«Man muss sich halt genau überlegen, wen man auf einen Sockel stellt»
©Bilder: Mirjam Kluka, Keystone / Montage: Baseljetzt
Kolonialismus
Baselland

«Man muss sich halt genau überlegen, wen man auf einen Sockel stellt»

20.02.2023 12:50 - update 21.02.2023 12:34

Marko Lehtinen

Der Baselbieter Landrat ist sich einig: Es ist wichtig, die kolonialistische Vergangenheit des Kantons zu erforschen. Aber warum eigentlich? Historikerin Rachel Huber gibt Antwort.

Der Landrat hat kürzlich 100’000 Franken für die historische Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit von Baselbieter Persönlichkeiten genehmigt. Er war sich zwar uneinig, ob es wirklich am Kanton sei, ein solches Forschungsprojekt zu finanzieren. An der Wichtigkeit des Themas an sich zweifelte von links bis rechts jedoch niemand.

Doch warum ist es von Bedeutung, einem Baselbieter Kolonialismus nachzugehen? Die Schweiz ist ja nicht eben bekannt als Kolonialstaat – anders als etwa Portugal, Spanien oder die Niederlande.

Die Baselbieter Historikerin Rachel Huber hat sich eingehend mit dem Thema beschäftigt und den Stein durch ihre Erforschung des umstrittenen Baselbieter Unternehmers Johann August Sutter, genannt «General Sutter», ins Rollen gebracht. Die Dozentin der Universität Luzern sagt, warum die Aufarbeitung von kolonialistischen Tendenzen im Baselbiet Sinn macht.

Baseljetzt: Frau Huber, warum ist die Erforschung der kolonialen Vergangenheit des Kantons wichtig?

Rachel Huber: Weil gewisse Baselbieter Unternehmen in den Zeiten des Sklavenhandels international verflechtet waren und mit kolonialen Unternehmen zu tun hatten. Wie lebten ja nicht in einem ökonomischen Vakuum, auch wenn unser Land selbst keine Kolonien hatte. Diese Unternehmen waren indirekt in Rohstoff- und Sklavenhandel verwickelt oder hatten selbst auch Sklaven.

Ausserdem legten Basler Familienunternehmen wie etwa die Riedy & Thurninger oder die Bourcard Fils & Cie., die in den globalen Rohstoffhandel und damit in die Sklaverei involviert waren, ihr Kapital in Form von Grundeigentum im Baselbiet an. Wenn man diesen Geldströmen folgt, merkt man, dass auch das Baselbiet mit dem Kolonialismus verbunden war. Es gab zudem Basler Missionare, die in Übersee Sklavinnen und Sklaven hielten. Und schliesslich dürfen wir die sehr vielen Schweizer Söldner nicht vergessen, die für Kolonialmächte kämpften und so für den Kolonialismus mitverantwortlich waren.

Es gibt also viele indirekte Bezüge zum Kolonialismus, die erforscht werden müssen?

Genau, ein gutes Beispiel für einen indirekten Schweizer Bezug ist etwa der 1882 gestorbene Wirtschaftsführer Alfred Escher. Er selbst hatte nichts mit Sklavenhandel oder Kolonialismus zu tun, aber sein Onkel besass in Übersee eine Plantage, die von Sklaven bewirtschaftet wurde. Das Vermögen der Familie baute unter anderem auf Kolonialismus – und wenn Alfred Escher die Möglichkeit hatte, die ETH in Zürich zu gründen, dann deshalb, weil er vermögend war und sein Vermögen zum Teil auf Sklaverei gründete.

Das alles müssen wir aufarbeiten, weil es nun mal ein Teil unserer Geschichte ist. Unser Land und das Baselbiet haben andere Bevölkerungsgruppen auf rassistische Weise abgewertet und die indigene Bevölkerung jener Länder unterdrückt, um an ihre Rohstoffe zu kommen oder zum Beispiel mit Textilien zu handeln.

Die Debatte zu dem Thema wurde unter anderem durch Ihre Forschung zum umstrittenen Baselbieter Unternehmer Johann August Sutter angestossen. Was war er für eine Figur?

Er war ein erfolgloser Baselbieter Kaufmann, der in seiner Wahlheimat Sacramento durch Landschenkungen Grossgrundbesitzer und Gründer der Privatkolonie Neu-Helvetien wurde. Er wird dort und in seiner ursprünglichen Heimat Rüneberg und auch im deutschen Kandern, wo er einst aufwuchs, bis heute verehrt und idealisiert.

Sutter wanderte im Jahr 1834 in die USA aus – respektive er musste in einer Nacht-und-Nebel-Aktion fliehen, um vom Schulden- und Konkursamt nicht ins Gefängnis gesteckt zu werden. Er liess seine Frau und seine vier bis fünf Kinder zurück, und sie kamen in der Folge ins Armenhaus.

Klingt nicht sehr heldenhaft…

Nein, gar nicht. Und an seinem Beispiel sieht man, dass man sich manchmal schon genau überlegen muss, wen man auf einen Sockel stellt. Brisant an seiner Geschichte war, dass der Erfolg seines Kolonialunternehmens in Kalifornien auf Sklaven und Zwangsarbeiterinnen baute – auf Menschen, die er skrupellos entmenschlichte.

Gab es im Baselbiet weitere General Sutters oder war er eher eine Einzelfigur?

Es gab damals viele Schweizer, die in die USA auswanderten, und da gab es sicher weitere Geschäftsleute, die gleich handelten wie General Sutter. Sie sind aber weniger bekannt, weil sie nie derart verehrt und auf ein Podest gestellt wurden.

Das Thema ist erstaunlich emotionsbeladen. Wer General Sutter in Frage stellt, wird schnell einmal angefeindet und als Nestbeschmutzer bezeichnet. Will sich die Bevölkerung ihrer Vergangenheit nicht stellen?

Als ich zu General Sutter forschte, wurde ich von einigen wütenden Baselbietern tatsächlich als Nestbeschmutzerin beschimpft. Aber ich kann das ein Stück weit nachvollziehen. Es tut nun einmal weh, wenn man einen lieb gewonnenen Heldenmythos in Frage stellen muss. Schliesslich sind solche Figuren für viele Menschen ein Teil der eigenen Geschichte, der Erinnerung und damit der eigenen Identität.

Gerade ältere Generationen haben Mühe damit zu akzeptieren, dass Helden nicht nur Helden waren, sondern auch ihre dunklen Seiten hatten. Das gilt natürlich auch für jene Baselbieterinnen und Baselbieter, die mit der Heldengeschichte eines General Sutter gross geworden sind.

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Kommentare

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21.02.2023 12:10

marifred

Bin neben dem General Sutter Kirsch aufgewachsen.

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21.02.2023 12:08

marifred

Ja genau auch ich bin ein Sutter aber nicht General 🌞👍

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