Freitod in der Stickstoff-Kabine: Alle Antworten zur Suizidkapsel
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Sterbehilfe
Schweiz

Freitod in der Stickstoff-Kabine: Alle Antworten zur Suizidkapsel

17.07.2024 19:20 - update 17.07.2024 17:19

Baseljetzt

Der Sterbehilfeaktivist Philip Nitschke will die von ihm erfundene Suizidkapsel «Sarco» zum ersten Mal Schweizer Patienten zur Verfügung stellen. Mit der Sterbemaschine betritt er Neuland und sorgt für viele Fragen.

Wie funktioniert die Kapsel?

Die Maschine kann zum Sterben an jeden beliebigen Ort gebracht werden. Die Person, die sterben will, steigt in die im 3D-Verfahren hergestellte Kabine und legt sich hin. Danach wird der Deckel geschlossen. Der Sterbewillige drückt einen Knopf, und es strömt Stickstoff in die Kabine. Dieser verdrängt den Sauerstoff. Nach wenigen Atemzügen wird die Person bewusstlos, wie die Promotoren von «Sarco» (von Sarkophag) erklärten. Der Tod tritt nach etwa fünf Minuten ein. Der Insasse stirbt an Sauerstoffmangel. Die Kapsel kostet in der Herstellung rund 15’000 Euro. Bezahlen müssen Sterbewillige lediglich die Kosten für das Gas, rund 18 Franken, und natürlich die Beerdigung.

In den USA kam es bereits zu einer Exekution mit Stickstoff. Ist das nicht qualvoll?

Im US-Bundesstaat Alabama wurde im Januar ein Auftragsmörder per Stickstoff über eine Maske hingerichtet. Laut einem Zeugenbericht war der Mann «mehrere Minuten lang während der Hinrichtung bei Bewusstsein» gewesen und hat sich für rund zwei Minuten auf der Trage geschüttelt und gekrümmt. Philip Nitschke verbittet sich einen Vergleich zwischen einem freiwilligen Suizid und einer Exekution. Der grosse Unterschied: Wer nicht sterben wolle, wehre sich natürlich dagegen. Sein Ziel ist es, einen «schöneren Tod» zu ermöglichen ohne Medikamente.

Wie soll ein Suizid mit «Sarco» ablaufen?

Wer «Sarco» nutzen will, wird gemäss den Angaben vorgängig psychiatrisch untersucht. Der Person wird eine Reihe von Fragen gestellt, und wenn sie diese beantwortet hat, kann sie den Knopf im Inneren der Kapsel drücken. Um in die Kapsel steigen zu dürfen, muss man nicht Mitglied der vor Kurzem in der Schweiz gegründeten Sterbehilfeorganisation «The Last Resort» sein, die das Gerät zur Verfügung stellt. Die Organisation will sich in erster Linie mit Spenden finanzieren.

Wer darf die Kapsel nutzen?

Nur wer uneingeschränkt entscheidungsfähig ist, kommt der Organisation zufolge infrage. Sie setzte ein Mindestalter von 50 Jahren fest, bei jüngeren, unheilbar kranken Personen könnten aber Ausnahmen gemacht werden, hiess es.

Wer steckt hinter «Sarco»?

Entwickelt wurde die Sterbemaschine vom australischen Arzt Philip Nitschke. Er ist auch Gründer einer Sterbehilfeorganisation namens «Exit International». Diese hat nichts mit dem etablierten Verein Exit Deutsche Schweiz zu tun. «Sarco» wird von der in der Schweiz neu gegründeten Sterbehilfeorganisation «The Last Resort» («Der letzte Ausweg») zur Verfügung gestellt. Geleitet wird sie von Nitschkes Frau Fiona Stewart und Florian Willet, Wirtschaftsjurist und einstiger Mediensprecher von Dignitas Deutschland. Philip Nitschke hat in der Organisation keine offizielle Funktion.

Wann und wo soll die Kapsel eingesetzt werden?

