Amoktäter bei Zeugen Jehovas war Ex-Gemeindemitglied und Sportschütze
©Bild: Keystone
Todesschütze
International

Amoktäter bei Zeugen Jehovas war Ex-Gemeindemitglied und Sportschütze

10.03.2023 14:47

Baseljetzt

Der Todesschütze von Hamburg ist der 35 Jahre alte Philipp F. gewesen, ein Ex-Mitglied der Gemeinde der Zeugen Jehovas in der norddeutschen Metropole.

Diese habe er vor eineinhalb Jahren freiwillig, aber offensichtlich nicht im Guten verlassen, sagten Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenbehörde am Freitag bei einer Pressekonferenz. Der Deutsche war demnach Sportschütze, hatte seit Dezember 2022 eine Waffenbesitzkarte und war erst kürzlich von der Waffenbehörde aufgesucht worden. Bei der Tat am Donnerstag starben sieben Menschen und der Täter selbst, acht weitere Menschen wurden verletzt. Zu den Toten zählt die Polizei auch ein ungeborenes Kind.

Hamburgs Innensenator Andy Grote bezeichnete die Tat als Amoklauf: «Eine Amoktat dieser Dimension – das kannten wir bislang nicht. Das ist die schlimmste Straftat, das schlimmste Verbrechen in der jüngeren Geschichte unserer Stadt.» Der Amoktäter hatte mehr als 100 Mal geschossen. Bei den Todesopfern handelt es sich den Angaben zufolge um vier Männer, zwei Frauen und einen weiblichen Fötus im Alter von 28 Wochen.

Die Männer und Frauen seien zwischen 33 und 60 Jahre alt, sagte der Leiter des Staatsschutzes der Polizei, Thomas Radszuzweit. «Alle Todesopfer sind deutscher Staatsangehörigkeit und starben jeweils durch Schusseinwirkung.»

Die Polizei war innert Minuten am Tatort

Die tödlichen Schüsse fielen am Donnerstagabend gegen 21.00 Uhr während einer Veranstaltung im Gebäude der Gemeinde im Hamburger Stadtteil Alsterdorf. Binnen Minuten war die Polizei am Tatort: Um 21.04 seien die ersten Notrufe eingegangen. «Um 21.08 Uhr waren erste Kräfte vor Ort», sagte Grote. Nur eine Minute später, um 21.09 Uhr, sei die Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) am Tatort gewesen.

Amoktäter bei Zeugen Jehovas war Ex-Gemeindemitglied und Sportschütze
Die Einsatzkräfte am Tatort am nächsten Morgen. Bild: Keystone

Die Einsatzkräfte retteten nach den Worten des Innensenators sehr wahrscheinlich etliche Menschenleben: «Wir haben es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass hier nicht noch mehr Opfer zu beklagen sind.»

Bis in den Freitagvormittag waren die Ermittler zur Spurensuche am Tatort unterwegs. Die Leichen wurden mittlerweile abtransportiert. Als Extremist war der mutmassliche Schütze nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt. Seit dem 12. Dezember sei er im legalen Besitz einer halbautomatischen Pistole gewesen, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Dabei habe es sich um die Tatwaffe gehandelt.

Besondere Wut auf religiöse Anhänger

Die Waffenbehörde erhielt nach Angaben des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische Erkrankung von Philipp F.. Ziel des unbekannten Schreibers sei es gewesen, das Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften in Bezug auf Philipp F. überprüfen zu lassen. Die unbekannte Person habe ferner geschrieben, dass die psychische Erkrankung von F. möglicherweise ärztlich nicht diagnostiziert sei, da sich F. nicht in ärztliche Behandlung begebe. F. habe laut dem Schreiben eine besondere Wut auf religiöse Anhänger gehegt, besonders auf die Zeugen Jehovas und seinen ehemaligen Arbeitgeber.

Amoktäter bei Zeugen Jehovas war Ex-Gemeindemitglied und Sportschütze
Am Donnerstagabend gab der Mann über 100 Schüsse ab. Bild: Keystone

Die Beamten der Waffenbehörde hätten nach dem Hinweis weiter recherchiert. Anfang Februar sei F. von zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht worden. Dies sei eine Standardkontrolle gewesen, die nach einem anonymen Hinweis erfolge. F. habe sich kooperativ gezeigt, sagte Meyer. Es habe keine relevanten Beanstandungen gegeben. Die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen.

Mehr als 100 Schüsse

Der 35-Jährige gab am Donnerstagabend mehr als 100 Schüsse ab. «Insgesamt hat er 9 Magazine à 15 Schuss verschossen», sagte der Hamburger Staatsschutz-Leiter Radszuweit.

Nach den Schüssen fand die Polizei laut Staatsanwaltschaft in der Wohnung des mutmasslichen Täters auch eine grössere Menge Munition. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Ralf Peter Anders, sprach von 15 geladenen Magazinen mit jeweils 15 Patronen und 4 Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen. Ausserdem wurden Laptops und Smartphones sichergestellt, die noch ausgewertet würden.

Amoktäter bei Zeugen Jehovas war Ex-Gemeindemitglied und Sportschütze
Die Behörden geben an der Medienkonferenz am Freitag Auskunft. Bild: Keystone

Mögliche Konflikte innerhalb der Glaubensgemeinschaft schliessen die Ermittler nicht aus. Polizeipräsident Meyer sagte, es gebe Hinweise auf einen Streit «möglicherweise aus dem Bereich der Zeugen Jehovas». Das müsse geprüft werden, in den Akten habe man dazu nichts gefunden. Radszuweit sagte, die Frage von Streitigkeiten sei derzeit Gegenstand der Ermittlungen. Seinen Angaben zufolge hatte der Amokschütze Philipp F. die Hamburger Gemeinde vor anderthalb Jahren freiwillig verlassen, «aber offenbar nicht im Guten».

Zeugen Jehovas tief betroffen

Die Zeugen Jehovas zeigten sich in einer Erklärung «tief betroffen». Zahlreiche nationale und internationale Politiker reagierten schockiert und betroffen auf den tödlichen Vorfall, darunter der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Amoktäter bei Zeugen Jehovas war Ex-Gemeindemitglied und Sportschütze
Beweisstücke wurden gesammelt und verpackt. Bild: Keystone

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, äusserte sich «erschüttert» über die «menschenverachtende Gewalttat in Hamburg». Sein Gebet gelte den Verstorbenen, den Verletzten und den Angehörigen, schrieb der katholische Bischof am Freitag auf Twitter. «Wir trauern um Menschen, die unschuldig ihr Leben verloren haben. Es gibt keine Worte für dieses Verbrechen, das Leben ausgelöscht hat.» (sda/mei)

Feedback für die Redaktion

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Kommentare

Dein Kommentar

Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise

Kommentare lesen?

Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.