Die neue «Only the captain speaks»-Regel an der EM entstand in der Region
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Die neue «Only the captain speaks»-Regel an der EM entstand in der Region

12.06.2024 12:08 - update 12.06.2024 16:58
Kasimir Heeb

Kasimir Heeb

An der Euro 2024 wird den Spielern eine neue Regel präsentiert. Die Idee, dass sich nur noch der Kapitän beschweren darf, kam von der regionalen Schiedsrichterkommission. Stephan Fässler spricht im Interview mit Baseljetzt über die Hintergründe.

Darum geht’s: Nur noch der Kapitän einer Mannschaft darf mit dem/der Schiedsrichter:in diskutieren, ganz nach dem bewährten Vorbild im Rugby. Sollte der Torwart die Binde tragen, darf er einen Mitspieler auf dem Feld bestimmen, der die Mannschaft vor dem/der Schiedsrichter:in vertritt. Die restlichen Spieler dürfen nicht mehr näher als etwa vier Meter an den/die Spielleiter:in herantreten und mit ihm diskutieren. Dafür soll der/die Schiedsrichter:in den Kapitänen seine Entscheidungen jeweils erläutern.

Die neue «Only the captain speaks»-Regel an der EM entstand in der Region
Für die Schweiz darf an der EM voraussichtlich nur Kapitän Xhaka mit dem Schiedsrichter diskutieren. Bild: Keystone

Diese neue Regel testet die UEFA an der Europameisterschaft in Deutschland. Baseljetzt hat mit dem Co-Präsidenten der Schiedsrichterkommission des FVNWS (Fussballverband Nordwestschweiz) gesprochen und nach Details und Hintergründen der Regel gefragt. Denn: Wer hat’s erfunden? Stephan Fässler war direkt an der Entwicklung dieser Regel beteiligt.

Baseljetzt: Wie ist man auf diese neue Regel gekommen?

Stefan Fässler: Wir von der Schiedsrichterkommission waren auf der Suche nach Wegen, um unsere Schiedsrichter:innen zu erhalten. Denn wir sahen ein Problem darin, dass die Spielleiter:innen oft während den Spielen massiv unter Druck kommen. Wir wollten den Schiedsrichter:innen also mehr Möglichkeiten zum Spielmanagement geben.

Was wollen Sie damit spezifisch verhindern?

Die neue Regel soll die Rudelbildungen verhindern und Klarheit über die Schiedsrichter-Entscheide gegenüber den Spieler:innen und Funktionär:innen vermitteln. Denn die Schiedsrichter:innen erklären ihre Entscheidungen in Ruhe den Spielführenden. Und diese erklären danach ihrer Mannschaft, was und weshalb dies jetzt passiert.

Wie kam die Idee dieser neuen Regel von der Nordwestschweiz bis an die Europameisterschaft?

Unsere Idee konnten wir nicht einfach selbstständig einführen, wir gingen also auf den SFV (Schweizerischer Fussballverband) zu. Die Schiedsrichterkommission des SFV setzte sich mit ins Boot und liess auch gleich die Kontakte zur FIFA spielen, welche ebenfalls bereits Diskussionen über diesen Regelbereich führte. Schlussendlich wurde unsere Regel praktisch eins zu eins als Testphase für die kommende Saison übernommen. (Anm. d. R.: Und diese Testphase startet an der EM im Sommer.)

Die Regel entstand aus dem Schiedsrichterdenken auf regionaler Ebene. Hat sie überhaupt Potential im Profifussball?

Ich denke, sie hat überall Potential. Denn das Spiegelbild vom Amateurfussball ist sehr oft der Profifussball. Das heisst, was dort passiert, das spüren wir auch im regionalen Fussball. Und ich denke, wenn man die Regel bei den Profis konsequent durchsetzt, wird die Akzeptanz im Amateurbereich auch viel höher sein.

Für die Profifussballer an der kommenden EM kann dies eine grosse Umstellung bedeuten. Wird es nun zu einer Kartenflut kommen?

