
Wo liegen Recht und Unrecht beim «Kulturkampf zwischen den Zeilen»?
Pascal Kamber
Der Basler Schriftsteller Alain Claude Sulzer wirft dem Fachausschuss Literatur beider Basel Zensur vor. Nun traf sich Sulzer mit der Basler Kulturbeauftragten Katrin Grögel zu einem Podiumsgespräch.
Literarische Kunstfreiheit, Sprache im Wandel und offenbar aufgezwungene politische Korrektheit: Diese Themen standen am Mittwochabend bei der Podiumsdiskussion im KHaus im Kasernenhof in Basel im Fokus. Unter dem Motto «Kulturkampf zwischen den Zeilen» begrüsste Moderatorin Andrea Fopp vom Onlinemagazin «Bajour» Philipp Loser (Redaktor «Tages-Anzeiger»), Nicola Steiner (Moderatorin SRF-Literaturclub), Katrin Grögel (Kulturbeauftragte Basel-Stadt) und Schriftsteller Alain Claude Sulzer.
Letzterer lieferte den Grund für die kurzfristig organisierte Debatte. Für sein neues Buch «Genienovelle» beantragte Sulzer beim Kanton Basel-Stadt einen Förderbeitrag. Die Rede ist von 30’000 Franken. Wie üblich bei solchen Gesuchen reichte er einen Textausschnitt ein. Auf dieser Basis behandelte das Gremium den Antrag und gab anschliessend eine Empfehlung an die Behörden ab. So weit, so normal.
In besagtem Ausschnitt fällt gemäss «SRF» über ein Dutzend Mal das diskriminierende Wort «Zigeuner». Das sorgte im Fachausschuss für Diskussionen. Katrin Grögel, Leiterin Abteilung Kultur beim Kanton, veranlasste deshalb einen Brief an Sulzer und bat ihn, zusätzlich eine Stellungnahme einzuschicken zu seinem Gebrauch des Wortes «Zigeuner».
Alain Claude Sulzer fehlt das Verständnis
Das verärgerte Sulzer derart, dass er sein Gesuch zurückzog und sich mit dem Vorwurf der Zensur an die Medien wandte. «Als ich den Brief las, dachte ich mir: Um Gottes willen, was wollen die von mir? Haben die diesen Text nicht gelesen? Es geht hier um einen literarischen Text, in dem niemand verunglimpft wird», sagte Sulzer am Mittwochabend.
Einen Autor zu fragen, warum er ein Wort mehrfach benutzt, sei überflüssig. «Mir fehlt das Verständnis, dass man wegen dieses Wortes so reagiert hat», so Sulzer, der betonte: «Ich fange nicht an, neun Seiten eines Textes zu begründen und zu erklären, warum ich die geschrieben habe. Wer das nicht sieht, versteht nichts von Literatur.»
Sulzer schlug dem Kanton vor, künftig eine Liste mit vermeidbaren Wörtern oder Situationen zu führen. Das vereinfache die Aufgabe für die Autoren. «Das andere Problem ist: Der Fachausschuss kriegt 18 Seiten von 250, auf denen kein Zigeuner vorkommt. Dafür spricht er Geld. Auf Seite 22 kommt dann aber ein Zigeuner vor, und trotzdem steht vorne im Buch, dass es von der Stadt gefördert wird. Diese Situation können sie gar nicht verhindern», sagte Sulzer.
Ein «Nein» wäre einfacher gewesen
Katrin Grögel betonte, dass eine Liste nicht geplant sei. Im Gegenteil. «Wir werden keine Sprachpolizei. Wenn aber in einem 19-seitigen Manuskript das Wort Zigeuner öfters vorkommt als die Seitenzahl, dann wollen und müssen wir zurückfragen», sagte sie. Schliesslich gehe es auch um die Rechtfertigungspflicht. «Wir müssen bei jedem einzelnen Entscheid nachweisen können, dass er sorgfältig geprüft wurde.»
Die Kunstfreiheit sei zwar ein Grundrecht, aber sie sei nicht schrankenlos. «Demgegenüber haben wir eine Verpflichtung», sagte Grögel. Die Literaturkommission hätte Sulzers Antrag auch ablehnen können, statt zusätzliche Informationen einzuholen. «Wir wollten diesen Weg gehen», sagte sie. «Es wäre viel einfacher gewesen, Nein zu sagen.»
Grögel gestand aber den Fehler ein, dass sie den Brief ausgestellt hatte und den Fachausschuss erst danach informieren wollte. So wurde sie von Sulzers Rückzug überrumpelt. «Wir konnten daher nur noch über sein zurückgezogenes Gesuch informieren», sagte sie.
Fehler auf beiden Seiten
Auch die beiden anderen Gäste taten sich schwer damit, das Geschehene einzuordnen. «Herr Sulzer etwas vom Staat. Da muss man sich gewisse Fragen eben gefallen lassen», sagte Philipp Loser. «Gleichzeitig hat es aber auch einen pathonalen Anspruch, wenn man als Staat das Gefühl hat, Sprache zu definieren und dass man nicht allen Leuten etwas zumuten kann.» Deshalb sei er der Ansicht, dass «nicht einfach eine Seite Recht hat und Fehler auf beiden Seiten passiert sind».
Die konkrete Frage sei: Wie bewusst gehe man mit der Sprache um? «Überlegen wir uns, welche Worte wir wie und warum brauchen? Aus diesem Grund ist es gut, dass wir diese Debatte führen», sagte Loser, der diesbezüglich gar eine Gemeinsamkeit bei den «Gegnern» erkannte.
Das sahen auch Katrin Grögel und Alain Claude Sulzer so. Im Verlaufe des Abends reichten sich beide die Hand und meinten, dass sie froh seien, wenn sich der Rummel nun wieder legen würde.
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