Nahostkonflikt
International

Basler Professor in Israel: «Dieses Feiern der Massaker schauderte mich»

08.10.2023 19:07 - update 09.10.2023 07:39
Aliena Müller

Aliena Müller

Nach den Grossangriffen aus dem Gazastreifen wurden Flüge von und nach Israel ausgesetzt. Im Konfliktgebiet gestrandet ist auch ein Basler Professor. Alfred Bodenheimer gibt einen Einblick in die Situation in Israel.

Eigentlich sollten es ruhige Feiertage am jüdischen Laubhüttenfest Sukkot mit der Familie sein. Mit dieser Vorstellung reiste Alfred Bodenheimer, Professor für Jüdische Studien an der Universität Basel, in den Norden Israels. Dort lebe seine Familie und er sei oft zu Besuch. Die Rückreise wollte Bodenheimer ursprünglich am heutigen Sonntag antreten.

Nach den breit ausgelegten Angriffen der islamistischen Hamas auf Israel wurde dort der Kriegszustand ausgerufen. Kein Flugzeug startet und auch Bodenheimers Flug zurück nach Basel wurde gecancelt. Im Interview mit Baseljetzt erzählt Bodenheimer, wie er die Situation erlebt.

Baseljetzt: Wie fühlen sich die Menschen in Israel momentan?

Alfred Bodenheimer: Es ist eine extrem angespannte Situation. In dem Gebiet Galiläa, in dem ich mich gerade befinde, ist es faktisch ruhig, bisher hörte man auch noch keine Sirenen. Nach den Angriffen gab es nun erste Auseinandersetzungen mit der Hisbollah im Libanon. Galiläa ist da sehr exponiert und die Angst vor einer zweiten Front ist präsent.

Basler Professor in Israel: "Dieses Feiern der Massaker schauderte mich"
Grafik: Baseljetzt

Viele Menschen haben Angst um sich und ihre Angehörigen. Es wurden auch bereits viele in die Armee eingezogen.
Ich war vorher im Supermarkt: wir haben jetzt auch unseren Vorratskasten gefüllt. Dort wo wir sind gibt es auch einen eigenen Shelter, also einen Bunker im Haus. Dort haben wir bereits viele Sachen reingetan. Die meisten Leute haben vorratsmässig, also Konservendosen und solche Sachen, eingekauft. Es herrscht keine Panik, aber schon sehr grosse Nervosität.

Haben Sie aktuell unmittelbare Angst um sich und ihre Angehörigen?

Angst ist natürlich da. Man ist vorsichtig und überlegt sich sehr genau, wo man hingeht. Mein Schwiegersohn wurde bei der Mobilmachung in die Armee eingezogen. Meine Kinder und Enkelkinder wohnen in kritischen Gebieten. Mein Sohn beispielsweise in der Nähe von Tel Aviv mit seiner Familie, dorthin kehren sie momentan aber nicht zurück, sondern warten bei Familienmitgliedern ab. Meine Tochter wohnt in Jerusalem und dort ist insbesondere die Angst vor Terroranschlägen präsent. Bei der grossen arabischen Bevölkerung kommt es bei Eskalationen immer wieder zu Feindseligkeiten. Die Angst ist nicht nur da vor Raketen oder unmittelbaren Übergriffen durch feindliche Kräfte, sondern vielmehr auch vor den Begleiterscheinungen, wie Terror aus dem Inneren.

Im Norden ist es zwar noch ruhig, aber es gibt Warnungen, dass in den nächsten 24 bis 48 Stunden etwas losbrechen könnte. Wir versuchen ein wenig Normalität zu leben und uns ab und zu abzulenken. Man muss einfach hoffen, dass die Hölle jetzt nicht auch noch hier ausbricht und es zu keiner Eskalation kommt.

Wie haben Sie den Moment wahrgenommen, als klar war «wir sind jetzt im Krieg»?

Es war eine ganz eigenartige Situation. Der gestrige Feiertag war auch Shabbat, da benutzen meine Familie und ich keine Telefone und konsumierten auch keine elektronischen Medien. Im Regelfall hat das eine sehr entspannende Wirkung. Ich habe nur zufällig von der Eskalation erfahren. Wir entschieden dann, solange bei uns noch keine Sirenen zu hören sind warten wir ab.

Die Situation fühlt sich im Auge des Sturms natürlich immer anders an, als wenn man von aussen darauf blickt. Es stellt sich meistens automatisch ein gewisser Pragmatismus ein.

Eine beängstigende Situation spielte sich dann am Nachmittag ab. Plötzlich hörte man Gewehrsalven und es war schnell klar, das sind Freudekundgebungen aus umliegenden arabischen Dörfern, wo israelische Mitbürger:innen leben. Dieses Feiern der Massaker schauderte mich.

Begegnungen mit der arabischen Bevölkerung sind normalerweise eigentlich gar nicht problematisch, man trifft sich überall und das Zusammenleben funktioniert. Bei solchen Eskalationen kann es zu Feindseligkeiten kommen. Das gilt natürlich nicht für alle, auch unter der arabischen Bevölkerung gibt es Aufrufe zur Besinnung und ein Abraten vor Gewaltbereitschaft. Manchmal können aber bereits wenige Trittbrettfahrer katastrophale Akte verüben.

Was macht diese neue Eskalationsstufe mit der doch grossen jüdischen Community in Basel? Kann man den Alltag hier noch normal leben?

Es gibt zwei Arten von Folgen für die Menschen in Basel. Einerseits natürlich die Angst um Angehörige und die Sorge um das Land, mit dem man verbunden ist. Andererseits ist da der Sicherheitsaspekt, es kommt bei Konflikten in und um Israel immer wieder zu Reaktionen von ausländischen Gruppierungen aller Art. Jüdische Menschen werden dabei zum Ziel von Aggressionen, egal ob sie sich mit Israel identifizieren oder nicht – das ist purer Antisemitismus. Jüdische Institutionen stehen auch in Normalsituationen unter Polizeischutz, da wird nun die Aufmerksamkeit nochmals erhöht werden müssen.

Obwohl es in Israel immer wieder Konflikte gab, konnte man über weite Strecken mehr oder weniger damit umgehen. Die momentane Situation wird nun aber als die schlimmste seit 50 Jahren beschrieben. Dieser Kontrollverlust, dass fremde feindliche Mächte sich auf dem eigenen Territorium frei bewegen können, das weckt alte Traumata. So ist für Personen mit einer engen Verbundenheit zu Israel eine Normalität in Basel wohl kaum möglich.

Was kann man als nicht-jüdische Person machen, um beispielsweise die Community in Basel zu unterstützen?

Es braucht gar nicht viel. Man sollte einfach zeigen, dass man solidarisch mit ihnen ist. Schon der Ausdruck von Mitgefühl und Unterstützung kann in so einer Situation viel auslösen und zeigen «du bist nicht alleine, auch nicht in der Not».

(Interview: Lars Franzelli)

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08.10.2023 18:55

mil1977

Israel schützt seine Bevölkerung in dem man versucht islamische Terroristen rechtzeitig auszuschalten. Und mit Sicherheit feiert kein israelischer Bürger die tote Palästinenser. Kuchen und Süssigkeiten gibt es auch nicht auf den Strassen. Ticken eben noch normal, die Israelis. Solche Zustände wird man mit diesen Leuten auch noch in Europa bekommen.

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