Werden zu viele privat versicherte Herzen operiert?
©Bild: KEYSTONE
Krankheitskosten
Schweiz

Werden zu viele privat versicherte Herzen operiert?

20.01.2023 16:57 - update 20.01.2023 20:54

Riccardo Ferraro

Eine Studie der Uni Basel und des Kantonsspitals Aarau zeigt: Die Wahrscheinlichkeit, am Herzen operiert zu werden, ist höher, wenn der Patient privat versichert ist. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Das Schweizer Gesundheitswesen gehört zu den teuersten der Welt: Dank der obligatorischen Krankenversicherung haben alle Personen Zugang zu einer ausgezeichneten medizinischen Versorgung. Mit einer freiwilligen Zusatzversicherung lassen sich bei einer stationären Behandlung zudem weitere Leistungen sichern, zum Beispiel ein Einzelzimmer oder freie Arztwahl.

Während bei der Grundversicherung pauschal abgerechnet werden muss, können die Spitäler bei zusatzversicherten Personen weitere Honorare abrechnen. Möglicherweise werden so erhöhte finanzielle Anreize für Ärzte gesetzt – und diese können wiederum zu unnötigen Behandlungen bei Zusatzversicherten führen. Das findet eine Studie der Uni Basel und des Kantonsspitals Aarau.

Statistische Auswertung

Die Studienautor:innen haben untersucht, ob es Unterschiede in der Behandlung von Herz- Kreislaufbeschwerden gibt, je nachdem wie die Patienten versichert sind.

Sie haben Daten von insgesamt 590’000 erwachsenen Patientinnen und Patienten ausgewertet, die in den Jahren 2012 bis 2020 stationär behandelt worden waren. Zirka jede Fünfte davon betraf eine Herz- Kreislaufbehandlung. Davon wurden 64,4 Prozent über die Grundversicherung abgerechnet. 

Zusatzversicherte werden tendenziell öfter behandelt

Ganz allgemein zeigt sich eine Zunahme der Eingriffe am Herzen – mit Ausnahme der ersten beiden Covid-19-Wellen im Jahr 2020. Diese Zunahme sei unabhängig von der Versicherung der Patienten, schreibt die Universität. Gründe für die Zunahme könnten etwa sein, dass die medizinischen Eingriffsmöglichkeiten zugenommen haben und die Gesellschaft älter wird. So gibt es etwa mehr medizinische Möglichkeiten, um Herzklappen-Operationen bei älteren Patient:innen durchzuführen.

Trotzdem zeigt die Studie: Bei den Zusatzversicherten war die Wahrscheinlichkeit, einen kardiovaskulären Eingriff zu erhalten, um 11 Prozent höher als bei grundversicherten Personen. Das sind schweizweit 895 zusätzlichen Operationen pro Jahr. «Wir beobachten ein Missverhältnis in der Behandlung der beiden Gruppen, das sich nicht durch die Patientenmerkmale erklären lässt», hält Studienautor Dr. Tristan Struja fest.

Dabei stellt sich die Frage nach einer möglichen Überbehandlung. Ob ein Eingriff nämlich notwendig ist, ist zum Teil auch ein Ermessensentscheid. Gerade bei schwierigen Fällen könnte so ein finanzieller Anreiz bestehen, eher einmal einen Eingriff mehr durchzuführen. «Unsere Daten weisen darauf hin, dass Personen mit Zusatzversicherungen Behandlungen erhalten, die sich medizinisch nur schwer rechtfertigen lassen und daher möglicherweise unnötig sind», so Struja.

Dazu kommt: Personen mit einer privaten Zusatzversicherung seien tendenziell besser ausgebildet, verfügten über ein höheres verfügbares Einkommen, seien gesünder und würden seltener in ein Spital eingewiesen als Personen, die nur eine Grundversicherung hätten. Folglich sollten gemäss der Studie an ihnen sogar weniger Eingriffe vorgenommen werden.

Das jetzige System überdenken

Die Gründe für die unterschiedliche Behandlung werden nicht in klinischen Überlegungen vermutet: «Wir nehmen an, dass Personen mit einer privaten Zusatzversicherung die medizinische Versorgung stärker in Anspruch nehmen, unter anderem weil sie mehr Geld für ihre Krankenversicherung ausgeben», so Prof. Dr. Philipp Schütz, Forschungsgruppenleiter am Departement Klinische Forschung der Universität Basel. «Gleichzeitig bestehen für die Spitäler klare ökonomische Anreize, an dieser lukrativen Patientenklasse Eingriffe im stationären Rahmen vorzunehmen, anstatt darauf zu verzichten oder sie zumindest ambulant durchzuführen.»

Die Pauschalen für Privatpatient:innen sollten überdenkt und die Anreize stärker auf die Qualität der Versorgung ausgerichtet werden, so die Studienautor:innen. So könnte etwa die Lebensqualität nach dem Eingriff durch eine transparente und systematische Nachbefragung analysiert und die Pauschalen daran gekoppelt werden.

Feedback für die Redaktion

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Kommentare

Dein Kommentar

Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise

Kommentare lesen?

Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.