
So geht es nach dem Nein zur BVG-Reform weiter
Baseljetzt
Das Stimmvolk hat die BVG-Reform abgelehnt. Was bedeutet das für die Pensionskassen und die Versicherten und wie könnte es bei den Reformbemühungen weitergehen? Ein von Keystone-SDA befragter Politologe und ein Pensionskassenexperte geben Auskunft.
Was bedeutet das Nein für die Versicherten?
Für sie bedeute der Entscheid, dass sich die Grundzüge der Leistungen aus der Pensionskasse nicht änderten. Das sagt Simon Tellenbach, Geschäftsleitungsmitglied der VZ Versicherungszentrum AG. «Steigt die Lebenserwartung weiter, so ist von weiteren Senkungen der Umwandlungssätze auszugehen, was tiefere Renten bedeutet», sagt Tellenbach weiter. Insbesondere Teilzeitbeschäftigte sollten ihm zufolge prüfen, wie ihre Vorsorge im Rahmen der zweiten Säule aussieht. Denn je nach Vorsorgeplan könne der Versicherungsschutz ungenügend ausfallen. Die BVG-Reform habe ja vorgesehen, dass die Spargutschriften der älteren Versicherten im Vergleich zu den aktuellen Bestimmungen tiefer ausfallen würden, um diese Altersgruppe im Arbeitsmarkt attraktiver zu machen. Im Gegenzug wären höhere Spargutschriften der jüngeren Versicherten vorgesehen gewesen. «Diese Anpassung wird es nun so nicht geben.»
Was bedeutet der Entscheid für die Schweizer Pensionskassen?
Das Nein bedeute für die Kassen zuerst einmal, dass sich für sie nichts ändere, sagt Tellenbach. Unbestritten sei, dass es in der zweiten Säule einen Reformstau gebe. Das Gesetz sei 1985 in Kraft getreten und sei erst im Jahr 2006 revidiert worden. Seit dann habe es keine nennenswerten gesetzlichen Veränderungen gegeben. «Dass der gesetzliche Umwandlungssatz zu hoch ist, sind sich die Experten einig.» Das setze die Pensionskassen im obligatorischen Bereich weiterhin unter Druck. Pensionskassen könnten diesem Umstand entgegenwirken, indem sie auch überobligatorische Leistungen versicherten, mit welchen sie den Druck aus den gesetzlichen Mindestvorgaben kompensieren könnten. «Auch unverändert bleibt, dass der Versicherungsschutz des BVG für Teilzeitmitarbeitende in der Regel ungenügend ist, sofern diese Versicherten nicht freiwillig besser versichert werden.»
Was bedeutet das Nein für die finanzielle Situation der Schweizer Pensionskassen?
Vor allem Pensionskassen, die hauptsächlich obligatorische Mindestleistungen versicherten, blieben unter Druck, sagt Tellenbach. «Auch wird es weiterhin eine Umverteilung geben, um die gesetzlichen Mindestrenten zu garantieren, also von der erwerbstätigen Bevölkerung zu den Rentnern.»
Was sollen Versicherte tun, welche von der abgelehnten Vorlage profitiert hätten?
Pensionskassenexperte Tellenbach rät ihnen, sich frühzeitig mit den Vorsorgeleistungen auseinanderzusetzen. «Denn reichen die Leistungen nicht aus, sollte selbst vorgesorgt werden.» Deshalb sei es wichtig, sich ein genaues Bild zu machen, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. «Insbesondere in Bezug auf die Pensionierung raten wir, sich ab fünfzig mit der Planung auseinanderzusetzen. So können noch frühzeitig allfällige Vorsorgelücken gefüllt und die richtigen Entscheidungen in Bezug auf die (Teil-)Aufgabe der Erwerbstätigkeit gefällt werden», sagt der Fachmann.
Wieso scheiterte die Reform?
«Damit eine politische Reform Chancen hat, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein», sagt der Politologe Urs Bieri, Co-Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern. Erstens müssten Mehrheiten ein Problem attestieren, das nach einer zeitnahen Lösung verlange. Zweitens müsse die Reform eine mehrheitlich akzeptierte Lösung für dieses Problem sein. Die BVG-Reform sei schon an der breiten Problemwahrnehmung gescheitert. «Namhafte Stimmen bestritten, dass die Finanzierungssituation bei Pensionskassen eine Senkung überhaupt nötig macht», sagt Bieri. Die falschen AHV-Zahlen seien in diesem Zusammenhang ein zentrales Schlüsselereignis während der Hauptkampagne gewesen; sie hätten die Zweifel gegenüber dem Problem bestärkt. «Im so entstandenen Tohuwabohu verloren Zahlen und Analysen zur Fassung des Problems jeglichen Wert und damit galt schlussendlich nicht zuletzt: Wenn es kein Problem gibt, muss es nicht gelöst werden.» Auf der anderen Seite hätten aber auch Zweifel an der Reform als Lösung überwogen. «Linksgewerkschaftliche Kreise fokussierten erfolgreich auf die Aspekte der Leistungskürzung, Vertreterinnen und Vertreter von Niedriglohnbranchen bemängelten die Mehrkosten einer Senkung des Koordinationsabzugs, während eine laute Diskussion über eine ungerechtfertigte Bereicherung Pensionskassen und Lebensversicherer als Ansprechperson nachhaltig diskreditierte.» Damit habe diese Niederlage verschiedene Väter und Mütter. Eine Korrektur hin zu einer mehrheitsfähigen Reform sei nicht einfach.
