
Integration als Balanceakt: Von Selbstwirksamkeit und Pragmatismus
Jessica Schön
Im Arbeitsintegrationskurs des Non-Profit-Vereins Zrächtcho lernen Menschen mit Fluchthintergrund, wie essenziell Selbstwirksamkeit und die richtige Vorbereitung auf das Berufsleben sind.
«Was ist wichtig vor einem Bewerbungsgespräch?» Die Teilnehmer:innen des Arbeitsintegrationskurses bekommen ein paar Minuten Zeit, ihre Antworten auf kleine Post-it-Zettel zu schreiben. Dann stellen sie ihre Ergebnisse vor. An sechs Halbtagen pro Woche werden die Kleingruppen am Arbeitsintegrationskurs des Non-Profit-Vereins Zrächtcho geschult. Oft geht es um Grundlegendes: Die Reflexion darüber, wer man ist oder was man gut kann. Darum, dass es wichtig ist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Um Pünktlichkeit eben.
Dass der Aufbau einer Existenz von teileweise trivialen Dingen abhängt, wirkt im ersten Moment absurd. Viele der jungen Menschen, die am Tisch um Kursleiter David sitzen, haben Schlimmes erlebt. Die Gleichzeitigkeit der existenziellen Bedeutung einer erfolgreichen Integration und des notwendigen Pragmatismus, den diese oft erfordert, fasst einen an.
«Sie bringen Ressourcen und Kompetenzen mit»
Viele Kursteilnehmer:innen haben einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus. Das bedeutet, dass ihr Antrag auf Asyl zwar abgelehnt wurde, eine Abschiebung in ihr Ursprungsland aber als unzumutbar gilt. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich. Gesetzlich steht ihnen aber das Recht auf Integrationsmassnahmen und auf Arbeit zu. Und: Sie bringen Ressourcen und Kompetenzen mit.
«Das mag auf den ersten Blick nicht offensichtlich sein,» sagt Mirjam Würth, Geschäftsführerin der NGO. Das liege oft daran, dass die Möglichkeit zum Austausch fehle. Kurse wie dieser setzen genau dort an.
Vielseitige Unterstützung für Menschen mit Fluchthintergrund
Der Arbeitsintegrationskurs stellt lediglich einen Zweig der Förderarbeit von Zrächtcho dar. Ergänzt wird das Angebot durch eine niederschwellige Kontaktstelle, berufliche Einstiegsprogramme und das Tandem-Projekt, in dem Freiwillige Geflüchtete im täglichen Leben begleiten. Die Finanzierung sichert sich durch Aufträge der Gemeinden, die im Zuge der Projekte des Vereins ausgeführt werden, durch die Integrationspauschale des Bundes und durch Beiträge von Stiftungen.
Einer, der den Arbeitsintegrationskurs besucht, ist Shahzad. In Afghanistan arbeitete er in einem Familienbetrieb als Schneider, später dann als solcher in der Türkei. Hier möchte er eine Maler-Lehre machen. Im Kurs soll er die Förderung erhalten, die er für den Einstieg in den Arbeitsmarkt braucht.
Erste Schritte
Die Teilnehmer:innen stellen ihre Ergebnisse der Aufgabenstellung vor. «Es ist wichtig, ruhig zu sein,» sagt Shahzad und blickt hilfesuchend zu Erfanullah, der schon etwas besser Deutsch spricht. Die beiden wechseln ein paar Sätze auf Dari.
David, der Kursleiter, versteht, was Shahzad sagen will und nickt ermutigend: «Genau, es ist normal, bei einem Bewerbungsgespräch nervös zu sein. Was kann man tun, um ruhig zu bleiben?» Wieder Blicke, gefolgt vom Versuch, die Frage zu beantworten – und einem Lachen über die Anstrengung. «Ja,» lenkt David ein, «das Lachen kann helfen, die Angst zu nehmen.» Man könne die Person beim Gespräch ausserdem bitten, langsam zu sprechen.
Solche Szenen gibt es immer wieder. Ein bisschen wirken sie wie eine Reaktion auf die Herausforderungen, mit denen die Kursteilnehmer:innen täglich konfrontiert sind. Und man merkt, wie sehr das Erleben von Selbstwirksamkeit in einem sicheren Umfeld von Bedeutung ist.
Das Beispiel zeigt: Integration ist keine Einbahnstrasse. Sie erfordert nicht nur eine Anpassung von Seiten der Geflüchteten, sondern auch ein aktives Mitwirken der Aufnahmegesellschaft – und ist damit ein Balanceakt zwischen dem, was man bewahren möchte und dem, was man aufnehmen will.
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mil1977
“Asyl zwar abgelehnt wurde”
Konkret: klassische Asylbetrüger.