
«Alles, was die Stadt nicht will, wirft sie ins Kleinbasel»
Julia Schwamborn
Das Klima der Dealerszene im Kleinbasel verschlimmert sich zusehends. Der Drogenstammtisch des Stadtteilsekretariats Kleinbasel und des Onlineportals Bajour initiierte eine konstruktive Debatte darüber.
Angelehnt an das Vorbild des Kleinbasler Drogenstammtischs aus den 90er-Jahren, luden das Stadtteilsekretariat Kleinbasel und das Onlinemedium Bajour am Mittwochabend in den Reinacherhof ein. Der Drogenstammtisch 2.0 hatte sich zum Ziel gesetzt, die sich verschlechternde Situation der Anwohner:innen mit den Drogendealern im Kleinbasel anzunehmen, sich auszutauschen und Lösungen zu skizzieren. Auch Drogenkonsument:innen, die Polizei, Mitarbeitende des Gesundheitsdepartements und Sucht- und Drogenexpert:innen beteiligten sich mit ihren Voten an der Diskussion. Nicht jedoch die Dealer:innen selbst, über die an diesem Abend ausführlich debattiert wurde.
«Was sich Abend für Abend vor meinem Schlafzimmerfenster abspielt, ist besser als jeder Krimi»
Besonders emotional waren die Lageberichte der Ahnwohner:innen, die in diesem Bericht anonym bleiben wollen. Eine Frau schilderte den Überfall auf ihren 21-jährigen Sohn, der fortan Drogenhotspots im Quartier sowie die Dreirosenanlage meide. Eine weitere Frau, welche am Matthäuskirchplatz lebt, sagte: «Was sich Abend für Abend vor meinem Schlafzimmerfenster abspielt, ist besser als jeder Krimi». Sie sei enttäuscht von der Polizei, die sie nur sehr sporadisch gegen die Dealer:innen vor ihrer Haustüre intervenieren sehe. Augenscheinlich seien es organisierte mafiöse Strukturen, vor deren Bekämpfung sich die Basler Regierung scheue. «Alles, was die Stadt nicht will, wirft sie ins Kleinbasel. Die Polizei ist machtlos. Ich überlege mir langsam, ob ich meine Steuern auf ein Sperrkonto überweisen soll», sagt sie mit Blick zur Basler Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann.

«Sie dealen einfach vor der Kamera weiter»
Regierungsrätin Stephanie Eymann reagierte mit Verständnis auf die angesprochene Lage. Eine Lösung in Petto habe sie allerdings nicht. «Wir liefern uns ein Katz-Maus-Spiel mit den Kügelidealern. Doch das ist nicht die Lösung». Die eine Lösung gebe es ohnehin nicht. Vielmehr müsse man verschiedene Massnahmen ergreifen, welche sich auf die Ursachenbehebung fokussierten, erklärte sie. Nur mit Repressionen werde man kaum Herr der Lage. «Ich hätte auch gerne 200 Schugger mehr», sagte sie und spielte damit auf die Ressourcenknappheit bei der Kantonspolizei an. Dies sei momentan aber nicht möglich.
Videoüberwachung auf der Dreirosenanlage soll verlängert werden
Bezüglich der Kameraüberwachung auf der Dreirosenanlage, die offiziell noch bis Ende Oktober angedacht ist, müsse sie auch eine nüchterne Zwischenbilanz ziehen. «Es ist null effektiv. Sie dealen einfach vor der Kamera weiter», so Eymann. Einzig die Zahl der schweren Gewaltdelikte auf der Anlage habe sich reduziert. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde man die Kameraüberwachung auch nach den abgelaufenen zwei Monaten fortsetzen. Ein Antrag liege bereits zur Prüfung beim Datenschutzbeauftragten des Kantons.
Aggressivere Stimmung als früher
Unter ursachenbehebenden Massnahmen stellt sich ein junger Mann, der in einer Bar am Matthäuskirchplatz arbeitet und anonym bleiben will, die Drogenlegalisierung vor. «Das Klima hat sich verschlechtert, es herrscht viel mehr Aggressivität als noch vor ein paar Jahren», sagt er. «Man merkt, dass es an der schlechten Qualität des Stoffs liegt». Diesen bekomme man heute viel günstiger, weil er gestreckt mit allerlei anderen Substanzen sei.
Bestätigt wird das von einem Mann aus der Runde, der seit 35 Jahren abhängig ist. «Die Qualität der Drogen ist minderwertig hier in Basel», erklärt er. Eine Frau, die selbst auch konsumiert, ergreift das Wort und sagt, sie fühle sich auch als Konsumentin nicht mehr wohl in diesem aggressiven Klima. «Ich werde jeden Tag mehrmals penetrant von Dealer:innen angegangen, die mir ihren Stoff verkaufen wollen. Das passiert sogar im Tram», sagt sie.
Mit einer geregelten Abgabe und einer Teillegalisierung verschiedener Substanzen, so der junge Barangestellte, würde es dieses Klima wohl nicht geben, meint er.

