Hitzi: «Ich kann meinem Unfall auf jeden Fall Positives abgewinnen»
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Interview
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Hitzi: «Ich kann meinem Unfall auf jeden Fall Positives abgewinnen»

22.02.2023 12:01 - update 22.02.2023 18:15
Jennifer Weber

Jennifer Weber

Vor elf Jahren veränderte ein schwerer Schicksalsschlag das Leben von Hitzi. Im Interview mit Baseljetzt spricht der 29-Jährige über den Unfall, seinen Alltag und seine grosse Leidenschaft.

Hitzi ist seit elf Jahren im Rollstuhl. Am 1. Mai 2011 stürzte der damals 17-Jährige an einer Party von einem Balkon zwölf Meter in die Tiefe. Seither ist er vom Brustkorb abwärts gelähmt. Heute arbeitet Hitzi als Botschafter für Rollstuhlfahrer und als Fotograf. Zudem ist der 29-Jährige bei Keiyo Art tätig, einer Charity aus Basel, die Bilder verkauft und Ausstellungen ausrichtet.

Im Interview mit Baseljetzt spricht Hitzi über seinen Alltag, düstere Gedanken und seine grosse Leidenschaft, das Fotografieren.

Baseljetzt: Wie sieht dein Alltag aus?

Hitzi: Mein Alltag ist relativ abwechslungsreich. Ich mache zwei Mal pro Woche Therapie und Sport, damit ich fit bleibe. Abgesehen davon bin ich viel unterwegs an Schulen, reise, fotografiere oder bin tagsüber und nachts zuhause am Computer und arbeite.

Was bereitet dir im Alltag Mühe?

Mittlerweile gibt es in meinem Alltag nicht mehr so ganz spezifische Dinge, mit denen ich Mühe habe. Ich kenne meinen Alltag und kann mich rundherum schlängeln. Ich stosse aber immer wieder an die Grenzen der Barrierefreiheit, wenn ich in der Schweiz unterwegs bin. Sei es mit den SBB oder Gebäuden. Vieles ist mit dem Rollstuhl nicht erreichbar oder nur mit Komplikationen.

Der Unfall hat dein Leben von einem Moment zum anderen drastisch verändert. Was hat das mit dir als Person gemacht?

Da es jetzt schon elf Jahre her ist, habe ich mich natürlich sehr stark verändert. In zehn Jahren verändert man sich sowieso – vor allem von 17 bis 29. Wegen des Unfalls setzte ich mich sicher viel mehr mit Psychologie und mit «how to live happy» auseinander. Ich musste mich ganz stark damit auseinandersetzen, wie man mit ständigen Schmerzen umgeht. Das veränderte mich wohl so, dass ich sagen kann, ich wurde geduldiger mit dem Leben. Ich schaue mehr auf mich und darauf, was mein Körper mir sagt und was ich fühle. Ich kenne mittlerweile ein paar Tricks und Macken, die das Gehirn hat, und wie man diese umgehen kann. Ansonsten sind die meisten anderen Veränderungen «regulär». Ich merke auch, dass ich 30 werde – aber das geht allen so (lacht).

Kannst du dem Unfall auch etwas Positives abgewinnen?

Ich kann dem Unfall auf jeden Fall Positives abgewinnen. Mehr aus psychologischer Sicht und der Sichtweise des Lernens. Je mehr Scheiss dir passiert, umso mehr kannst du lernen. So kann ich auch dankbar sein. Aber für all die Schmerzen, die ich immer habe, bin ich trotzdem nicht dankbar.

Hat sich dein Umfeld seit dem Unfall sehr verändert?

Gleich nach dem Unfall hat sich mein Umfeld gar nicht verändert. Ausser, dass ich nach Basel gezogen bin und ein paar meiner früheren Homies noch im Leimental waren. Mittlerweile hat sich mein Umfeld über die zehn Jahre hinweg verändert. Aber gewisse «Stammkunden» und Homies sind immer noch dieselben. Der Unfall trug keinesfalls zu einer starken Veränderung des Umfelds bei – überhaupt nicht, eher zu einer Stärkung des Zusammenhalts.

Hast du auch düstere Gedanken?

Ich habe schon auch immer wieder düstere Gedanken. Besonders im Winter, wenn es draussen auch düster ist. Es ist schlussendlich nicht viel mehr, als Geduld zu haben mit sich und der Welt, dass es auch wieder gut kommt. Damals während der Rehabilitation half mir Meditation sehr. Das ist auch jetzt noch so. Meditation hilft, die Dinge etwas distanzierter zu betrachten und nicht so in den Emotionen zu kleben, was meistens relativ unsinnig ist.

Du agierst auch als Botschafter für Menschen im Rollstuhl. Was wünschst du dir von Menschen, die nicht im Rollstuhl sind? Wie sollen sie mit dir umgehen?

Ich wünsche mir eigentlich überhaupt nichts Spezielles von den Menschen – ausser, dass sie mit mir genau gleich umgehen wie mit allen anderen. Genau gleich respektvoll. Genau gleich freundlich. Mehr muss gar nicht sein.

Deine Leidenschaft ist das Fotografieren. Was bedeutet das für dich und was hast du davon gelernt?

Das Fotografieren ist für mich wie ein Werkzeug für meine Neugier. Ich bin sehr neugierig und ich mag mein Leben nur, wenn es spannend ist und ich immer wieder etwas entdecken kann. Beim Fotografieren kann ich an fremde Orte gehen, oder auch an Orte in Basel, die ich noch nie gesehen habe. Und dort schöne oder spannende Seiten suchen. Egal, an welchen neuen Ort ich komme, ich kann davon verschiedene Perspektiven sehen. Das ist mega wichtig, um auch in schwierigen Situationen ruhig bleiben zu können. Und auch das Positive oder Schönere daran zu finden. Und nicht nur am Schlechten kaputt zu gehen.

Was hast du für die Zukunft geplant?

Für die Zukunft habe ich gar noch nicht so viel geplant. Ich werde in Zukunft versuchen, den Moment mehr zu geniessen. Aber das kann ich nur im Moment anstellen (lacht). Ich glaube, in etwa fünf Jahren wird es mich wieder mehr aufs Land und in die Natur ziehen. Und ich habe vor, mit Keiyo Art noch einiges zu erleben, einige Ausstellungen zu machen und mich noch mehr mit Fotografie zu beschäftigen. Und reisen und Neues entdecken.

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