
21-Jähriger erhält Freiheitsstrafe für Vergewaltigung in der Innenstadt
Lea Meister
Ende 2022 soll ein 19-Jähriger eine 17-Jährige am helllichten Tag und mitten in der Stadt belästigt und vergewaltigt haben. Am Montag musste er sich vor Gericht verantworten und erhielt eine Freiheitsstrafe.
Der damals 19-Jährige hat die damals noch Minderjährige auf Social Media kennengelernt und sie daraufhin am 16. Dezember 2022 in Basel getroffen. Dass die aus Solothurn stammende junge Frau sich in Basel nicht auskannte und am besagten Abend mit ihm zusammen Alkohol konsumierte, soll der 19-Jährige ausgenutzt haben. Ihm wurden sexuelle Belästigung, sexuelle Nötigung, Tätlichkeiten und Vergewaltigung vorgeworfen. Details zur Anklageschrift und den genauen Vorwürfen findest du hier,
Angeklagter muss ins Gefängnis
Der heute 21-Jährige wurde in den Anklagepunkten der Vergewaltigung, der mehrfachen sexuellen Nötigung, der mehrfachen versuchten Nötigung und der Tätlichkeiten schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zwei Jahre davon werden bedingt mit einer Probezeit von zwei Jahren ausgesprochen. Zudem muss er eine Busse von 500 Franken bezahlen. Von der Anklage der sexuellen Belästigung wurde er freigesprochen, da die Privatklägerin am Montag angegeben hatte, dass der Kuss zu Beginn noch einvernehmlich gewesen sei.
Der junge Mann muss dem Opfer zudem eine Genugtuung von 8’000 Franken entrichten. Von einem Landesverweis sieht das Gericht aufgrund der Umstände ausnahmsweise ab. «Wer in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist, ist grundsätzlich unser Problem», zitierte Gerichtspräsident René Ernst eine einst getätigte Aussage des Gerichtsschreibers. Bei einer nächsten Katalogtat, also einer Tat, die eine Landesverweisung mit sich bringe, werde er das Land aber wahrscheinlich verlassen müssen.
Das Gericht sei zum Schluss gekommen, dass die Aussage des Opfers sehr wohl glaubhaft und gewisse Widersprüche völlig normal seien. Denn: «Wenn man davon ausgeht, dass die junge Frau das alles erlebt hat, ist das eine unheimlich stressgeladene Situation», so Ernst. Es sei wissenschaftlich belegt, dass, wenn man später wieder über das Erlebte redet, die Erinnerung jedes Mal manipuliert werde. Dass die junge Frau zudem am besagten Abend vor der BIZ am Bahnhof zusammengekauert auf dem Boden gesehen worden sei, wie ein Kleinkind, welches sich vor der Welt verstecken will, sage auch einiges aus. Dafür müsse schon «sehr viel Massiveres» passiert sein.
«Wir sind auf nichts gestossen, was ihre Aussagen wirklich in Frage stellen würde», ergänzte Ernst. Das Gericht sehe den Sachverhalt in der Anklageschrift in den wesentlichen Punkten als erstellt an. Bei der Strafzumessung habe man auch in Betracht gezogen, dass der 21-Jährige in Solothurn schon «ordentlich» für seine Taten gebüsst habe. Einen Tag nach dem Treffen in Basel wurde er dort nämlich von Freunden des Opfers zusammengeschlagen.
Wer ist der Beschuldigte?
Im Dezember 2022 war der Angeklagte, nennen wir ihn B. N.*, abhängig von THC und Kokain, weil ihn der Konsum «einfach glücklicher, energievoller und offener» machte, wie der heute 21-Jährige am Montag vor Gericht erklärte. Heute sei er clean und wohne seit drei Monaten in einem betreuten Wohnumfeld mit Tagesstruktur, wo er in einem 50%-Pensum arbeite. Vergangenes Jahr habe er sich in einer Klinik aufgehalten, um von den Drogen wegzukommen. Derzeit befinde er sich aufgrund seiner Depression in Abklärung mit der IV. Wie es mit ihm weitergehe, wisse er in etwa drei Monaten.
Wie das Treffen angefangen haben soll
Die Vorwürfe hätten ihn sehr überrascht und überfordert, so B. N. Was auffälig war: Sowohl der 21-Jährige, wie auch die heute 19-jährige Privatklägerin beschrieben am Montag grundsätzlich einen sehr ähnlichen Ablauf des gemeinsamen Abends: Sie sollen sich getroffen und gemeinsam Smirnoff-Vodka mit Fanta Mango getrunken haben. Dann kam es zum Kuss. Laut der jungen Frau soll dieser noch einvernehmlich gewesen sein.
