Kompetenz von Einzelrichtern bei Freiheitsstrafen präzisiert
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Bundesgericht
Schweiz

Kompetenz von Einzelrichtern bei Freiheitsstrafen präzisiert

04.10.2024 12:00 - update 04.10.2024 12:39

Baseljetzt

Einzelrichter dürfen zu der in ihrer Kompetenz liegenden maximalen Freiheitsstrafe von zwei Jahren zusätzlich eine Geldstrafe verhängen und auch eine Landesverweisung anordnen.

Im konkreten Fall verurteilte eine Einzelrichterin des Regionalgerichts Emmental-Oberaargau einen Mann im Juni 2022 wegen Diebstahls, Tätlichkeiten, mehrfacher Drohungen, Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 23 Monaten, einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen und einer Busse von 700 Franken. Das Berner Obergericht bestätigte das Urteil 2023.

Das Bundesgericht hat eine Beschwerde des Verurteilten in einem am Freitag veröffentlichten Urteil abgewiesen. Der Mann rügte, dass die erste Instanz ihre Urteilskompetenz als Einzelgericht überschritten habe. Die Freiheitsstrafe von 23 Monaten würde kumuliert mit der Geldstrafe von 100 Tagessätzen den für ein Einzelgericht maximalen Strafrahmen von zwei Jahren überschreiten. Ein Tagessatz steht jeweils für einen Tag Freiheitsstrafe.

Wie das Bundesgericht in seinen Erwägungen festhält, können Bund und Kantone als erstinstanzliches Gericht ein Einzelgericht für die Beurteilung von Übertretungen vorsehen. Gleiches gilt bei Verbrechen und Vergehen – ausser die Staatsanwaltschaft beantragt eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren, eine Verwahrung oder eine stationäre therapeutische Massnahme.

Ein Einzelgericht kommt ebenfalls nicht in Frage, wenn eine in einem früheren Verfahren bedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe widerrufen wird und mit der neuen mehr als zwei Jahre beträgt.

Charakter der Strafe entscheidend

Die Staatsanwaltschaft hatte im vorliegenden Fall eine Freiheitsstrafe von 23 Monaten, eine Geldstrafe von 22 Tagen und eine Busse von 1000 Franken beantragt. Sie lag damit unter einem theoretischen Freiheitsentzug von zwei Jahren.

Das Bundesgericht hält fest, dass sich die Zuständigkeit des Einzelgerichts zunächst nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft richte. Diese müsse ihre Anträge nicht zwingend in der Anklageschrift ankündigen, sondern könne dies erst im Rahmen der Hauptverhandlung tun. Sie könne vor Gericht auch über die in der Anklageschrift gestellten Anträge hinaus gehen. Sprenge der Antrag die Urteilskompetenz, müsse das Einzelgericht den Fall an ein Kollegialgericht überweisen.

Aufgrund der Entstehungsgeschichte des Gesetzes kommt das Bundesgericht zum Schluss, dass für die Einhaltung der Maximalgrenze von zwei Jahren nicht auf die Gesamtheit der verschiedenen Sanktionen abzustellen sei. Entscheidend sei der freiheitsentziehende Charakter, der auch bei einer bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafe zumindest abstrakt drohe.

Zwar könne auch eine unbedingt verhängte Geldstrafe oder gar eine Busse bei Nichtbezahlung in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden. Diesem Schritt gingen jedoch weitere Möglichkeiten voraus, wie beispielsweise eine Ratenzahlung.

Kein expliziter Hinweis

Das Bundesgericht stützt diese Auslegung unter anderem darauf, dass beim Strafbefehlsverfahren im Gesetz explizit festgelegt ist, dass verschiedene verhängte Sanktionen kumuliert nicht mehr als sechs Monate betragen dürfen. Dies fehle bei der Kompetenz des Einzelgerichts, was vom Gesetzgeber wohl so gewollt gewesen sei, um die Kollegialgerichte zu entlasten.

Auch bei der Anordnung der Landesverweisung durch einen Einzelrichter sieht das Bundesgericht keine Probleme. Dieser könne Massnahmen verhängen – jedoch mit expliziter Ausnahme der Verwahrung und der stationären therapeutischen Massnahme. (Urteil 6B_1377/2023 vom 4.9.2024) (sda/lab)

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05.10.2024 21:49

Thomy

👍

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05.10.2024 06:37

pserratore

👍

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