan
Jeremy Goy
Seit der Verhaftung des Bürgermeisters Ekrem Imamoglu am 23. März brodelt es in der Türkei. Proteste richten sich gegen Präsident Erdogan und die Wirtschaftslage. Wie nehmen die türkischen Menschen in Basel die Situation wahr?
Hunderttausende Menschen versammeln sich seit Tagen immer wieder in Istanbul und fordern die Freilassung von Bürgermeister Ekrem Imamoglu. Er wurde aufgrund von Korruptionsvorwürfen inhaftiert. Der Herausforderer Erdogans weist diese als «unvorstellbare Anschuldigungen und Verleumdungen» zurück. Die Polizei wird beschuldigt, teils brutal gegen Demonstranten vorzugehen. Videos und Bilder zeigen, wie Sicherheitskräfte Schlagstöcke, Reizgas und Wasserwerfer einsetzen. In Istanbul verwendete die Polizei in den letzten Tagen sogar Geschosse.
Im Alevitischen Kulturzentrum in Basel tauschen sich türkische Mitbewohner über ihre Wahrnehmung der Situation, ihre Haltung zu den Protesten und ihre Ängste aus.
Proteste gegen langjährige Regierung
Von der Situation betroffen ist auch Duygu Cinar. Die 17-Jährige ist zwar nicht vor Ort in der Türkei, habe aber Familienmitglieder und Freunde, die in der Türkei leben. Durch die Medien habe sie mitbekommen, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche auf die Strassen gehen. «Sie protestieren für ihre eigenen Rechte. Das finde ich wichtig und richtig», so Cinar. Trotzdem habe man einen gewissen Respekt davor, auf die Strassen zu gehen. «Hier in der Schweiz müssen wir keine Angst haben. Die Menschen in der Türkei aber schon.» Um nicht erkannt zu werden, würden viele mit Masken demonstrieren. Die Menschen seien sehr engagiert, etwas ändern zu wollen.
Ein Appell für mehr Freiheit
Das Alevitische Kulturzentrum in Basel ist ein Ort, der sich mit der Förderung und dem Austausch von kulturellen, sozialen und spirituellen Themen beschäftigt. Es bietet eine Plattform für Menschen verschiedener Kulturen und Glaubensrichtungen, um miteinander in Dialog zu treten, gemeinsam zu lernen und sich gegenseitig zu bereichern.
Seyit Erdogan, Präsident des Vereins Alevitisches Kulturzentrum Basel-Stadt und SP-Grossrat, äussert sich kritisch zur aktuellen Situation in der Türkei. So finde er es nicht in Ordnung, wie man mit den Türken umgehe. «Viele unschuldige Personen wurden festgenommen.» Die aktuellen Proteste seitens der Bevölkerung findet er gerechtfertigt.
«Es muss jetzt etwas passieren»
In Bezug auf die aktuellen politischen Entwicklungen in der Türkei äussert sich Suzan Firat-Steppan, Lehrerin für alevitische Religion, mit einer klaren Einschätzung: «Es war absehbar, dass das passieren wird.» Erdogan habe nun die Möglichkeit genutzt, seinen grössten Gegner auszuschalten. Die Sympathie der Bevölkerung gegenüber Ekrem Imamoglu habe Erdogan nicht gepasst. «Die Türken lassen sich das jetzt nicht bieten.» Vor allem Studenten und Schüler würden zurzeit auf die Strassen gehen und die Proteste würden zunehmen. Unterstützung von aussen fehle aber derzeit noch, so Firat-Steppan. Die Europäische Union habe sich bisher bedeckt gehalten und sich nicht zu den Ereignissen geäussert.
Die Frage bleibt: Werden die Proteste etwas bewirken? Wie sich die Situation in der Türkei entwickeln wird, ist unklar. Es ist aber wahrscheinlich, dass sich die Protestwelle fortsetzt, insbesondere wenn die grundlegenden Anliegen der Demonstrierenden nicht ernsthaft adressiert werden.
Mehr dazu
Feedback für die Redaktion
Hat dir dieser Artikel gefallen?
Kommentare
Dein Kommentar
Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise
Kommentare lesen?
Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.
spalen
gegen autokraten! egal wo
Thanatos
Tja selber Schuld. Wenn man den Bock zum Gärtner macht…