Über 1’000 Missbrauchs-Fälle in der Schweizer katholischen Kirche
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Analyse
Schweiz

Über 1’000 Missbrauchs-Fälle in der Schweizer katholischen Kirche

12.09.2023 09:58 - update 14.09.2023 15:37

Baseljetzt

Katholische Kleriker und Ordensangehörige haben in der Schweiz seit 1950 mindestens 1’002 Fälle von sexuellem Missbrauch begangen. Bei diesen identifizierten Fällen handle es sich nur um die Spitze des Eisbergs.

Das zeigt die erste Analyse von Geheimarchiven römisch-katholischer Institutionen durch Historikerinnen und Historiker der Universität Zürich (UZH). Der am Dienstag veröffentlichte Bericht dokumentiert Missbrauchstaten von problematischen Grenzüberschreitungen bis hin zu schweren schwersten, systematischen Vergewaltigungen und Schändungen. Zahlreiche Fälle seien von der katholischen Kirche verschwiegen, vertuscht oder bagatellisiert worden, sagte Studienautorin Lorraine Odier am Dienstag vor den Medien.

Die 1’002 Missbrauchsfälle, welche die Forschenden für die Zeit seit 1950 belegen konnten, wurden von 510 Personen an 921 Opfern verübt, wie der am Dienstag veröffentlichte Bericht zeigt. Knapp 56 Prozent der Opfer waren männlich. Die Täter waren bis auf wenige Ausnahmen Männer.

In 74 Prozent der Fälle waren die Opfer minderjährig. In 12 Prozent der Fälle war das Alter nicht feststellbar, die restlichen Opfer waren erwachsen. Das sei bemerkenswert, sagte Studienautorin Marietta Meier. Bisherige Studien hätten sich meist ausschliesslich auf minderjährige Opfer fokussiert, viele Fälle seien so nicht erfasst worden.

Ganze Schweiz betroffen

Fälle sexuellen Missbrauchs sind laut dem Bericht für die ganze Schweiz und den gesamten Untersuchungszeitraum belegt. Tendenziell nahm deren Zahl im Verlauf der Untersuchungsperiode ab.

Knapp 22 Prozent der ausgewerteten Fälle ereigneten sich zwischen 1950 und 1959 und über 25 Prozent zwischen 1960 und 1969. Den darauffolgenden drei Jahrzehnten konnten jeweils noch rund ein Zehntel der Fälle zugeordnet werden. Von 2000 bis 2022 fanden schliesslich noch 12 Prozent der Fälle statt.

Ministrantendienst und Kinderheime

Die Hälfte der Missbrauchsfälle wurden gemäss Auswertung im Rahmen der Pastoral verübt. Das bezeichnet das Wirken von Priestern und anderen kirchlichen Angestellten in einer ihnen zugeordneten Gemeinde. Die Täterschaft bestand demnach zu einem wesentlichen Teil aus Priestern, die als Pfarrer, Pfarrvikare oder Kaplane in Pfarreien tätig waren, sowie in geringerem Masse aus einem erweiterten Kreis von kirchlichen Angestellten. Der sexuelle Missbrauch wurde also etwa in Rahmen der Seelsorge, des Ministrantendienstes oder des Religionsunterrichts verübt.

Rund 30 Prozent der Fälle wurden in katholischen Heimen, Schulen, Internaten und ähnlichen Anstalten verübt. Ein kleiner Teil der Fälle (rund zwei Prozent) wurden innerhalb von Orden festgestellt.

Die Spitze des Eisbergs

Bei den aufgedeckten Fällen handle es sich zweifellos nur um die Spitze des Eisbergs, hiess es auch im Bericht. Nicht alle Fälle sexuellen Missbrauchs hätten noch heute auffindbare Spuren in den Archiven hinterlassen. Zudem haben die Forschenden bisher nicht alle Dokumente ausgewertet.

Für zwei Diözesen konnten die Forschenden die Vernichtung von Akten belegen. In den anderen ist laut dem Bericht aufgrund der Bestimmungen des kanonischen Rechts eine solche für bestimmte Zeiträume ebenfalls anzunehmen. Es ist zudem teilweise belegt, dass Meldungen von Betroffenen nicht konsequent schriftlich festgehalten wurden und dass nicht alle Meldungen Eingang in die Archive gefunden haben.

Systematische Vertuschung

Ein grosser Teil der Fälle sexuellen Missbrauchs seien systematisch vertuscht worden, erklärten die Studienautorinnen und -autoren. Eine zentrale Strategie war dabei die Versetzung von fehlbaren Priestern – sowohl innerhalb der Schweiz als auch ins Ausland. Damit sollte die öffentliche Thematisierung von Missbräuchen unterbunden und das gesellschaftliche Wissen um die Vergehen von katholischen Klerikern und anderen Angestellten eingeschränkt werden. Durch die Versetzung ins Ausland wurde zudem oft eine weltliche Strafverfolgung vermieden, wie die Autoren erklärten.

Erst ab den 2000er-Jahren konnten die Forschenden einen grundsätzlichen Wandel des Umgangs der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch feststellen. So erliess die Schweizer Bischofskonferenz nach der Jahrtausendwende Richtlinien zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs sowie zu deren Prävention und gründete diözesane Fachgremien, die sich mit gemeldeten Fällen befassen sollten. Diese Gremien weichen jedoch in ihrer Arbeitsweise bis heute deutlich voneinander ab und sind unterschiedlich stark professionalisiert.

Forschung wird weitergeführt

Die Pilotstudie umfasste sämtliche Schweizer Diözesen, die staatskirchenrechtlichen Strukturen und die Ordensgemeinschaften. Auftraggeber der Studie waren die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK), die Konferenz der Ordensgemeinschaften und anderer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens in der Schweiz (Kovos) und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ).

Das Forschungsprojekt werde nahtlos weitergeführt, hiess es. Es soll etwa untersucht werden, welche Verantwortung der Staat trage, und inwiefern katholische Spezifika den sexuellen Missbrauch allenfalls begünstigten. (sda/jwe)

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Kommentare

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12.09.2023 15:40

step

Was macht eigentlich die Polizei?

0 0
12.09.2023 08:16

Tschuegge

alles Kinderficker …. hinter Gitter mit allen ….

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