
«Absitze, absitze!»: Als der Sitzstreik auf den Tramschienen am Barfi eskalierte
Tim Meyer
Während der 68er-Bewegung wurde in den Basler Strassen kräftig demonstriert. Als die Basler-Verkehrsbetriebe ihre Ticketpreise erhöhen wollten, platzte der Bevölkerung der Kragen – und so setzte sie sich auf die Gleise.
«Regierungsräte sind keine Esel», «Trampreis NEIN» oder «Dem Gratis-Tram sitzt nichts im Wege». Das war während der Tramdemo beim Alten Stadttheater auf den Plakaten zu lesen. Genau vor 55 Jahren, am 18. Juli 1969. Der Aufstand und die heftigen Jugendproteste wurden ausgelöst, weil per 1. Juli 1969 die Basler Verkehrsbetriebe ihre Fahrpreise um rund 20 Prozent erhöhten. Das passte den jungen Menschen in Basel überhaupt nicht.
Gegen diese Tramtax-Erhöhung wehrten sich die mehrheitlich Jugendlichen und setzten sich auf die Tramschienen am Barfüsserplatz. Die Polizei schritt mit ihren Bobby-Helmen ein. Es wurde gezerrt und geschleift, es gab Scharmützel und verbale Attacken von beiden Seiten, Demonstranten wurden am Kragen gepackt und von der Strasse geschleppt. Das Fazit: 180 Polizisten, 71 Festnahmen und ein historisch rigoroser Einsatz. Denn wie der Berner Historiker Michael Moser in seiner Bachelorarbeit 2009 schreibt, wurde bei dieser Aktion «zum ersten Mal in der Geschichte der Stadt Basel Tränengas eingesetzt.»
Forderung für ein Gratis-Tram
Es war kein Zufall, dass sich die erste Demonstration in Basel zur 68er-Bewegung um den öffentlichen Verkehr drehte. Denn die Basler Bewegung war stark sensibilisiert von Umweltfragen. Die mehreren hundert jungen Demonstrant:innen forderten so zum Beispiel die Gratisnutzung des Trams, um den Autoverkehr zurückzudrängen.
Ihren Unmut liessen sie auch an den Polizisten aus. Die Jugendlichen beschimpften diese lautstark und wüst als «Drecksschugger». Einzelne Gegenstände flogen und wenn die Polizei einen Demonstranten erwischte, ging sie nicht zimperlich mit diesem um und schlug kräftig zu. Die Sitzblockade dauerte nur fünf Minuten und dann flohen die jungen Demonstrierenden in die Freie Strasse.
Erhellung und geöffnete Horizonte
In Amerika demonstrierten die Menschen gegen die Bombenangriffe auf Nordvietnam und Rassismus, in Warschau für die Aufhebung der Zensur und in Basel, weil das Trämli teurer wurde. Für Ueli Mäder, den pensionierten Soziologen und ehemaligen Dozenten an der Uni Basel, steckte aber mehr dahinter: «Das, was sich in der Welt tat, zeigte sich auch hier. Die Jugend hatte eine Bedeutung und Aufmerksamkeit gehabt. Die Jugend wollte Raum. Das war ein Anliegen, welches über die Frage von den Trampreis-Erhöhungen hinausging.»
Das Aufbäumen gegen das Patriarchat und die Autorität. Die erhellende Stimmung und geöffnete Horizonte. Für Mäder ein klares Zeichen: «Holen wir doch die Utopie ein Bisschen mehr in die Realität.»
Die Macht im Schoss
Rückblickend sagt der Soziologe im Telebasel-Talk, dass es in dieser Zeit auch viele Irrtümer gab. Naiv zu denken, «ich gehe auf die Strasse und dann fällt mir die Macht in den Schoss» oder «jetzt gehe ich über die Türschwelle und dann sind wir freie Menschen.» Die herrschaftlichen Strukturen, die die Jugendlichen bekämpft haben, haben sie auch in sich selbst getragen», so Mäder. Auch er, der zur Zeit der Bewegung 17 Jahre alt war.
Den Demonstrant:innen fiel also am 18. Juli 1969 nicht die Macht in den Schoss, als sie sich auf die Tramschienen am Barfi setzten. Vielmehr lösten die Jugendlichen eine Widergeburt der politischen Strassenaufmärsche aus. Diese waren in der Schweiz seit den 1920er-Jahren seltener geworden. Bis zum Ende des Jahres 1969 folgten 20 weitere Demos in Basel. Und dass sich die Demonstrationskultur bis heute durchsetzen konnte, wissen wir ja alle.
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spalen
die nachfolgende generation der kriegsgeneration. man mag sich nicht vorstellen, wie es in der generation in deutschland ausgesehen hat. diese gemengenlage war in deutschland auch ein teil des nährbodens für die radikalisierung eines teils der jugend und infolge für die raf und deren anschläge.
Freddi1985
Das waren zeiten