Das Ende einer politischen Ikone: Christiane Brunner ist tot
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Verstorben
Schweiz

Das Ende einer politischen Ikone: Christiane Brunner ist tot

18.04.2025 11:50 - update 18.04.2025 15:46

Baseljetzt

Die Gewerkschafterin und ehemalige SP-Präsidentin Christiane Brunner ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Die Genferin hat die Frauenbewegung in der Schweiz geprägt. In die Geschichte eingegangen ist unter anderem ihre Nichtwahl in den Bundesrat 1993.

Brunner sei am Freitagmorgen verstorben, bestätigte der Sohn der einstigen National- und Ständerätin auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Zuerst über den Todesfall berichtet hatte das Westschweizer Radio und Fernsehen RTS.

Brunner wurde am 23. März 1947 in Genf in eine Familie in bescheidenen Verhältnissen geboren. Ihre Mutter wollte, dass sie Kassiererin wird, doch Brunner begann ein Jurastudium und erwarb das Anwaltspatent.

Als Aktivistin war sie 1969 eine der Begründerinnen der Frauenbewegung in der Schweiz. 1976 trat sie in die SP ein. Von 1981 bis 1990 sass sie im Genfer Grossen Rat, 1991 schaffte sie die Wahl in den Nationalrat.

Erster Frauenstreik 1991

National bekannt wurde Brunner als eine der Mitinitiantinnen des ersten Frauenstreiks. Dieser vermochte am 14. Juni 1991 eine halbe Million Frauen zu mobilisieren.

Brunners Engagement für die Sache der Frauen ging Hand in Hand mit ihrer Karriere als Gewerkschafterin. In dieser damals vorwiegend von Männern dominierten Welt war sie 1992 die erste Frau, die nach dem Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) (1982-89) den Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverband (SMUV) präsidierte. Von 1994 bis 1998 war sie zudem zusammen mit Vasco Pedrina Co-Präsidentin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.

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Christiane Brunner gemeinsam mit Ruth Dreifuss am Frauenstreik vom 14. Juni 2011. Archivbild: Keystone

Der «Sturm» von 1993

Politisch gesehen war Brunners Bundesratskandidatur 1993 das denkwürdigste Ereignis ihrer Karriere. Die offizielle Kandidatin der SP-Fraktion unterlag jedoch am 3. März an Francis Matthey.

Der im März verstorbene Neuenburger wurde von den bürgerlichen Parteien unterstützt, die der Sozialistin im Rennen um die Nachfolge von René Felber den Weg versperren wollten: Anstelle Brunners wählte die Vereinigte Bundesversammlung zunächst den Neuenburger National- und Staatsrat. Matthey lehnte die Wahl jedoch auf Druck seiner Partei ab. Die Nichtwahl Brunners führte zu Protesten – insbesondere von Frauen. Schliesslich wurde Ruth Dreifuss Mitglied der Landesregierung.

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Christiane Brunner applaudiert am 10. März 1993 im Bundeshaus in Bern zur Bundesratswahl ihrer Mitkandidatin Ruth Dreifuss. Archivbild: Keystone

«Brunner-Effekt»

Das Ereignis hatte nachhaltige Folgen. Nach den Protesten von Hunderten von wütenden Frauen auf den Bundesplatz und der Wahl von Ruth Dreifuss eine Woche nach dem denkwürdigen 3. März 19993 führte der «Brunner-Effekt» zu einem starken Anstieg der Frauenvertretung in verschiedenen Kantonen.

Diese Nichtwahl habe mehr bewegt, als sie als Bundesrätin hätte bewirken können, bekräftigte Brunner später mehrmals. Während ihrer gesamten Karriere und insbesondere zur Zeit ihrer Kandidatur war die Genferin heftigen sexistischen Angriffen ausgesetzt.

Im Bundeshaus sass Brunner zunächst vier Jahre – von 1991 bis 1995 – im Nationalrat und danach von 1995 bis 2007 im Ständerat. Zu ihren bevorzugten Themen gehörten Rechtsfragen, Arbeitsrecht, Sozialversicherungen, der Status der Frauen und der Ausländer. Auch die Mutterschaftsversicherung lag ihr am Herzen.

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Die neugewählte SP-Präsidentin Christiane Brunner während ihrer Rede am SP-Parteitag im Luganeser Kongresshaus am 15. Oktober 2000. Archivbild: Keystone

Um die Jahrtausendwende verliess die Politikerin die Gewerkschaftsbühne und übernahm nach dem Rücktritt Ursula Kochs das Präsidium der SP, die durch eine interne Krise geschwächt war. 2000 bis 2004 kehrte die Partei unter ihrer Ägide auf die Erfolgsstrasse zurück und erreichte 2003 über 23 Prozent der Wählerstimmen.

Rückzug aus der Politik

Ab 2007 zog sich Brunner, längst eine Galionsfigur des Schweizer Feminismus, aus dem politischen Leben zurück. 30 Jahre nach dem ersten Frauenstreik schlug die Politikerin in einem Interview vor, am 14. Juni 2021 eine Volksinitiative zu lancieren, um endlich Lohngleichheit zu erreichen, und forderte ihre Mitstreiterinnen auf, «nicht locker zu lassen».

Brunner lebte in einer Patchworkfamilie mit fünf erwachsenen Söhnen. Ihr Ehemann, der Gewerkschafter Jean Quéloz, verstarb 2021. (sda/mik)

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20.04.2025 05:18

Thomy

Starke Persönlichkeit ist gegangen

1 0
18.04.2025 13:39

pserratore

🪦 Sie hat Frauen Mut gemacht, sich zu engagieren.

3 1

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