Teil 1 der Serie «Aus einer anderen Zeit»:  Mein liebes Tagebuch
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Fiktionale Texte
Unterhaltung

Teil 1 der Serie «Aus einer anderen Zeit»: Mein liebes Tagebuch

17.01.2023 21:23 - update 06.02.2023 17:07
Pascal Kamber

Pascal Kamber

Immer wieder stösst man in Brockenhäusern auf Schriftstücke aus einer anderen Zeit. Von Fundstücken inspiriert entstand auf der Baseljetzt-Redaktion eine Serie mit fiktionalen Geschichten über Menschen aus Basel.

Auf der Suche nach Schriftstücken und Notizen aus einer anderen Zeit ist die Baseljetzt-Redaktion durch die Brockenhäuser der Stadt Basel gestreift. Inspiriert von alten Postkarten, Notizen und Fotos sind fiktionale Geschichten von Baslerinnen und Baslern aus verschiedenen Jahrzehnten entstanden.

Der erste Text der Serie bezieht sich auf diese Postkarte aus dem Jahr 1957:

Teil 1 der Serie «Aus einer anderen Zeit»:  Mein liebes Tagebuch
Die Postkarte aus dem Jahr 1957 entdeckte die Redaktion in einem Basler Brockenhaus.

Mein liebes Tagebuch

Jetzt weile ich bereits seit einer Woche im Institut St. Elisabeth in Schaan. Meine Bedenken waren unbegründet: Die Schwestern sind alle nett zu mir und ich spüre langsam, wie sich mein Körper und meine Seele von der Hektik der vergangenen Wochen erholen. Hinter den dicken Klostermauern ist der Alltag ruhig und unspektakulär – genau so, wie ich es mir erhofft habe. In Basel hingegen scheint wegen der «Affenhitze» der Teufel los zu sein: Meine Nichte Susanne – ach, wie ich sie vermisse! – berichtet von tumultartigen Szenen in der Innenstadt. Wie diese wohl ausschauen mögen?

Bereits jetzt kratzt das Thermometer an der 30-Grad-Marke, und für die kommenden Tage sagen die Wetterexperten eine noch stärkere Hitzewelle voraus. Wahrscheinlich streiten sich die «Weiber» in den Modehäusern deshalb wie wild um die passenden Badekleider. Das Gekreische wird vermutlich bis über die Stadtgrenzen hinaus zu hören sein. Und die Doktoren werden sicherlich eine Zunahme bei der Behandlung von Kratzspuren und von Ellbogen verursachten Blessuren verzeichnen.

Hier muss ich aber gestehen: Ein bisschen kann ich die jungen Damen verstehen. Wer will schon mit der falschen Konfektionsgrösse im Gartenbad St. Jakob erscheinen, wenn sich die Massen gemeinsam zur ersehnten Abkühlung treffen? Schliesslich könnte sich unter den vielen Leuten ja der Richtige für die Zukunft befinden.

Trotzdem tun mir die Angestellten leid, die im ganzen Chaos den Überblick behalten und nach Ladenschluss die Unordnung wieder aufräumen müssen. Und so ganz unter uns: Für eine Dame von Welt gehört sich ein solch unartiges Benehmen einfach nicht!

Da lobe ich mir meine Nichte, die bereits in ihren jungen Jahren ein waches Gemüt an den Tag legt. Sie liebäugelt damit, sich lieber mit einem Bierbrauer anzufreunden, als bei diesem bunten Treiben mitzumachen. Das komme sie billiger – wie recht sie doch hat!

Beim Schreiben dieser Zeilen bin ich aber gottenfroh, dass ich den Sommer im schattigen Klostergarten verbringen darf. Fernab der Unruhen in der Heimat.

Ich denke, ich bleibe noch ein Weilchen.

Du hast eine alte Postkarte, ein altes Dokument, einen Brief oder ein altes Foto, welches du gerne in einer fiktiven Geschichte wiederfinden würdest? Schick es uns zu auf lea.meister@telebasel.ch.

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