Vorbild Genf
Die Politiker:innen, die am Drogenstammtisch anwesend waren, äusserten sich zurückhaltend. Nino Russano, Präsident der Basler Juso sagte: «Es braucht kurzfristig mehr Geld, längerfristig aber eine Legalisierung von Drogen, um die mafiöse Struktur zu bekämpfen.» Schlussendlich wäre wohl ein Programm wie jenes in Genf eine konkrete Lösung. Der Westschweizer Kanton investiert sechs Millionen Franken im Jahr unter anderem in längere Öffnungszeiten von Fixerstuben und mehr Ressourcen in der aufsuchenden sozialen Arbeit.

Bajour-Co-Chefredaktorin Valerie Zaslavski schreibt nach dem Drogenstammtisch vom Mittwochabend zusammenfassend: «Für das Drogenproblem kann und soll Eymann die Verantwortung nicht alleine tragen: ‹Es ist ein Gesamtregierungsproblem›, wie sie richtig sagt. Es sei klar, dass Kräfte nun gebündelt werden müssten. Einen Massnahmenplan hat sie bereits in Aussicht gestellt. Von Drogenlegalisierung beziehungsweise -regulierung mag da vielleicht noch nichts drin stehen. Doch nach diesem Abend ist klar: Zumindest der Debatte müssen wir uns stellen.»
Mehr dazu
Feedback für die Redaktion
Hat dir dieser Artikel gefallen?
Kommentare
Dein Kommentar
Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise
Kommentare lesen?
Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.
Boodesuuri
Zuerst möchte ich mich bei den beiden organisierenden Bajour Stadtteilsekretariat Kleinbasel für diesen wirklich konstruktiven Anlass im Restaurant Rheinfelderhof bedanken. Was mich jedoch erschreckt, dass wir in der gleichen Situation wie in den 90-ern stecken. Das von Thomas Kessler damals entwickelte 4-Säulen Prinzip und die damals 3 K&A s sind schubladisiert und eingeschläfert worden. Schon damals wurde viel Geld investiert. Doch mittlerweile wird wieder wie vor den 4-Säulen Symptombekämpfung betrieben, statt das Problem an den Wurzeln(Dealern) zu packen. Deshalb fordere ich vom Regierungsrat das Konzept von Thomas Kessler aus der Mottenkiste zu holen und vom Grossenrat die Finanzierung für ein strikte Umsetzung garantieren!
lixi
Wenn man endlich akzeptieren würde, dass ein Teil der Menschheit Drogen benötigt und diese kontrolliert abgeben würde, dann würde man den Dealer das Geschäft entziehen und es braucht nicht mehr Polizisten. Aber eben, seit Jahrhunderten immer noch das gleiche Katz- und Mausspiel, gebessert hat nichts.