Angehende Physios zweifeln: «Können wir Leuten noch helfen?»
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Angehende Physios zweifeln: «Können wir Leuten noch helfen?»

29.09.2023 07:02 - update 29.09.2023 11:08
Manuela Humbel

Manuela Humbel

Der Bund will in die Tarife von Physiotherapeut:innen eingreifen. Die Branche wehrt sich dagegen. Aber wie sehen angehende Therapeut:innen die momentane Situation?

«Ich muss sagen, es ist schon recht demotivierend. Ich habe schon ab und zu den Gedanken, doch umzusatteln», sagt Nadia Maurer.» Jetzt sind wir noch jung und wir wissen nicht genau, wie es um unsere Zukunft in diesem Beruf steht.» Sie studiert im dritten Semester Physiotherapie am Münchensteiner Standort der Berner Fachhochschule und spricht über die Tarifanpassung, die der Bundesrat bei Physiotherapeut:innen vornehmen will. Weil die Kosten bis Mitte 2023 um bis zu über zehn Prozent gestiegen sind, will dieser jetzt eingreifen. Das heisst: Anstatt Sitzungspauschalen, will er, dass Patient:innen die Dauer ihrer Sitzungen bezahlen können.

Gegner:innen kritisieren, dass ein höherer Lohn bei aufwändigen Therapien so unmöglich sei. Und: Die Branche sei schon jetzt unterfinanziert. Die grösste unabhängige Physio-Anbieterin der Schweiz hat deswegen eine Kampagne lanciert: «Nein zum unfairen Tarifeingriff!» heisst sie. bereits 52’000 Unterstützer:innen haben unterzeichnet.

«Wissen nicht, ob wir Leuten noch helfen können»

Abgesehen davon, dass die Therapeut:innen durch die Tarifanpassung weniger Geld für Weiterbildungen und Geräte hätten, würde auch die Qualität der Therapie leiden, kritisieren die Initiant:innen. Somit würden ihnen gewisse Möglichkeiten genommen, die Patient:innen zu behandeln. «Wir wissen noch nicht genau, ob wir im Beruf dann das tun können, was wir uns darunter vorgestellt haben, und, ob wir den Leuten wirklich noch helfen können», zweifelt Maurer.

Ihre Mitstudentin Vanessa Boppart sagt: «Es ist mega schade, weil die Anpassungen im Endeffekt auf das Patient:innenwohl abgewälzt werden und das wollen wir eigentlich genau nicht. Uns wird in den Vorlesungen immer wieder gelehrt, dass der Patient im Mittelpunkt stehen soll.» Bei solch einer Veränderung in der Struktur würde aber genau das Gegenteil passieren, was sehr frustrierend sei.

Überlegungen, ob Betrieb noch kostendeckend ist

«Die Tarifstrukturen sind relativ veraltet», sagt Boppart. «Diese neuen Regelungen sind eher ein Rückschritt. Das ist schon ein Dämpfer für diese coole Ausbildung und diesen schönen Beruf.»

Jonas Rey, Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berner Fachhochschule, fügt an: «Es werden auch Überlegungen kommen, ob man länger arbeiten, den Tag verlängern oder noch mehr Patient:innen aufnehmen muss, damit überhaupt ein kostendeckender Betrieb möglich ist.»

Irgendwann reicht Freude an Arbeit nicht mehr

Das Schöne an diesem Beruf sei, dass ihn die meisten aus intrinsischer Motivation ausüben, also aus einem inneren Antrieb heraus, an der Freude an der Arbeit. Aber auch solche Menschen brauchen schliesslich genügend Lohn, um leben zu können. Darum vermutet Rey, dass die grosse Frustration erst später kommen wird, wenn die jungen Menschen noch genauer erfahren würden, was das im Arbeitsalltag auch wirklich heisse. «Dass alles vor der Therapie, die verschiedenen Methoden, sich auf die Patient:innen einstellen etc. nicht vergütet wird. Dass am Schluss nur die Zeit zählt, die man am Patienten verbringt. Wie das qualitativ durchgeführt wird, wie viele Weiterbildungen man besucht hat, spielt auch nicht unbedingt eine Rolle.»

Im Moment denke er, dass sich der Idealismus der Studierenden noch durchsetze, dass sie sich von solchen politischen Nachrichten noch nicht gross beeinflussen liessen. «Aber was passiert, wenn man zwei, drei Jahre im Beruf ist und merkt, dass die Qualität, die man bringt, einfach nicht abgegolten wird?»

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