Sie soll noch in diesem Jahr in der Schweiz zum Einsatz kommen. Wann und wo, wollten die Verantwortlichen unter anderem aus Pietätsgründen nicht sagen. Die Kapsel sei in den letzten zwölf Monaten in Rotterdam getestet worden – allerdings nicht an Tieren oder Menschen.

Warum haben einzelne Kantone Präventiv die Anwendung verboten?

Nach Kritik aus Schaffhausen an der Kapsel beziehungsweise juristischen Bedenken verbot im Wallis der Kantonsarzt den Einsatz der Todeskapsel vorsorglich. Dem Westschweizer Fernsehen RTS sagte Cédric Dessimoz, die Entscheidung sei eine vorsorgliche Präventivmassnahme im Interesse der öffentlichen Gesundheit. Die Behörden erwarteten konsequentere Auskünfte und Informationen über das Gerät und seine Verwendung. Im Gegensatz zu anerkannten Organisationen, die sich an die gesetzlichen Grundlagen hielten, wisse er mit den derzeitigen Informationen nicht, wie die neue Organisation für einen eventuellen assistierten Suizid in der Schweiz oder im Wallis vorgehen würde.

Wie ist die rechtliche Lage?

In der Schweiz sind die Hürden für Sterbehilfe hoch. Der assistierte Suizid ist unter Bedingungen erlaubt, zum Beispiel wenn er uneigennützig ist. Im Gesetz steht klar: Wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmord verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, wird, wenn der Selbstmord ausgeführt oder versucht wurde, mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe belegt. Strafrechtlich könnte der Einsatz der Suizidkapsel dann Konsequenzen haben, wenn ein Gericht zum Schluss käme, die Helfer hätten aus eigennützigen Gründen gehandelt. In der Praxis bedeutete dies in der Schweiz etwa, dass für das Verfahren des assistierten Suizids immer ein Arzt erforderlich ist, der den Prozess begleitet, insbesondere, um die Urteilsfähigkeit der sterbewilligen Person zu beurteilen.

Braucht die Sterbehilfekapsel eine Zulassung? Ist sie eine Medizinprodukt?

Laut der Schweizer Arzneimittelbehörde Swissmedic erfüllt die Suizidkapsel basierend auf den rechtlichen, regulatorischen und ethischen Grundlagen nicht die Definition für ein Medizinprodukt. Ein solches sei ein Instrument, ein Apparat, ein Gerät, eine Software oder Material, das vom Hersteller zur Verwendung für Menschen zu medizinischen Zwecken bestimmt sei, insbesondere zur Diagnose, Vorbeugung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder Verletzungen. Ein Gerät ausschliesslich zum Zweck eines Suizids falle nicht unter diese Definition. Die Kapsel ziele schliesslich nicht darauf ab, eine Krankheit oder Verletzung zu behandeln oder zu lindern.

Was sagen Behörden zur «Sarco»?

Mehrere Behörden erklären, dass die Suizidkapsel nicht in ihren Zuständigkeitsbereich falle. Neben Swissmedic auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Für Importe sei man nicht zuständig, und die Sterbehilfekapsel könne auch nicht in den Anwendungsbereich des Produktesicherheitsgesetzes fallen, da der Zweck nicht ein sicheres und höchstens geringfügig gesundheitsgefährdendes Produkt sei – sondern gerade das Gegenteil, nämlich der Tod der Verwenderin, teilte ein Seco-Sprecher mit. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) liess verlauten, Bundesrat und Parlament hätten entschieden, auf eine ausdrückliche Regelung der organisierten Sterbehilfe im Strafrecht zu verzichten. Vielmehr setze man auf Suizidprävention, Palliative Care und koordinierte Versorgung. (sda/lab)

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Kommentare

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18.07.2024 01:54

spalen

jeder suizid ist einer zuviel. wenn es vor dem hintergrund einer schweren erkrankung geschieht und der betroffene frei entscheiden kann, ist es natürlich etwas anders, aber oft spielen ja auch andere faktoren mit eine rolle. auf jeden fall ein sehr schwieriges thema.

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17.07.2024 18:29

MatthiasCH

Hat man das früher nicht mit dem Auto oder einem Plastiksack gemacht?

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