Der 21-Jährige beschrieb den Kuss gar als sehr leidenschaftlich. Danach habe er sich zurückziehen wollen, weil ihm der Platz vor dem Stadtkino etwas zu öffentlich gewesen war – genau das soll die damals 17-Jährige aber geschätzt haben, sie habe sich sicherer gefühlt unter Menschen. Dennoch liefen sie die Treppe hoch zur Elisabethenkirche und begaben sich zum überdachten Veloparkplatz. Dort soll B. N. sie gegen ihren Willen geküsst und angefasst haben. Als sie sich weigerte, ihn oral zu befriedigen, soll er sie gewaltsam gegen ein Geländer gestossen haben. Seiner Ansicht nach habe sie sich etwas zu rasant bewegt und sich dabei angeschlagen.
«Er hat einfach nicht aufgehört»
Dass es daraufhin zum Geschlechtsverkehr gekommen ist, bestätigten beide. Aus seiner Sicht sei der Akt auf «natürliche Weise» eben «einfach passiert». Die 19-Jährige hingegen beteuerte deutlich, sich immer wieder verbal gewehrt und keinem Geschlechtsverkehr zugestimmt zu haben. Geht es nach ihm, sei sie zwar angetrunken gewesen, aber nicht betrunken. Die 19-Jährige aber sagte, nach einem Becher des von ihm mitgebrachten Getränks habe sie den Kopf nicht mehr richtig bewegen können und sich sehr benebelt gefühlt.
«Er hat einfach nicht aufgehört», beschrieb die 19-Jährige, was bei der Elisabethenkirche passiert sein soll. Als plötzlich zwei Personen aufgetaucht und sie bemerkt hätten, habe er sie stark festgehalten und den Fremden gesagt, dass «seine Freundin» sehr betrunken sei. Danach seien sie in Richtung Bahnhof gelaufen, um dort die öffentliche Toilette im Veloparking aufzusuchen. «Als er auf dem WC war, hätte ich flüchten können», so die junge Frau. «Ich war aber zu geschockt.»
17-Jährige in Schutzposition am Boden
Vor der BIZ (Bank für internationalen Zahlungsausgleich) am Centralbahnplatz habe er sie dann zum Oralsex überreden wollen. Zwischen 18 und 19 Uhr, also mitten in der Feierabendzeit. «Ein Blowjob, mitten in der Öffentlichkeit?», wollte Gerichtspräsident René Ernst vom Beschuldigten wissen. Er sei eben alkoholisiert und noch «in Stimmung» gewesen nach den Ereignissen bei der Elisabethenkirche. Dass er die damals 17-Jährige vielleicht ein wenig bedrängt haben könnte, bestritt er nicht.
Einer Mitarbeiterin der BIZ sei aufgefallen, dass in der Nähe des Eingangs ein junges Mädchen bedrängt werde. Hier kommt ein Zeuge ins Spiel. Ein Sicherheitsmitarbeiter der BIZ verliess daraufhin das Gebäude, um nachzusehen. Er fand die 17-Jährige, wie eingangs erwähnt, am Boden sitzend in einer Schutzposition vor, mit den Armen vor ihrem Gesicht. Ihr Begleiter stand über ihr. Das junge Mädchen, wie der Zeuge sie nannte, sei «komplett unter Schock gestanden». Er erwähnte am Montag vor Gericht zudem, dass er sie eher auf 13 oder 14 geschätzt hätte. Nachdem der Sicherheitsmitarbeiter die beiden angesprochen hatte, entfernte sich B. N. vom Ort des Geschehens.
Racheaktion am Tag danach
Die 17-Jährige habe stark geweint und sei erst einmal nicht im Stande gewesen, wirklich zu reden. Er ging daraufhin ein paar Schritte mit ihr, um sie etwas zu beruhigen und etwas aus ihr herausbekommen zu können. Sie habe ihm dann erzählt, dass ihr Date zu Beginn ganz normal gewesen sei und irgendwann angefangen habe, sie anzufassen und mehr gewollt habe. Der Sicherheitsmitarbeiter soll sie daraufhin mehrfach gefragt haben, ob er sie «falsch» angefasst habe. Sie verneinte dies.
Der Zeuge riet ihr, nach Hause zu fahren und eine Nacht über alles zu schlafen. Er habe sie darauf hingewiesen, dass sie in ihrem Zustand und ohne körperliche Beweise wie Verletzungen auf der Notfallstation möglicherweise nicht ernst genommen werden könnte. Sie solle sich am nächsten Tag bei der Polizei melden, wenn sie nochmals darüber geschlafen habe. Er begleitete die junge Frau zum Bahnhof und sie machte sich auf den Heimweg. Ihrer besten Freundin erzählte sie in Sprachnachrichten, was am besagten Abend in Basel passiert sein soll.