Wie könnte eine Reform des Pensionskassengesetzes gelingen?
«Sicher braucht es eine breite Diskussion zum Problem», sagt Bieri. «Gibt es eine Umverteilung von Jung zu Alt wegen eines zu hohen Umwandlungssatzes? Sind Verwaltungskosten wirklich ungebührlich hoch? Und stimmt Leistungsumfang und Stossrichtung des BVG für die Bedürfnisse unserer heutigen Gesellschaft?» Vor einer neuen Reform brauche es ein mehrheitliches Problemverständnis. «Zudem: Es ist sicher von Vorteil, wenn das nächste Mal während eines Abstimmungskampfes keine Korrekturen an offiziellen Zahlen publiziert werden.»
Wie sollte es für die Linken und für die Bürgerlichen nach dem Nein an der Urne weitergehen?
Die Berner SP-Ständerätin Flavia Wasserfallen sagte im Schweizer Fernsehen SRF, Abbauelemente hätten bei der Vorlage im Vordergrund gestanden. Das habe zur Ablehnung geführt. Wenn der Umwandlungssatz gesenkt werden solle, brauche es eine Kompensation, welche diesen Namen auch verdiene, und der habe gefehlt. Die bürgerliche Mehrheit im Parlament habe nicht auf die Bedenken der Linken und teilweise auch des Bundesrats gehört. Sie müsse nun die Lehren ziehen. Es brauche eine ausgewogene Vorlage. Sie verwies auf mehrere von der Linken neu eingereichte Vorstösse in den eidgenössischen Räten zugunsten von Teilreformen des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG). So verlangt etwa die SP-Fraktion in einer Motion, Mehrfachbeschäftigte und Teilzeitarbeitende in der zweiten Säule besser zu versichern. Anpassungen an der zweiten Säule bleiben also im Parlament ein Thema. Die Zürcher FDP-Nationalrätin Regine Sauter vom Ja-Komitee hingegen sagte, sie ärgere sich über die «konstante Schlechtmachung» der zweiten Säule von Seiten der Linke. Diese wolle die zweite Säule nicht stärken, sondern noch mehr Umverteilung auch in der beruflichen Vorsorge. «Da werden wir nicht Hand bieten.» Es brauche ein ausgewogenes Gesamtkonzept. «Man kann nicht an einer Schraube drehen und glauben, es passiert auf der anderen Seite nichts.» Das Ja-Komitee zur BVG-Reform teilte mit, die «Blockadepolitik» müsse überwunden werden, um das bewährte, in der Bevölkerung breit akzeptierte Dreisäulensystem der Schweizer Altersvorsorge in die Zukunft zu führen.
Wie regieren Parteien, Organisationen und Verbände auf das Nein an der Urne?
Der Schweizer Arbeitgeberverband teilte mit, die erwünschte Stabilisierung der zweiten Säule sei «einmal mehr» verpasst worden. Nun würden jene Kreise, welche aus politischen Gründen die Modernisierung dieser Säule bekämpft hätten, «umso lauter behaupten, stattdessen brauche es umso dringender einen Ausbau der AHV». Der Dachverband der Arbeitnehmenden Travail Suisse interpretierte das Resultat als Zeichen, «dass die Bevölkerung keine Verschlechterungen bei den Renten akzeptiert und eine nachhaltige und soziale Lösung fordert». Für Arbeitnehmende mit tiefen Einkommen sei die AHV die wichtigste Säule der Altersvorsorge. Nachhaltige und faire Reformen der Altersvorsorge müssten deshalb unbedingt beide Säulen berücksichtigen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) schrieb, es brauche nun einen Kurswechsel in der Altersvorsorge. Statt Rentensenkungen seien höhere Verzinsungen der Altersguthaben und der Teuerungsausgleich auf den Renten angesagt. Für den Schweizerischen Pensionskassenverband Asip belässt das Schweizer Volk mit dem Nein zur BVG-Vorlage die Verantwortung für die Anpassung der beruflichen Vorsorge an die gestiegene Lebenserwartung und den veränderten Arbeitsmarkt «weiterhin bei den Pensionskassen». Dieser Aufgabe würden die Vorsorgeeinrichtungen «zweifellos gerecht». Die Politik müsse nun «in einem Marschhalt grundlegend über die Bücher und das angeknackste Vertrauen in die zweite Säule zurückgewinnen». (sda/lab)
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Sensifer
👍🏻👍🏻👍🏻
Sonnenliebe
Sehr gut, dass es abgelehnt worden ist!