Livia Boscardin lehrt Mädchen und Frauen, für sich selbst einzustehen
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Livia Boscardin lehrt Mädchen und Frauen, für sich selbst einzustehen

09.03.2023 14:27
Jennifer Weber

Jennifer Weber

Livia Boscardin ist Wen-Do-Trainerin und lehrt Mädchen und Frauen, sich selbst zu behaupten und zu verteidigen. Dabei steht besonders der Selbstwert im Fokus.

Als Elfjährige besuchte Livia Boscardin selbst einen Wen-Do-Kurs, der sie nachhaltig prägte und ihr ebendiese Attribute mit auf den Weg gab: für sich einzustehen und sich zu behaupten. Heute ist die Soziologin und Fachfrau für geschlechterspezifische Gewalt selbst Wen-Do-Trainerin beim Verein Wen-Do Basel.

Wen-Do ist kein Kampfsport, sondern Selbstverteidigung und Selbstbehauptung für Mädchen und Frauen. Wen-Do wurde 1972 in Kanada von Frauen entwickelt und heisst übersetzt «Weg der Frauen». In den Kursen lehrt Boscardin den Teilnehmerinnen, die eigenen Grenzen wahrzunehmen und zu setzen – und wie sie reagieren können, wenn diese missachtet werden. «Wen-Do ist ein abwechslungsreicher, empowernder Mix aus technischen Übungen, Diskussionen und Rollenspielen», schreibt der Verein Wen-Do Basel auf seiner Website. Und auch der Spass soll dabei nicht zu kurz kommen.

«Gewalt kommt meistens aus dem näheren Umfeld»

Boscardin erklärt im Interview mit Baseljetzt, warum Selbstverteidigung und Selbstbehauptung wichtig sind: «Gewalt gegen Mädchen, Jugendliche, junge Frauen, Erwachsene kommt meistens aus dem näheren Umfeld – über 80 Prozent. Und das macht es so schwierig, gut zu reagieren». Man hat Angst, ist blockiert, schämt sich und da brauche es andere Formen der Selbstverteidigung, so die Baslerin.

Diese anderen Formen seien sehr vielfältig und beginnen beim Selbstwert. «Und das ist auch das Schwierigste von allem: Zu wissen, ich habe diese Respektlosigkeiten nicht verdient, ich habe Gewalt nicht verdient.» Weiter gehe es mit Grenzen setzen: beispielsweise mit «Stopp» und «ich möchte das nicht».

Auch laut zu werden und eine klare Körpersprache zu haben, seien wichtige Formen der Selbstverteidigung. Mit einer Freundin oder anderen Ansprechpersonen – zum Beispiel mit dem Lehrer oder einer HR-Person – zu sprechen, könne auch helfen. «Und erst ganz am Schluss in der Selbstverteidigung kommen körperliche Techniken zum Einsatz», erklärt Boscardin.

Brett mit der Faust zerschlagen

Wichtig ist Boscardin auch, im Wen-Do-Kurs eine gute Zeit zusammen zu verbringen. «Viele Mädchen, die in der Schule ausgeschlossen werden oder Mobbing erleben, haben das selten.» Die 36-Jährige gebe den Teilnehmerinnen einen Raum, in dem sie okay sind, genau so wie sie sind. Es wird Musik gehört und es gibt viele persönliche Gespräche im Kurs. Es könne auch schon enorm helfen, über Probleme zu reden. So sehen die Teilnehmerinnen laut Boscardin, dass sie nicht alleine sind.

Bei den körperlichen Techniken werde «sehr lebensnahe» geübt. Jeder Kurs beginne damit, ein Brett mit der Faust oder dem Fuss zu zerschlagen. «Damit könnte man jemandem dreimal die Nase oder fünfmal den Mittelfuss brechen», erklärt Boscardin. Diese Übung mache grossen Eindruck bei den Teilnehmerinnen und es sei sehr bewegend zu sehen, wie stark man eigentlich ist.

Kurse für Schulklassen

«Mir ist es sehr wichtig, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mitzugeben, dass sie Gewalt nicht verdient haben, dass Gewalt scheisse ist und dass sie das Recht auf Selbstbestimmung haben», sagt die Wen-Do-Trainerin. Gewalt sei eine Machtfrage und «gerade sexualisierte Gewalt geht gegen jene, bei denen man denkt, sie wehren sich sowieso nicht und haben keine Chance». Am meisten betroffen sind deswegen Frauen und Mädchen mit einer Beeinträchtigung. Auch Personen, welche in der Schweiz Rassismus erleben, und queere Personen werden überdurchschnittlich oft Opfer sexualisierter Gewalt. Sexualisierte Gewalt sei ein «Männerproblem», denn 90 Prozent davon werden von Männern ausgeübt, erklärt Boscardin. Ein wichtiges Anliegen der Baslerin deshalb: «Männer sollten lernen, respektvoll mit Frauen umzugehen.»

Spezifisch auch für Schulklassen bieten Livia Boscardin und ihr Projektpartner Silvio Micaglio Kurse an – sie arbeitet mit den Mädchen und er mit den Jungs. «Dort lernen die Buben, respektvoll miteinander umzugehen, wie man korrekt flirten kann, und ob es okay ist, ungefragt Dickpicks zu verteilen – Spoiler Alert: Ist es nicht!», so Boscardin.

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