Am Tag darauf wurde B. N. dann von einer anderen Frau angeschrieben. Er verabredete sich in Solothurn mit ihr. Dass es sich beim vermeintlichen Date um eine Falle handelte, realisierte er erst, als er in einer Unterführung von mehreren Männern angegriffen und zusammengeschlagen wurde. Eine Racheaktion, organisiert von der besten Freundin der 17-Jährigen. «Ich habe als letzte davon erfahren», so die 17-Jährige am Montag. Sie sei aber damit einverstanden gewesen. Eine Racheaktion, die am Montag eben auch Einfluss auf die Festlegung des Strafmasses hatte.
Das sagte die Staatsanwaltschaft
Für Staatsanwältin Jevtic-Lemm gab es keinen Grund, an den Aussagen der 19-Jährigen zu zweifeln, denn sie zeugten nicht «von Wut und Rache». Die Schilderungen ihrer Hilflosigkeit seien viel mehr «eindrücklich und bedrückend zugleich» gewesen. Die Übergriffe hätten «mitten am Tag und mitten in Basel» stattgefunden und nur der Befriedigung der eigenen sexuellen Bedürfnisse des Angeklagten gedient – «ohne Rücksicht auf Verluste».
Jevtic-Lemm hatte am Montagmorgen eine unbedingte Gefängnisstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und eine Busse in Höhe von 1’000 Franken beantragt. Zudem hielt sie auch ein Landesverweis von zehn Jahren für angebracht. B.N. sei zwar in der Schweiz geboren, er sei aber arbeitslos, in keinen Vereinen aktiv und entsprechend wenig integriert Seine gesundheitlichen Probleme könnten zudem auch in seinem Heimatland Ecuador behandelt werden.
Die Opferanwältin hatte ebenfalls einen Schuldspruch und zudem einen Schadenersatz von gut 2’000 Franken und eine Genugtuung von mindestens 12’000 Franken beantragt. Ihre Mandantin leide noch immer sehr unter dem Erlebten, befinde sich noch immer in Behandlung und sei arbeitsunfähig. Sie habe zwar eine Vorgeschichte mit psychischen Problemen. «Es würde ihr heute aber nicht so schlecht gehen, wäre sie nicht vergewaltigt worden.»
Das sagte die Verteidigung
Im Gegensatz zur Staatsanwältin bemerkte Verteidiger Moritz Gall viele Widersprüche in den Aussagen der 19-jährigen Privatklägerin. Insgesamt seien die Aussagen deshalb nicht glaubhaft und vor allem nicht «völlig widerspruchsfrei».
Die meisten Fehler seien seiner Ansicht nach in Olten passiert, als sich die damals 17-Jährige bei der Polizei gemeldet habe. «Die Fehler der involvierten Behörden sind so massiv, dass ich der Privatklägerin keinen Vorwurf mache», so Gall. So sei beispielsweise kein rechtsmedizinisches Gutachten erstellt worden. Die junge Frau hatte damals einen Verzicht auf einen Strafantrag unterzeichnet.
Doch, welches Motiv hätte die junge Frau für eine Falschanschuldigung gehabt? Laut Gall könnte sie sich Sorgen um die Reaktion ihrer laut verschiedener Angaben sehr strengen Eltern gemacht haben, wenn diese erfahren hätten, dass sie nach Basel gereist ist, um einen fremden Mann zu treffen und dann auch noch Geschlechtsverkehr mit ihm hatte.
Der Angriff auf den Beschuldigten am kommenden Tag habe ihr zudem die Möglichkeit genommen, wieder einen Schritt zurück zu machen. «Es ist nachvollziehbar, dass sie sich in diese Story rettet», so Gall. Das Mädchen sei «ein Opfer dieses Abends und ihrer Jugend», sie habe «bei etwas mitgemacht, was sie heute bereut».
Die entscheidende Frage sei, ob die junge Frau den Geschlechtsverkehr gewollt hat oder nicht. Und die Antworten darauf seien «dünn und widersprüchlich», weshalb Gall einen Freispruch und die Abweisung der Zivilforderung beantragt hatte.
Aussagen des Opfers wurde Glauben geschenkt
Das Gericht verhängte zwar eine tiefere Gefängnisstrafe als die Staatsanwältin gefordert hatte, machte mit dem Schuldspruch in fast allen Anklagepunkten aber klar, dass den Aussagen der Privatklägerin Glauben geschenkt wurde. Die 19-Jährige war nach ihrer Aussage am Montagmorgen emotional sehr aufgebracht. Bei der Verlesung des Urteils war sie nicht mehr vor Ort.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Alle Parteien können noch in Berufung gehen.
*Name der Redaktion bekannt.
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seppertonni
Eine minderjährige wurde vergewaltigt und die Strafe ist 500.-? Ich bin mehr als nur sprachlos. Ich sitze komplett entgeistert hier.
MatthiasCH
Das ist doch Kuscheljustiz und ruft zur Selbstjustiz auf, wenn diese schon als Teil der Strafe angesehen wird. Also legitimiert wird.