Ein Hilferuf an die Öffentlichkeit: Baselbieterin ging wegen Long-Covid zu Exit
Medizin
Schweiz

Ein Hilferuf an die Öffentlichkeit: Baselbieterin ging wegen Long-Covid zu Exit

10.08.2023 17:04

Ann Weber

Daniela Caviglia (†) war Chefredaktorin, Pferdenärrin und stand mitten im Leben. Bis die 56-Jährige eines Tages aufgrund von Long-Covid aus ihrem Leben gerissen wurde. Wie steht es um die Forschung und das Bewusstsein in unserer Gesellschaft?

Die 56-Jährige lebte ein aktives Leben; als Kommunikationsunternehmerin, Chefredaktorin von zwei Fachzeitschriften und Mutter war Caviglia stets unterwegs. Nach ihrer zweifachen Infektion mit dem Corona-Virus im Frühjahr 2022 sollte sich jedoch alles ändern. Auf einmal konnte die Baselbieterin das Haus kaum bis gar nicht mehr verlassen, litt an Konzentrationsproblemen und konnte zeitweise nicht einmal mehr reden. «Ich liege bis zu 22 Stunden pro Tag im Bett», offenbarte Caviglia in einem Interview mit Blick im Frühjahr 2023, rund ein Jahr nach ihrer Infektion.

Während Caviglia in gewissen Hinsichten keine Kraft mehr zum Kämpfen hatte und ihren aktiven Lebensstil gezwungenermassen hinter sich lassen musste, kämpfte sie bis an ihr Lebensende mit letzter Kraft für die Anerkennung der Krankheit ME/CFS, dem sogenannten Chronic Fatigue Syndrome, welches in vielen Fällen bei Long-Covid-Patient:innen auftritt, an sich aber schon viel länger existiert als das Coronavirus. Sie prangerte dabei das Gesundheitssystem und die Politik an, die Krankheit nicht ernst zu nehmen und dabei Tausende Betroffenen im Stich zu lassen.

Long-Covid

Ursachen:

Das Long-Covid-Syndrom kann nach einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 Virus entstehen, welches die Erkrankung Covid-19 verursacht. Der Verlauf der Infektionskrankheit kann sehr unterschiedlich sein. Bei schweren Verläufen nach der Infektion kann es zu Entzündungen, Gefässverschlüssen und Sauerstoffmangel in verschiedenen Organen kommen. Häufig betroffen sind Lunge, Herz, Blutgefässe, Niere und Gehirn. Wenn Organe langfristig oder dauerhaft geschädigt werden, spricht man eher vom Post-Covid-Syndrom. Aber auch bei relativ milden Covid-Verläufen ohne schwere Organbeteiligung kann es zu Langzeitproblemen kommen, die wir dann als «Long-Covid» bezeichnen.

Symptome

  • Erschöpfung (hierbei und bei einigen anderen Symptomen kann es sich eben um die Krankheit ME/CFS handeln)
  • Sehr geringe Belastbarkeit
  • Schneller Puls bei geringer Belastung
  • Husten oder Atemnot
  • Verlust des Geschmack- oder Geruchsinns
  • Kopfschmerzen
  • Muskel- oder Gelenkschmerzen
  • Schlafstörungen, grosser Schlafbedarf
  • Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen
  • Depression und Angst

Quelle: Luzerner Kantonsspital

Ein Hilferuf an die Öffentlichkeit: Caviglias Leserbrief

Caviglia schrieb im Mai 2023 einen resignierten, und dennoch sehr entschlossenen offenen Brief mit dem Titel «Die Krankheit der 1000 Tode». Dabei richtet sie sich an die Politik, das Gesundheitswesen, Freunde und Verwandte. In ihrem Schreiben kritisierte sie die Art und Weise, wie mit der Krankheit ME/CFS und Long-Covid im Allgemeinen umgegangen wird. In den letzten Jahren gab es eine Verdreifachung der Fälle- und trotzdem werde die Krankheit von vielen noch nicht ausreichend ernst genommen, so Caviglia.

