Putin nutzt Interview als Bühne: «Kein Interesse» an Invasion in Polen
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Bühne vor der Wahl
International

Putin nutzt Interview als Bühne: «Kein Interesse» an Invasion in Polen

09.02.2024 08:23 - update 09.02.2024 08:55

Baseljetzt

Wladimir Putin hat sich erstmals seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine ausführlich befragen lassen. Gegenüber Tucker Carlson sagte er unter anderem, ein Einmarsch in Polen und Lettland stehe ausser Frage – mit einer Ausnahme.

Auf die Frage, ob er sich ein Szenario vorstellen könne, in dem er russische Truppen nach Polen schicken würde, entgegnete Putin: «Nur in einem Fall: wenn Polen Russland angreift.»

Das 127 Minuten lange Interview wurde bereits am Dienstag aufgezeichnet und am Donnerstagabend (deutsche Nacht zu Freitag) zur besten Sendezeit in den USA veröffentlicht. Der für die Verbreitung von Falschmeldungen und Verschwörungstheorien bei seinem früheren Arbeitgeber Fox News bekannte Fernsehmann Carlson stellte Putins langatmige Ausführungen nicht infrage. Kritiker hatten dies schon im Vorhinein des Gesprächs als Grund ausgemacht, warum der Kremlchef dem Amerikaner ein Interview gewährt haben dürfte.

Man sei zum Dialog bereit

Erwartungsgemäss dominierte Putin das Gespräch, während Carlson davon absah, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine auch als solchen zu bezeichnen oder von einer Invasion zu sprechen. Putin wiederum legte dar, dass Russland überhaupt kein Interesse an Polen, Lettland oder anderen Ländern habe, Ängste vor einem russischen Angriff also unangebracht seien.

Putin nutzt Interview als Bühne: "Kein Interesse" an Invasion in Polen
Vladimir Putin im Gespräch mit Tucker Carlson. Bild: Keystone

«Warum sollten wir das tun? Wir haben einfach kein Interesse.» Es widerspreche dem gesunden Menschenverstand, sich auf «eine Art globalen Krieg» einzulassen. Den Nato-Staaten warf Putin vor, die eigene Bevölkerung mit dem Vorgaukeln einer «imaginären russischen Bedrohung» einzuschüchtern.

Mit Blick auf den Ukraine-Krieg sagte Putin gegen Ende des Interviews, man sei zum Dialog bereit – die Zeit für Gespräche sei gekommen, weil der Westen erkennen müsse, dass der Konflikt für ihn militärisch nicht zu gewinnen sei. «Früher oder später wird das in einer Einigung enden», sagte Putin. «Wenn diese Erkenntnis eingesetzt hat, müssen sie (der Westen) darüber nachdenken, was als nächstes zu tun ist.»

Ausschweifungen bis ins 13. Jahrhundert

Das in Moskau aufgezeichnete Interview erschien auf Carlsons Webseite und der Plattform X, vormals Twitter. Darin machte Putin zunächst langatmige Ausführungen über die Geschichte Russlands, holte bis ins 13. Jahrhundert aus und überreichte Carlson eine Mappe mit Dokumenten, «damit Sie nicht denken, dass mir etwas entgeht». Im Verlauf des Interviews rechtfertigte er den russischen Einmarsch in die Ukraine erneut mit angeblichen historischen Gebietsansprüchen und übte scharfe Kritik an der Nato sowie den USA.

Carlson liess den Kremlchef weitestgehend ausreden und hakte selten ein, baute mitunter aber auch rhetorische Rampen für Putin. An einer Stelle unterbrach er die historischen Ausschweifungen des russischen Präsidenten: «Können Sie uns sagen, in welcher Zeit? Ich verliere den Überblick darüber, wo in der Geschichte wir uns befinden.»

