Ein Porträt des modernen Lebens: Nicht in New York oder Paris, sondern in Basel
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Literatur
Basel-Stadt

Ein Porträt des modernen Lebens: Nicht in New York oder Paris, sondern in Basel

15.11.2023 17:09 - update 29.12.2023 18:37
Jessica Schön

Jessica Schön

Mit «Wir sehen uns» hat Jacqueline Moser ein Stück Alltag in die Literatur gebracht. Der Roman handelt von den kleinen und grossen Geschichten, die das Leben erzählt – und verortet diese mitten in Basel.

«So werde ich nie wohnen», sagt Julia leise, als sie sich neben ihren Freund an den Tisch setzt und mit einem Glas Sekt auf das Eigenheim der Frischvermählten anstösst. Julia lebt in einer dreissig Quadratmeter kleinen Wohnung am Rümelinsplatz mitten in der Altstadt. Durch die Wände dringen die Stimmen der Nachbarn, und am Abend hört sie die Betrunkenen durch die Gassen johlen. «Es sei denn, ich werde doch noch einen reichen Mann heiraten», flüstert sie. Julia liebt es zu sticheln. Ihr Freund Jakob hat nach dem Diplomabschluss an der Journalistenschule mit Germanistik begonnen.

Julia ist eine der Protagonist:innen aus dem Roman «Wir sehen uns». Die kaufmännische Angestellte ist nicht nur die Freundin von Jakob, sondern ausserdem Julians Zwillingsschwester. Julian ist ein erfolgreicher Verkaufsmanager. Seine Noch-Ehefrau María José plant, mit der gemeinsamen Tochter nach Spanien zu ziehen. Und so, wie Julia durch ihre Schöpferin, die Basler Autorin Jacqueline Moser, eingeführt wird, ergeht es allen Figuren des Romans. Denn Moser erzählt deren Geschichten von innen nach aussen und sequenziell – ein bisschen, als denke man sich in die Person, die auf dem Nachhauseweg neben einem im Tram sitzt.

«Jeder Mensch ist interessant, wenn man nur genau schaut», so Moser. Diese Ansicht habe ihr auch den Anstoss zum Schreiben des Romans gegeben. In «Wir sehen uns» setzt die Autorin auf einen losen Erzählteppich, bei dem nicht die eigentliche Handlung, sondern die Art der Erzählung das strukturgebende Element ist. So findet die lakonische Sprache Mosers ihre Entsprechung in den kurzen Stimmungsbildern: In zwei bis vier Seiten lernen wir Charaktere kennen, docken an ihre Sehnsüchte, ihre Umgebungen an – und verabschieden uns – um sie ein paar Seiten später wieder zu treffen.

«Tatsächlich lag das Manuskript lange Zeit in der Schublade», erklärt mir die Autorin. Ein Lektor-Wechsel hatte das Buchprojekt, das ursprünglich im Suhrkamp-Verlag hätte erscheinen sollen, vor ein paar Jahren zum Scheitern gebracht. Trotz allem habe sie es fertiggeschrieben. Bis zur Veröffentlichung bei Edition 8 habe es aber so manche Metamorphosen durchlaufen. Einerseits habe sich Moser seit der ersten Fassung als Autorin weiterentwickelt. Andererseits habe die Verwurzelung der Figuren in Basel dem Roman auch zu seinem feinen aber doch erkennbaren roten Faden verholfen.

Die Stadt als Bindeglied

Zu einer wichtigen Figur wird in diesem 123-seitigen Band nämlich eben diese Stadt: Mosers Figuren spazieren die Mittlere Brücke entlang, fahren mit dem Velo über den Petersplatz und diskutieren über die Schön-, respektive Hässlichkeit des Meret-Oppenheim-Hochhauses. Durch diese Verortung ihres vielschichtigen Portraits des modernen Lebens trifft das aufeinander, was nicht zusammengedacht wird – und verbindet sich, was lose erscheint.

Das ermöglicht es der Autorin, das Grosse im Kleinen abzubilden: Die flüchtigen und teilweise unterbewussten Begegnungen der Figuren verhelfen den auf den ersten Blick in sich geschlossenen Portraits zu seinem grösseren Sinnzusammenhang; machen die Geschichten und die sich darin abzeichnenden Fragen durchlässig. Moser möchte damit zeigen, dass wir uns alle mit unserem Tun und Denken beeinflussen, dass es eine Rolle spielt, wie es dem Gegenüber geht.

Von der Kunst des An-Erzählens

So verhandelt Moser in ebendieser Geste des An-Erzählens aus verschiedensten Perspektiven etwa die Frage, warum in so vielen die Sehnsucht nach einem anderen Leben schlummert – sei es, weil man verlassen oder von Beständigkeit erdrückt wird, oder weil man eine Heimat vermisst, die es seit dem eigenen Weggang so nicht mehr gibt.

Betont wird hierbei jedoch weniger das melancholische Momentum, als vielmehr die Wichtigkeit von den Zufällen und Begegnungen, die das Leben mit sich bringt; sowie die Vorstellung, dass etwas Wertvolles und Bedeutsames in ihnen steckt. Kurzum: es geht um die Gegenwart, in der wir leben. Und weil Moser sie unaufgeregt erzählt, geht ihr Schreiben darüber unter die Haut.

Jacqueline Moser: «Wir sehen uns», Verlag Edition 8, 123 Seiten

Literaturinteressierte können an folgenden Terminen dabei sein, wenn die Autorin aus ihrem neuen Roman vorliest:

  • 16. November, 19.30h: «QuartierOASE», Basel
  • 23. November, 16.45h: «Buch am Dofplatz», Allschwil (Signierstunde)

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