
Schlechtere Überlebenschancen für Frauen: Studie zeigt ungleiche Behandlung auf Intensivstationen
Larissa Bucher
Frauen haben in der Schweiz bei einem Herzstillstand schlechtere Überlebenschancen als Männer. Das zeigt eine aktuelle Studie aus Basel, die auf Ungleichheiten in der Intensivmedizin aufmerksam macht.
Forschende der Universität und des Universitätsspitals Basel haben Daten von rund 41’000 Patient:innen mit einem Herzstillstand in der ganzen Schweiz analysiert. Diese stammen aus dem Zeitraum zwischen 2008 und 2022 und zeigen: Es herrschen geschlechtsspezifische Unterschiede in der intensivmedizinischen Versorgung und den Überlebenschancen nach einem Herzstillstand.
Die Forschungsergebnisse werfen ein neues Licht auf mögliche Benachteiligungen von Frauen im medizinischen Versorgungssystem und rufen Expert:innen dazu auf, dringend Massnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit zu ergreifen.
Höhere Sterblichkeit bei Frauen
«Frauen haben eine höhere Sterblichkeit, besonders nach einem Herzstillstand, der sich ausserhalb eines Krankenhauses ereignet hat», sagt Studienautor Simon Amacher. Während knapp 42 Prozent der Frauen starben, waren es bei den Männern nur 36 Prozent. Das könne daran liegen, dass Frauen insgesamt schwerer erkrankt auf der Intensivstation ankommen oder, dass Entscheidungen bezüglich der Einstellung von lebenserhaltenden Massnahmen deshalb bei ihnen häufiger getroffen werden müssen. «Auch denkbar ist, dass Frauen aufgrund der weniger aggressiven Behandlungen eine höhere Sterblichkeit aufweisen.» Dies sei jedoch nur eine Annahme, da in der Studie dazu keine detaillierten Angaben gemacht werden können.
Auch soziokulturelle Faktoren dürften nicht ausgeschlossen werden, ergänzt Studienautorin Caroline Gebhard: «Da Frauen länger leben als Männer, sind ältere Frauen häufiger als ältere Männer alleinstehend. Bei einem Herzstillstand ausserhalb des Spitals führt dies dazu, dass niemand vor Ort ist, der die Wiederbelebungsmassnahmen einleitet – es kommt also erst zu verzögerten Wiederbelebungsversuchen. Das wiederum führt zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit zu überleben.»
Zudem zeigen frühere Studien, dass Frauen seltener eine Herz-Lungen-Wiederbelebung durch Ersthelfer:innen erhalten als Männer. Dies könnte dazu beitragen, dass sie in einem schlechteren Zustand auf der Intensivstation ankommen und damit auch schlechtere Überlebenschancen haben.
Frauen werden weniger behandelt
Besonders überrascht hat das Forschungsteam, dass Frauen grundsätzlich seltener auf die Intensivstation aufgenommen wurden und dort weniger komplexe Therapien erhielten, obwohl sie bei Aufnahme im Durchschnitt sogar kränker waren als Männer.
Dafür gäbe es laut den Forschenden mehrere mögliche Erklärungen. «Frauen sind beim Herzstillstand oft älter und haben mehr Vorerkrankungen, was die Entscheidung beeinflussen könnte, ob eine intensivmedizinische Behandlung durchgeführt wird. Zudem werden Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Frauen häufiger unterschätzt, verspätet diagnostiziert, und Symptome weniger ernst genommen.» Da ältere Frauen häufiger allein leben und niemandem zur Last fallen wollen, haben sie jedoch auch häufiger Patientenverfügungen oder lehnen aggressivere/invasivere Therapiemassnahmen eher ab als Männer. Auch das könne die Aufnahme auf die Intensivstation und auch die Intensität der Therapiemassnahmen und somit das Überleben beeinflussen.
Weniger lebenserhaltende Massnahmen
Ein wichtiger Punkt dabei sei, dass Frauen laut den Daten seltener invasive und lebenserhaltende Massnahmen erhielten – sowohl vor als auch während des Intensivaufenthalts. Während 54 Prozent der Männer bereits vor der Aufnahme auf der Intensivstation medizinische Interventionen erhielten, lag dieser Wert bei Frauen lediglich bei 44,7 Prozent. Dies könnte darauf hindeuten, dass Frauen entweder weniger aggressiv behandelt werden oder ihre gesundheitlichen Probleme nicht rechtzeitig erkannt werden.
Dazu kommt, dass Frauen weniger intensivmedizinische Massnahmen wie künstliche Beatmung oder medikamentöse Kreislaufunterstützung erhalten. tattdessen wurden bei ihnen häufiger Behandlungsbeschränkungen vermerkt, was möglicherweise zu einer erhöhten Mortalität beitrug. «Unsere Studie zeigt, dass bei Frauen häufiger Entscheidungen zur Begrenzung von lebenserhaltender Massnahmen getroffen wurden als bei Männern.»
Gesellschaftliche Massnahmen
Die Autor:innen der Studie weisen darauf hin, dass verschiedene Faktoren diese Unterschiede in der Behandlung beeinflussen könnten, darunter biologische Unterschiede, gesellschaftliche Vorurteile und unbewusste medizinische Entscheidungen. «Richtlinien und Behandlungsprotokolle basieren oft auf Daten, die vorwiegend aus männlichen Patientengruppen stammen. Dabei werden wichtige biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen – wie Körpergrösse, Organfunktionen, Muskelmasse oder der Abbau von Medikamenten – nicht immer ausreichend berücksichtigt.» Somit könnten traditionelle Geschlechterrollen und eine unterschätzte Risikowahrnehmung bei Frauen dazu führen, dass sie in Notfallsituationen weniger intensiv behandelt werden.
Um diese Ungleichheiten zu verringern, sollten klinische Leitlinien geschlechtsspezifische Faktoren systematisch berücksichtigen, und medizinisches Fachpersonal sensibilisiert werden. «Schulungen für medizinisches Personal über geschlechterspezifische Unterschiede in Krankheitsbildern und Symptomen, aber auch mögliche unbewusste Vorurteile in der Notfall- und Intensivmedizin sind eine gute Massnahme», meinen Gebhard und Amacher. Weiter sei es eine gute Idee, Algorithmen und evidenzbasierten Kriterien für die Aufnahme und Behandlung von Patient:innen zu nutzen.
Forderung nach gezielter Forschung
Das Forschungsteam plädiert ausserdem für zukünftige prospektive Studien mit detaillierteren Daten, um eine gerechtere Verteilung der intensivmedizinischen Ressourcen sicherzustellen und die Versorgungsgleichheit zwischen den Geschlechtern zu verbessern. Denn: Die Ergebnisse ihrer Studie zeige die Notwendigkeit weiterer Forschung klar auf. «Es braucht nun Studien, in denen nicht nur detaillierte medizinische Faktoren, sondern auch Entscheidungsprozesse, Patientenpräferenzen und soziokulturelle Einflüsse erfasst werden.» Nur so könne man herausfinden, welche Mechanismen genau hinter den beobachteten Unterschieden stehen.
Feedback für die Redaktion
Hat dir dieser Artikel gefallen?
Kommentare
Dein Kommentar
Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise
Kommentare lesen?
Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.
Sonnenliebe
Da muss endlich mal vorwärts gemacht werden.