
Reform des deutschen Wahlrechts ist teils verfassungswidrig
David Frische
Die von der regierenden «Ampel»-Koalition beschlossene Reform des deutschen Wahlrechts ist in Teilen verfassungswidrig. Das urteilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Dienstag.
Ziel der Reform war es, die in den vergangenen Jahren immer grösser gewordene Zahl der Abgeordneten im nationalen Parlament wieder zu verkleinern.
Bei der Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts geht es um die Aufhebung der sogenannten Grundmandatsklausel im neuen Wahlrecht. Nach dieser zogen Parteien auch dann in der Stärke ihres Stimmenergebnisses in den Bundestag ein, wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde lagen, aber mindestens drei Direktmandate gewannen.
Dies setzte das Gericht nun vorerst wieder in Kraft, bis der Gesetzgeber eine Neuregelung verabschiedet hat. In jedem Fall soll die Zahl der Abgeordneten auf 630 begrenzt werden. Die nächste Bundestagswahl soll am 28. September 2025 stattfinden.
Eine Reform war seit Jahren überfällig, denn mit dem bis zur Wahl 2021 geltenden Wahlrecht war der deutsche Bundestag immer grösser geworden. Als Regelgrösse hat er 598 Sitze, stattdessen zogen nach der letzten Wahl aber 736 Abgeordnete in die Volksvertretung ein. Sie ist bereits das grösste frei gewählte Parlament weltweit.
Kompliziertes deutsches Wahlrecht
Grund dafür ist die komplizierte Mischform aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht in Deutschland. Bei einer Bundestagswahl hat jeder Wähler zwei Stimmen. Mit der Erststimme wählt er einen Abgeordneten in den 299 Wahlkreisen. Über die proportionale Sitzverteilung entscheidet die Zweitstimme. Holte eine Partei in einem Bundesland per Erststimmen mehr Sitze als ihr per Zweitstimme zustehen, erhielt sie bisher sogenannte Überhangmandate. Jahrzehntelang kam das nur recht selten vor. Seit den 90er Jahren wuchs aber die Zahl der Überhangmandate, weil sich das deutsche Parteiensystem wandelte und die Stimmanteile der Volksparteien CDU/CSU und SPD schrumpften.
Die von der Koalition aus SPD, FDP und Grünen durchgesetzte Neuregelung ist seit Juni 2023 in Kraft und soll erstmals im September 2025 angewendet werden. Überhang- und Ausgleichsmandate wurden gestrichen. Dies ist aus Sicht der Karlsruher Richterinnen und Richter verfassungskonform.
In Karlsruhe waren gegen das Gesetz die bayerische Staatsregierung, 195 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, die Linke im Bundestag sowie die Parteien CSU und Linke vorgegangen. Zudem hatten mehr als 4000 Privatpersonen eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Die Antragssteller und Beschwerdeführer sahen vor allem zwei Grundrechte verletzt: die Wahlrechtsgleichheit nach Artikel 38 und das Recht auf Chancengleichheit der Parteien nach Artikel 21 im Grundgesetz.
Regionalparteien können aufatmen
Die Grundmandatsklausel, die die «Ampel» gestrichen hatte, begünstigt im Parteien, die auf regionaler Ebene deutlich stärker sind als auf nationaler Ebenen. Dies gilt vor allem für die CSU in Bayern und die Linke in Ostdeutschland, die deshalb gegen das Gesetz Sturm gelaufen waren.
Bei der Wahl 2021 hatte die Linke nur 4,9 Prozent der nationalen Stimmen erzielt, kam aber trotzdem in den Bundestag, weil sie in Ostdeutschland drei Direktmandate holte. Anfang dieses Jahres hat sich die Partei gespalten, die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht gründete eine eigene Partei, die schon bei der Europawahl im Juni deutlich stärker abschnitt als die Linke.
Die CSU, die nur in Bayern antritt, hatte dort bei der jüngsten Wahl 45 von 46 Wahlkreisen direkt gewonnen. Auf nationale Ebene umgerechnet entsprach ihr Stimmenanteil aber nur 5,2 Prozent. Sie lief Gefahr, bei einem um nur 0,3 Punkte schlechteren Ergebnis aus dem Bundestag zu fliegen, obwohl sie in Bayern seit Jahrzehnten die dominante Partei ist. Diese Sorge hat ihr Karlsruhe nun genommen.
Bereits am späten Montagabend kursierte das Urteil online. Das Dokument war zeitweise auf der Internetseite des obersten deutschen Gerichts abrufbar, mehrere Medien berichteten darüber. Wie es zu der Veröffentlichung kam, blieb zunächst offen. (sda/daf)
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emab
das ist halt eben die gummi gesetze
spalen
da fragt man sich schon, warum gesetze nicht vorab auf herz & nieren geprüft werden. dass es dispute um details geben kann ist ok, aber grundsätzliche probleme dürften nicht vorhanden sein nach korrekter vorarbeit.