Wie Games in Schweizer Klassenzimmern Geschichte unterrichten
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Bildung
Baselland

Wie Games in Schweizer Klassenzimmern Geschichte unterrichten

07.05.2023 07:24 - update 07.05.2023 19:45

Brendan Bühler

An einer Binninger Schule wurde ein Game über den zweiten Weltkrieg getestet. Den Schüler:innen gefällt die Modernisierung des Unterrichts. Der Lehrerin ebenso.

Es ist dunkle Nacht in Amsterdam. Das Jahr 1943. Ein junges jüdisches Mädchen hüpft über die Dächer der schlafenden Stadt. Der Puls ist hoch. Ihr Ziel: Überleben und den Nationalsozialisten entkommen. Alles ist dunkel. Farben fehlen. Die Reise wird das Mädchen bis nach Basel bringen. Eine Fluchtroute, die während der Zeit des Nationalsozialismus üblich war.

Doch während diese Geschichte fiktiv ist, könnte sie sich so ähnlich zugetragen haben. Nun wird sie erlebbar im Rahmen des Computerspiels «When We Disappear». Einem Spiel, das gemeinsam von der Pädagogischen Hochschule Luzern und dem Game-Entwickler Inlusio Interactive erarbeitet wird. Die Idee dahinter: Den Geschichtsunterricht zu modernisieren.

Wie Games in Schweizer Klassenzimmern Geschichte unterrichten
Die jüdische Protagonistin flieht über die Dächer Amsterdams. Bild: Baseljetzt

Diese Woche wurde das Spiel im Testbetrieb verwendet. Schüler:innen der Sekundarschule Binningen durften es im Schulalltag ausprobieren. Hans Utz von der Pädagogischen Hochschule Luzern gab den rund 20 Jugendlichen eine Einführung. «Es ist nicht ein Game, wie ihr es aus der Freizeit kennt», sagt Utz. Er umschreibt die Geschichte und dann geht es los.

Jump ‘n’ Run – aber in ernst

Die Schüler:innen schnappen sich ein Ipad und das Spiel beginnt. Das Spielprinzip erinnert an klassische Jump ‘n’ Runs wie die Super-Mario-Serie; der Spielfluss wird immer wieder von Informationen und Entscheidungen unterbrochen. Diese Dilemma – etwa ob man in Amsterdam bleiben soll, oder nicht – sollen die Schwierigkeit der Entscheidungsfindung zeigen. Aber auch Empathie fördern.

Der Trailer zum Spiel «When We Disappear».

Die Schüler:innen der Sekundarschule sind begeistert. Alex Graft sagt: «Das Spiel machte Spass und man hat viel dabei gelernt.» Ibrahim Topalovic pflichtet bei: «Das Spiel gefällt mir besser als der klassische Unterricht – ich habe viel mitgenommen.» Gerade, dass man die Entscheidungen selbst fällen muss, hat Topalovic überzeugt.

Leherin Stefanie Lønskov hätte eigentlich den Geschichtsunterricht geleitet. An normalen Tagen zeigt sie einen Film, gibt Frontalunterricht und liest mit den Schüler:innen Texte. Auch für sie ist klar: Das Medium Computerspiel im Unterricht funktioniert. «Man ist mehr im Thema drin, man erlebt die Geschichte mit», so Lønskov.

Medium von heute für die Jugend von heute

«Wir wollen den heutigen Jugendlichen mit den heutigen Medien Geschichte vermitteln», sagt Gautschi. Gautschi ist Projektleiter. Man wisse, welch grosse Bedeutung Games im heutigen Alltag der Jugendlichen hätten. Das Spiel ist für Jugendliche ab 12 Jahren konzipiert. Deshalb sagt Gautschi: «Es ist auch eine Aufgabe der Schule, dieses Medium zu nutzen.»

Gerade durch die Interaktivität des Mediums könne man «in die Geschichte eintauchen» und diese gänzlich anders vermitteln. Die Spieler:innen haben bei «When We Disappear» Einfluss auf das Leben des Mädchens. «Das ist ein anderes Eintauchen in die Geschiche», sagt der Didaktiker. Laut den bisherigen Rückmeldungen bringe es die Schüler:innen viel näher ans Thema heran. Gautschi erzählt von einem Mädchen, das selbst geflüchtet war. Sie sagte dem Professor: «Super, jetzt wissen meine Klassenkamerad:innen immerhin, wie es auf der Flucht abläuft.»

«Im grossen und Ganzen spüre ich ein starkes Wohlwollen», sagt Gautschi. Die Schüler:innen wie auch die Lehrpersonen reagierten positiv. Und das ist wichtig. Das Projekt «When We Disappear» befindet sich in der Erprobungsphasen. Zwei Kapitel des Spiels sind fertig programmiert. Doch immer wieder würden Anpassungen vorgenommen. Ist das Spiel ein didaktischer Erfolg, so soll mehr folgen und die ganze Geschichte erzählt werden.

Fiktive Geschichte mit wahrem Kern

Nach der Erprobung in Binnigen mussten die Schüler:innen einen Fragebogen ausfüllen. Die Ergebnisse haben einen Einfluss auf die Inhalte des Spiels. Stetig wird am Game geschraubt. Der Unterricht wurde ebenfalls von einem Input von Utz begleitet. In diesem wird das Spiel kontextualisiert, und nochmals verdeutlicht: Die Geschichte im Spiel ist fiktiv, aber der historische Kontext ist es nicht.

Wie Games in Schweizer Klassenzimmern Geschichte unterrichten
Hans Utz bespricht mit zwei Schülerinnen das historische Begleitmaterial zum Spiel. Bild: Baseljetzt

Die Geschichte basiert auf tatsächlichen Begebenheiten. Tausende von Kindern und Jugendlichen flohen während des Zweiten Weltkrieges. Oft mussten sie den ganzen europäischen Kontinenten überqueren, wenn nicht gar noch weiter. Um die Gegebenheiten rund um den Faschismus und die Shoah richtig darzustellen, wurde eng mit Historiker:innen gearbeitet. Gautschi sagt: «Das ist sehr aufwendig und teuer.» Rund eine halbe Million hat das Entwickeln der ersten beiden Episoden gekostet.

Das Geld wurde von Stiftungen wie etwa der Christoph Merian Stiftung sowie Gebert Rüf Stiftung, aber auch dem Bund gesprochen. Schon länger sind sogenannte «Serious Games» im Kommen, also Spiele, die ernste Themen behandeln. Ein Beispiel ist etwa «Through The Darkest Of Times». Im deutschen Spiel spielt man eine Widerstandsgruppe im zweiten Weltkrieg. Nun erreichen die ernsten Spiele langsam auch Schweizer Klassenzimmer.

Mehr zum Spiel findest du hier.

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