Wut geht viral: Wie Social-Media-Accounts deine Emotionen für Klicks manipulieren
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«Rage Baiting»
International

Wut geht viral: Wie Social-Media-Accounts deine Emotionen für Klicks manipulieren

18.03.2024 12:01 - update 18.03.2024 16:06
Larissa Bucher

Larissa Bucher

«Rage Baiting» wird in den sozialen Medien immer beliebter. Das Ziel ist es, Emotionen wie Wut, Empörung und Frustration gezielt zu schüren, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Das hat auch negative Seiten.

Hast du schon mal ein Video auf Tiktok oder Instagram gesehen, das dich so wütend machte, du hast es direkt mit deinen Freund:innen geteilt oder vielleicht sogar deine Meinung darunter kommentiert? Wenn ja, wurdest du wahrscheinlich Opfer von «Rage-Baiting».

«Rage Baiting» bezieht sich nämlich auf Content in den Sozialen Medien, der dich bewusst wütend macht, um so Aufmerksamkeit zu erregen, Engagement zu steigern und letztendlich die Reichweite von Inhalten zu erhöhen. Das kann in verschiedenen Formen auftreten, sagt Social Media-Expertin Lorella Liuzzo.

«Es kann sich um kontroverse Meinungen, provokante Aussagen, absichtlich irreführende Informationen oder extreme Herausforderungen handeln.» Die Inhalte seien oft polarisierend, um starke Meinungsverschiedenheiten unter den User:innen zu erzeugen, was zu hitzigen Diskussionen in den Kommentarbereichen führt.

Ein bekanntes Phänomen

In den vergangenen Jahren wurde «Rage Baiting» immer bekannter. Ein neues Phänomen sei es jedoch nicht, erklärt Liuzzo. «Die Taktik, emotionale Reaktionen (insbesondere Wut)  zu provozieren, um Engagement zu erhöhen, gibt es schon lange, sogar vor dem Aufkommen sozialer Medien.» So werde in traditionellen Medien immer wieder ein ähnliches Verhalten – in Form von reisserischen Schlagzeilen oder kontroversen Themen – sichtbar.

Was «Rage Baiting» in der digitalen Ära, besonders auf Plattformen wie TikTok, einzigartig macht, sei die direkte und sofortige Wechselwirkung zwischen Content-Creators und deren Community, sagt Liuzzo. Dazu kommt die Anonymität des Internets kombiniert mit den Algorithmen der jeweiligen Plattformen. Diese bevorzugen Inhalte mit hohem Engagement und fördern somit deren Verbreitung. Den Plattformen sei es nämlich egal, ob Content aufbauend oder toxisch ist. Ihnen ist nur wichtig, dass mit dem Content interagiert wird.

Dass sich Wut in sozialen Medien schneller und kraftvoller ausbreitet, ist laut Liuzzo übrigens auch durch Daten belegt. Forscher der Beihang Universität in China fanden 2013 heraus, dass Weibo-Nutzer Ekel und berechtigte Empörung öfter teilten als Inhalte, die Emotionen wie Freude und Traurigkeit hervorriefen. «Rage Baiting» ist also ein sehr effektives Tool zum Steigern der Reichweite.

Negative Aspekte für User:in und Gesellschaft

Auf lange Sicht führt «Rage Baiting» aber dazu, dass die Social Media-Plattformen von emotional aufgeladenen und kontroversen Inhalten dominiert werden, während wichtige Diskussionen und sachliche Inhalte in den Hintergrund gedrängt werden. Dadurch können bestehende Meinungsverschiedenheiten verstärkt, die Spaltung der Gesellschaft vertieft und aggressiven Feindseligkeit zwischen verschiedenen Gruppen gefördert werden.

«Menschen erhalten durch den Content einen Kanal, um ihre ganze Wut, die oftmals nicht mit dem eigentlichen Video zu tun hat, rauszulassen», meint Liuzzo. Somit würde sich viel Negativität und Hass im Netz tummeln, was zu mehr Auseinandersetzungen und einem verzerrten Blick der Realität führe.

Auch für die einzelnen User:innen kann «Rage Baiting» negative Nebenaspekte mit sich bringen. Die ständige Exposition zu emotional belastenden Inhalten kann nämlich zu Angstzuständen, Depressionen und anderen psychischen Gesundheitsproblemen führen. Um diese negativen Auswirkungen einzudämmen, ist es wichtig, dass sich Nutzer:innen der «Rage Baiting»-Taktiken bewusst sind und dadurch manipulative Inhalte erkennen können. «Wenn mich ein Video wirklich aufregt, kann ich ja einfach wegswipen und den Creator blockieren, statt wütende Kommentare zu hinterlassen, die den Algorithmus befeuern», erklärt Liuzzo.

Emotionale Alltagssituationen

Oftmals ist nämlich auf den ersten Blick nicht erkennbar, ob es sich bei einem Video um «Rage Bait» handelt oder nicht. So sind es häufig Alltagssituationen, die authentisch gefilmt und dargestellt werden. Dementsprechend fallen auch die Reaktionen authentisch und emotional aus.

Zurzeit geht es bei dem Content vor allem um Themen, die einen Nerv bei den User:innen treffen und ein echtes Problem in der Gesellschaft darstellen. Genau deshalb seien diese Videos so erfolgreich, sagt Liuzzo. «Menschen fühlen diese Wut, weil sie vielleicht Erfahrungen mit dieser Situation gemacht haben.»

Ein Beispiel der Expertin: Ein Pärchen, das vorgibt, eine extrem toxische Beziehung zu führen und eine sehr ungesunde Konflikt-Dynamik zu haben. Die Frau «filmt», wie der Mann sie herumkommandiert und von ihr erwartet, zwei Tage nach der Geburt ihres Kindes einen Sonntagsbraten zu kochen.

Das Video aus diesem Beispiel ging viral. «Da viele Menschen Erfahrungen mit Erwartungen und Konflikte in Beziehungen haben, können sie sich damit identifizieren. Ihre Wut ist nicht neu, sondern existiert schon länger basierend auf den Erfahrungen, die sie gemacht haben.»

Der Unterschied zu Satire

Unterscheiden muss man diesen Content von satirischem «Rage Baiting», sagt die Expertin. «Manche Accounts betreiben auch indirekten Aktivismus, indem sie sich über nicht ganz ungefährliche Trends und Bewegungen lustig machen, aber auch Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken.» Ein Beispiel dafür: Die Tiktokerin @lifewithevykay. Sie gebe vor, eine fromme Hausfrau zu sein und ein Leben mit ultrakonservativen traditionellen Werten zu führen.

Damit macht sie sich laut Liuzzo über die aktuelle #TradWife Bewegung lustig, bei der Frauen und Männer den Feminismus und die Freiheit der Frau für das Unglück der Gesellschaft verantwortlich machen und konservative Werte propagieren. Ein weiteres Beispiel sind Creators wie @kqtiewhitney die sich durch übertriebene Videos indirekt über gängige «Cute»-TikTok-Trends und «Pick Me Girls» lustig machen.

@kqtiewhitney What do u guys hate about being smol? 😣 For document issues use the iScanner app!!! 🥺💖 #iscanner #fyp #foryou #foryoupage #cringe #ick #pov #pickme ♬ original sound – katie

In einer Zeit, in der soziale Medien einen immer grösseren Einfluss auf unser Leben haben, ist es also entscheidend, die Auswirkungen von «Rage Baiting» ernst zu nehmen und sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Schliesslich liegt es in der Verantwortung der Nutzer:innen, die negativen Tendenzen zu erkennen und aktiv dagegen vorzugehen.

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