Evan Gershkovichs Situation

Am Ende sprach er Putin direkt auf den in russischer Untersuchungshaft sitzenden US-Journalisten Evan Gershkovich an und fragte, ob es Chancen auf dessen Freilassung gebe. Putin gab sich gesprächsbereit und deutete die Möglichkeit eines Gefangenenaustauschs an. «Es macht keinen Sinn, ihn in Russland im Gefängnis zu halten», so der Kremlchef. Die USA sollten vielmehr darüber nachdenken, wie sie zu einer Lösung beitragen könnten. Weitere Äusserungen Putins liessen sich so interpretieren, dass eine Freipressung des im Dezember 2021 verurteilten Tiergarten-Mörders Vadim K. gemeint sein könnte, der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.

Putin nutzt Interview als Bühne: "Kein Interesse" an Invasion in Polen
Carlson kündigte das Gespräch im Vorfeld gross an. Bild: Keystone

Im Dezember hatte das Weisse Haus mitgeteilt, Moskau habe ein Angebot Washingtons zur Freilassung des für das «Wall Street Journal» arbeitenden Journalisten abgelehnt. Gershkovich war Ende März 2023 auf einer Reportagereise in Jekaterinburg am Ural festgenommen worden. Die russische Staatsanwaltschaft wirft ihm Spionage vor. Der US-Amerikaner mit russischen Wurzeln und die Zeitung weisen die Vorwürfe ebenso zurück wie die US-Regierung.

Verschwörungstheorien, Falschmeldungen und Hetze

Carlson hatte das voraufgezeichnete Interview über Tage hinweg als grosses Medienereignis angepriesen. Das Gespräch mit dem 54-Jährigen Talkmaster dürfte dem international in der Kritik stehenden Kremlchef als willkommene Bühne vor der Präsidentenwahl am 17. März in Russland gedient haben, wie die russische Politologin Tatjana Stanowaja anmerkte. Putin habe Carlson für seine Zwecke genutzt, um einen Zugang zu US-amerikanischen Publikum zu finden. Gerade die Anhängerschaft des US-Republikaners Donald Trump, der erneut ins Weisse Haus einziehen will, steht Putin weniger kritisch gegenüber als viele andere Landsleute.

Der frühere Fox-News-Moderator Carlson erreicht über soziale Netzwerke ein Millionenpublikum. Vergangenes Jahr wurde er von dem erzkonservativen US-Sender gefeuert, ohne dass damals Gründe für den Rausschmiss genannt wurden. Er moderierte dort jahrelang eine quotenstarke Abendsendung. Diese nutzte Carlson dazu, um mit Falschbehauptungen gegen die Demokratische Partei und gegen Minderheiten zu hetzen. Kurz nach seinem Aus bei Fox News startete er eine eigene Show auf X.

Nichts für bare Münze zu nehmen

Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby, wies darauf hin, dass nichts, was in dem Interview gesagt wurde, für bare Münze zu nehmen sei. «Erinnern Sie sich daran, Sie hören Wladimir Putin zu», sagte er am Donnerstag in Washington.

Inzwischen hat Carlson Moskau wieder verlassen. Die Nachrichten-Website «Semafor» berichtete, er habe sich vor seiner Abreise auch mit Edward Snowden getroffen. Der US-Whistleblower, der 2013 das Ausmass der weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken der Vereinigten Staaten öffentlich gemacht hatte, lebt seit rund zehn Jahren im Exil in Russland. Nähere Details zu dem angeblichen Treffen waren zunächst nicht bekannt. (sda/mei)

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21.02.2024 20:15

mil1977

“mussten sie die ostukrainische Stadt Awdijiwka aufgeben”
Da nimmt die russische Armee die Ruinen einer einst 30.000 Einwohner zählenden Kleinstadt ein. Nach Monaten, vielen Toten, Unmengen zerstörten Materials.
Kein Wunder das man bei der Nato noch so entspannt zuschaut bei soviel Dilettantismus. Auch wenn V. Putin damit zufrieden ist, seine Ansprüche bis Lissabon werden wohl noch ein wenig dauern.

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