Im Moment ist es eher so, dass eine Rudelbildung sehr viele Karten auslöst. Denn da fallen Worte und es gibt Auseinandersetzungen, die meistens mit Karten sanktioniert werden. Und die neue Regel versucht genau diese Situationen zu verhindern, da man mit dem Abstand von vier Metern keine Rudelbildungen zulässt. Wenn sich dann trotzdem ein Spieler nicht daran hält, wird der disziplinarisch bestraft.

Gibt es dabei auch einen Kulanzbereich?

Ich glaube, wenn sich ein Spieler ausserhalb der Zone aufhält, dann werden keine grossen Diskussionen mit dem/der Schiedsrichter:in entstehen. Und es ist auch nicht der Faktor «das Gras wachsen zu hören» (Anm. d. R.: schon bei den leisesten Anzeichen darauf zu reagieren), sondern erst, wenn ein Spieler eindringt und anfängt zu «pushen», also zu provozieren. In diesem Moment soll der Spieler sanktioniert werden. Aber im Grundsatz, wenn ein Spieler im normalen Ton mit dem/der Schiedsrichter:in redet und auch einmal nachfragt, gab es noch nie eine Karte.

Also geht es vor allem um das Berücksichtigen der vier Meter-Zone?

Genau, richtig.

Nimmt diese Regel nicht gewissermassen die Emotionalität aus dem Fussball?

Emotionen werden weiterhin stattfinden. Wir können und wollen sie nicht vermeiden. Aber sie sollen in einer Situation stattfinden, die auch ein Fairplay gegenüber dem/der Schiedsrichter:in bewahrt. Die Emotionen sollen in den Sport getragen werden. Ich glaube, Rudelbildungen sind nicht die Emotionen, die wir brauchen.

Und wie soll es nach der Europameisterschaft regional mit der Regel weitergehen?

Wir werden auch in eine Testphase gehen und eine Analyse machen: Was bringt die neue Regel den Schiedsrichter:innen? Was bringt sie den Vereinen? Wie verändert sich das Spiel und die Disziplin? Dabei machen neun Regionalverbände des SFV mit, bei uns wird die Regel in der Zweiten Liga regional getestet. Danach wollen wir die nächsten Schritte gehen und uns überlegen, wie und wann wir die Regel allenfalls definitiv einführen können.

Stephan Fässler und seine Schiedsrichterkommission schauen also auch schon gespannt auf die Europameisterschaft. Die neue Regel birgt auf jeden Fall Potential für die Entlastung der Schiedsrichter:innen, wenn es um starke Drucksituationen geht. Zudem sorgt sie bestenfalls für mehr Klarheit auf dem Feld. Aber: Die Regel bringt auch Gefahren mit sich, sollte sie beispielsweise von den UEFA-Schiedsrichter:innen sehr kleinlich ausgelegt werden. Auf jeden Fall können auch Fussballfans gespannt sein, wie sich die Regel aus der Nordwestschweiz an dem Turnier schlägt.

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Kommentare

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12.06.2024 17:02

vatiga

👍

0 0
12.06.2024 15:18

rothue

Hoffe Stephan Fässler, ein ehemaliger Schiri aus der Region Basel vertritt dies auch im Amateurbereich und nicht nur im Profisport. Denn die Schiris müssen vor allem im Amateurbereich geschützt werden. Im Profibereich sehe ich diese Problematik nicht so da überall Kamaras aufgestellt sind und man die Täter ersehen kann, aber bei den Freizeitkickers sieht man dies nicht. Es gibt auch keine Zeugen die die Zivilcourage haben, die Täter zu identifizieren. Also liebe Schirikommission zieht es bis nach unten durch vom Profi bis zum Bambers (extra erwähnt) und führt einen Knickekurs im Fussball ein vom kleinsten bis zum Profi. Das würde ich mir wünschen.

3 0
12.06.2024 20:44

Fast

Genau das ist unser Ziel und für den Amateurfussball haben wir das Konzept geschrieben. Das es die UEFA jetzt übernimmt, ist nicht unsere Ansporn gewesen.

2 0

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