Ihr Aufruf an Politiker:innen zielte darauf ab, sie dazu zu bewegen, aus ihrer Passivität zu erwachen und den Betroffenen die erforderliche medizinische Versorgung bereitzustellen. Sie argumentierte, dass es für die Wirtschaft eines Landes schädlicher sei, solche Menschen zu ignorieren und somit vom Arbeitsmarkt auszuschliessen, als ihre gesundheitlichen Probleme ernst zu nehmen und die geeignete Therapiemethode anzuwenden. Ihr Appell an die Politik endet scharf: «Wenn Sie unsere Krankheit nicht anerkennen, müssen wir sogar bei Exit.ch für Anerkennung kämpfen und vielen von uns wird selbst ein würdevoller Tod verwehrt», so die 56-Jährige in ihrem Leserbrief.

Im weiteren Verlauf des Briefes bat sie immer wieder Personen aller Art darum, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Viele Menschen seien betroffen, die Krankheit werde jedoch immer wieder fälschlicherweise mit Faulheit oder psychiatrischen Leiden verwechselt.

Tragisches Ende im Falle von Daniela Caviglia

Caviglia wollte kein Leben führen, welches durch ihre Krankheit bestimmt wird und hatte die Hoffnung auf Heilung aufgegeben. Somit entschied sie sich dafür Sterbehilfe zu beziehen. Am 7. August beendete Cavaglia mit der Sterbehilfe Exit ihr Leben.

Long-Covid/ME/CFS-Awareness

Der Tod von Caviglia ist aber leider kein Einzelfall. Exit sagte gegenüber Blick, dass sich vermehrt Menschen mit Long-Covid bei der Organisation melden würden.

Auch auf Social Media gibt es einige Stimmen, die sich für die ME/CFS- und Long-Covid-Awareness einsetzen. Eine davon ist Visa Vie, Autorin und Moderatorin, die selbst an Long-Covid leidet und nun ihre Plattformen nutzt, um über das Thema aufzuklären.

Die St. Galler Mittenstreckenläuferin Selina Rutz-Büchel teilt ihre Long-Covid-Erfahrungen ebenfalls auf Instagram. Nachdem sie die Olympischen Spiele in Tokyo 2020 aufgrund der Erkrankung verpasste, gab sie Ende 2022 ihren Rücktritt aus dem Leistungssport bekannt. «Aufgrund von anhaltenden gesundheitlichen Problemen (Long Covid) habe ich mich dazu entschieden, vom Spitzensport zurückzutreten. Dankbar blicke ich auf eine wundervolle Zeit zurück, in welcher ich den Sport in den Mittelpunkt meines Lebens stellen durfte.»,

Auch die Musikerin, Synchronsprecherin und Aktivistin Mia Diekow nutzt Instagram für Aufklärungsarbeit im Bezug auf Long-Covid und ME/CVS. Sie selbst hat sich seit ihrer Corona-Infektion im März 2020 nie richtig erholt und leidet heute noch unter akuten Folgen der Infektion. Sie startete Ende 2020 eine Aufklärungskampagne mit der Charité Berlin und der TU München.

Wie weit sind wir in der ME/CFS- und Long-Covid-Forschung?

In einer grossen Long-Covid-Studie konnte bewiesen werden, dass 80% der mit dem Coronavirus Infizierten mit einem oder mehr Langzeitsymptomen zu kämpfen haben. Die drei häufigsten Long-Covid-Symptome waren Fatigue (58 %), Kopfschmerzen (44 %) und Aufmerksamkeitsdefizite (27 %).

Der Weg zur Diagnose ist in vielen Fällen ein langwieriger Prozess. Viele Fachpersonen kennen die Erkrankung nicht gut genug und können diese dementsprechend auch nicht diagnostizieren.

Das Problem einer ME/CFS- und/oder Long-Covid-Diagnose fängt jedoch viel früher an, denn obwohl beispielsweise die Krankheit ME/CFS häufig ist, ist sie gemäss der NZZ (noch) kein Teil des Schweizerischen Medizinstudiums. Die Diagnostizierung wird somit zu einer Glückssache.

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