Nach einem Jahr Musk ist von «Twitter» nicht mehr viel übrig
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Nach einem Jahr Musk ist von «Twitter» nicht mehr viel übrig

25.10.2023 11:10 - update 25.10.2023 15:39

Baseljetzt

Als Elon Musk Twitter kaufte, versprach er mehr Redefreiheit – die er allerdings ganz nach seinem Gusto interpretierte. Was ihn ärgern dürfte: Das grosse Geld hat er damit bis anhin noch nicht erwirtschaftet.

44 Milliarden Doller blätterte Musk vor einem Jahr für Twitter hin. Heute ist klar: X, wie die App seit Musks Übernahme heisst, ist eine andere Plattform. Das liegt nicht etwa an den Funktionen; diese gehen bei der angeblichen «App für alles» kaum über diejenigen seiner Vorgängerin hinaus.

Die Veränderungen, welche der Tech-Milliardär der Plattform aufgedrückt hat, sind eher inhaltlicher Natur. Da hilft es auch nicht, dass sich die Nutzer:innen dem Namenswechsel bewusst oder unbewusst widersetzen, wenn sie etwa weiterhin vom «twittern» sprechen.

Die früher kostenlosen weiss-blauen Häkchen, die Prominente oder Politiker:innen eindeutig auswiesen, kann sich jetzt für knapp zehn Dollar oder Euro jede:r kaufen: ohne echte Identitätsprüfung, was sie als Verifikations-Symbole eher sinnlos macht. Unternehmen können ihre X-Profile auch mit einem goldenen Häkchen-Symbol auszeichnen. Das kostet zum Beispiel in Deutschland 1130,50 Euro im Monat – plus 59,50 Euro für jeden verknüpften Mitarbeiter-Account.

Bühne frei für Hassrede und Hetze

Gleich zu Beginn wurde Musk rund die Hälfte seiner Mitarbeiter:innen los. Entlassen wurden dabei neben Programmier:innen insbesondere Teams, die für die Bekämpfung etwa von Hassrede und Falschinformationen auf der Plattform zuständig waren. Kein grosser Verlust aus Sicht des neuen Besitzers: Schliesslich habe das für Integrität von Wahlen zuständige Team diese eher untergraben, schrieb Musk. «Sie sind weg.»

Musk steht fest auf politischen Positionen der US-Rechten. Das alte Twitter habe Zensur im Sinne der Linken betrieben, behauptet er. Der «Woke-Gehirnvirus» zerstöre die Menschheit, die Demokraten von Präsident Joe Biden seien «eine Partei des Hasses», etablierte Medien seien rassistisch gegenüber Weissen, Schulen flössten «statt Wissen Gift in die Ohren unserer Kinder ein», und Europa drohe wegen der Einwanderung ein Bürgerkrieg – soweit nur einige von Musks Ansichten. Er dient für seine inzwischen gut 160 Millionen X-Follower auch gern als Verstärker ähnlicher Meinungen anderer Accounts.

Arbiträre Gewichtung bei Informationsverbreitung

Nach dem Überfall der islamistischen Hamas auf Israel sei eine kleine Gruppe aus sieben Accounts für einen beträchtlichen Anteil der Inhalte verantwortlich gewesen, die rund um den Konflikt bei X wahrgenommen worden seien, stellten die Forscher in ihrer Analyse fest.

In den ersten drei Tagen nach der Attacke seien gut 1800 Beiträge dieser Gruppe 1,6 Milliarden Mal gesehen worden. Die Accounts der «New York Times», CNN, BBC und der Nachrichtenagentur Reuters, die viel mehr Follower haben, seien in der Zeit mit 298 Beiträgen aber nur auf 112 Millionen Ansichten gekommen.

Sinkende Nutzerzahlen trotz mangelnder Alternativen

Nach wie vor braucht die Plattform Geld. Musk bestätigte mehrfach, dass die Werbeerlöse von X etwa halb so hoch seien wie einst bei Twitter. Er setzt auf Aboeinnahmen. So wurde eingeschränkt, wie viele Beiträge Gratisnutzer am Tag sehen können. In Neuseeland und auf den Philippinen können neue Nutzer testweise erst mit einer Gebühr von einem US-Dollar im Jahr Beiträge veröffentlichen sowie Posts anderer weiterverbreiten. Kostenlos können sie X nur passiv nutzen: Beiträge lesen, Videos ansehen, anderen Nutzern folgen.

Nicht nur Werbekunden, sondern auch einige Nutzer kehrten X den Rücken. Der Dienst selbst veröffentlicht keine Angaben zu Nutzerzahlen mehr. Die Analysefirma Apptopia geht aber davon aus, dass die tägliche Nutzerzahl seitdem von 140 Millionen auf 121 Millionen sank.

Zugleich hat sich in diesem Jahr keine vollwertige Alternative herausgebildet. Der Konkurrenzdienst Threads vom Facebook-Konzern Meta startete im Sommer zwar stark – die Aktivität der Nutzer liess aber schnell wieder nach. In der EU ist Threads nicht verfügbar. Die App Bluesky, die sehr an das alte Twitter erinnert, knackte erst im September die Marke von einer Million Nutzern. Und kurz vor dem Jahrestag des Twitter-Kaufs gab einer der Herausforderer auf: Pebble – ursprünglich bekannt unter dem Namen T2 – geht vom Netz. Man sei zu langsam gewachsen, um Investoren zu überzeugen, stellte Mitgründer und Chef Gabor Scelle fest. (sda/jes)

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