Immer mehr Angehörige von psychisch Erkrankten suchen sich Hilfe – woran liegt’s?
©shutterstock
Anlaufstelle
Basel-Stadt

Immer mehr Angehörige von psychisch Erkrankten suchen sich Hilfe – woran liegt’s?

23.01.2023 18:29 - update 26.01.2023 15:59
Lea Meister

Lea Meister

Die Stiftung Rheinleben gründete 2018 mit Unterstützung des Kantons Basel-Stadt eine Anlaufstelle für Angehörige psychisch Erkrankter. Im Laufe der Jahre nahmen die Anfragen stark zu. Die Zunahme hat aber nicht primär mit der Pandemie zu tun.

Wer regelmässig in Basler Trams und Bussen unterwegs ist, hat sie bestimmt schon einmal gesehen, ob bewusst oder unbewusst: die Flyer der Stiftung Rheinleben. Seit Juni 2018 bietet die Stiftung eine Anlaufstelle für Angehörige und Kinder von psychisch erkrankten Menschen an.

Im ersten Jahr wurden von der Anlaufstelle 82 Beratungen durchgeführt, 2022 waren es 1’076, wie Diana Michaelis von der Stiftung Rheinleben gegenüber Baseljetzt bestätigt. Zu Beginn hatte die Anlaufstelle 40 Stellenprozente zur Verfügung. Damals lief sie als Pilotprojekt des Kantons Basel-Stadt und wurde jeweils zur Hälfte vom Gesundheitsdepartement und dem Erziehungsdepartement finanziert.

Immer mehr Angehörige von psychisch Erkrankten suchen sich Hilfe – woran liegt's?
Quelle: zvg

Nach sieben Monaten waren es bereits 60 Stellenprozente und seit November 2020 stehen der Anlaufstelle 120 Stellenprozente zur Verfügung, zusätzlich unterstützt durch die Christoph Merian Stiftung. Die Anlaufstelle erfährt viel Vernetzungs- und Öffentlichkeitsarbeit, wie Michaelis sagt, beispielsweise durch die eingangs erwähnten Tramwerbungen, öffentliche Anlässe und Veranstaltungen.

Viele denken nicht an Beratungsstellen

Seit dem 1. Januar 2022 wird die Anlaufstelle für Angehörige und Kinder psychisch erkrankter Menschen fest vom Gesundheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt und zu Teilen von Baselland finanziert. In den vergangenen Monaten wurde nochmals ein stärkerer Anstieg der Anfragen verzeichnet. Michaelis sagt: «Die aktuelle Tramwerbung haben wir auch durchgeführt, weil wir von der Belastung vieler Angehörigen mit psychisch erkrankten Menschen wissen.»

Das Problem: Bei psychischen Problemen denkt die Bevölkerung nicht an Beratungsstellen, sie sucht Hilfe bei Psychiatern, Psychotherapeuten oder Kliniken. Menschen müssen also zuerst über Beratungsstellen informiert werden, damit sie überhaupt darüber nachdenken können, diese vielleicht in Anspruch zu nehmen.

Immer mehr Angehörige von psychisch Erkrankten suchen sich Hilfe – woran liegt's?
Die Flyerhalter im Basler ÖV sind immer wieder leer. Auch hier war nur noch ein einziger Flyer vorhanden.Bild: Lea Meister

Seit der Corona-Pandemie deutlich erkennbar sei die steigende Anzahl Eltern, die sich Sorgen um ihre psychisch belasteten Jugendlichen und jungen Erwachsenen machen. «Die Fälle sind aufgrund der Knappheit an stationären Möglichkeiten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie für uns auch komplexer geworden», so Michaelis. Man sei mit Akutsituationen konfrontiert, in welchen eine ambulante Unterstützung eigentlich nicht die richtige Option sei.

Wartefrist beträgt zwei bis drei Wochen

«Wir können durch unsere Arbeit aber die Angehörigen und damit das Familiensystem entlasten und in Einzelfällen auch bis zu einer stationären Massnahme überbrücken», beschreibt Michaelis den Sinn der Angebote der Anlaufstelle in eher komplexen Fällen.

Die Wartefrist für einen Termin bei der Anlaufstelle beträgt derzeit zwei bis drei Wochen. Das Ziel sei aber klar, psychisch erkrankte Menschen und ihre Angehörigen möglichst schnell zu unterstützen. «Phasenweise tun wir dies auch mit Mehrarbeit», ergänzt Michaelis.

Michaelis stelle auch fest, dass es für Klient:innen immer schwieriger werde, Therapeut:innen zu finden. Auch hier versuche man bei der Stiftung, möglichst rasch und gut zu unterstützen. «Im Vergleich zu 2019 erleben wir in den Tagesstrukturen der Stiftung Rheinleben eine Zunahme von Anfragen um etwa 20 Prozent.» Andere Dienstleistungen wie Beratung oder Wohnbegleitung seien schon länger gut ausgelastet.

Isolation und Einsamkeit steigen an

Der Anstieg an Anfragen habe nicht primär mit der Pandemie zu tun, wurde durch sie aber leicht erhöht, wie Michaelis ausführt. Psychisch belastete Menschen und Angehörige solcher seien seit der Pandemie jedoch vulnerabler geworden. In der ersten Phase der Pandemie fühlten sich viele psychisch Belastete sogar entlastet, da das gesellschaftliche Leben, an welchem sie sonst wenig teilnehmen, heruntergefahren wurde. Michaelis zitiert einen mehrfach gehörten Satz: «Uns geht es schon lange so, wie euch allen jetzt.»

Mit dem Andauern der Pandemie litten viele jedoch vermehrt an Isolation und Einsamkeit und entwickelten Ängste um die eigene Gesundheit. Auch Depressionen wurden verstärkt, wie Michaelis bestätigt. «Hinzu kommt noch ein grösserer Trend: Die stationären Behandlungszeiten nehmen ab und auch andere Stellen sind oft sehr ausgelastet.» Dies führte dazu, dass die Stabilität der Klient:innen ab- und die Komplexität der Betreuungsleistungen somit zunahm.

Umso wichtiger wurde also die Stabilisierung im sozialen und individuellen Alltag. Genau hier leiste die Anlaufstelle der Stiftung Rheinleben für Angehörige psychisch erkrankter Menschen einen grossen Beitrag. «Mit grossem Engagement und Flexibilität», ergänzt Michaelis.

Feedback für die Redaktion

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Kommentare

Dein Kommentar

Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise

Kommentare lesen?

Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.