Klimaschutz
Bezirk Arlesheim

Climeworks: Der Riesen-Staubsauger, der die Luft reinigt

20.08.2024 06:15 - update 25.03.2025 15:17
Tim Meyer

Tim Meyer

Um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, braucht es neue Technologien. In Muttenz steht seit Mai eine Testanlage, die CO2 aus der Luft entfernt. Baseljetzt schaute sich den Riesen-Luftfilter an.

Die Anlage mit Leitungen, Röhren, Isolierfolien und Kästen erinnert an einen Heizungsraum mit elektrischer Installation im Keller eines Einfamilienhauses. Einfach um ein Vielfaches komplexer und grösser. Hier wird zwar auch geheizt, aber nicht etwa, um sich selbst warm zu halten, sondern um CO2 aus der Luft zu entfernen. Auf dem «Getec»-Industriegelände, das rund 30 Firmen beheimatet, hat Climeworks seinen Testapparat aufgebaut.

Um diese Filteranlage in Muttenz mit eigenen Augen zu sehen, braucht es aber eine Menge an Vorbereitung: Schuhgrösse angeben, Zutrittsschulung mit Test, Schutzbrille und Helm, Leuchtweste und lange Hosen. Sobald diese Kriterien erfüllt sind, gibt es ein Check-In am Schalter – und dann ist man drin im Getec-Park.

Der CO2-Staubsauger

Dort begleitet uns ein Mitarbeiter der Firma Climeworks zur Testanlage. Auf dem Gelände gibt es vorgegebene Zonen in gelb, wo man sich als Fussgänger fortbewegen darf. Der Ausweis muss stets sichtbar getragen werden und Schienenfahrzeuge haben Vortritt. Bevor wir mit der eigentlichen Tour bei Climeworks beginnen, werden die Sicherheitsvorkehrungen nochmals durchgegangen: Sammelplatz, Gebäuderäumungsalarm oder potenzielle chemische Gefahren.

Und dann stehen wir vor der grossen Stahlstruktur. Dort drin gebe es Filtermaterialien, die man sich wie einen Schwamm vorstellen könne. Eine Art «CO2-Staubsauger», nennt Stefan Schenk, Leiter des Testing Teams, die Konstruktuion. Der Schwamm fängt das CO2 mittels Ventilatoren ein und bindet es auf dem Filtermaterial.

Das CO2 wird aufgeheizt und löst sich schliesslich vom Filter. Das Kohlenstoffdioxid ist dann gasförmig und wird, nachdem es gemessen und analysiert wurde, weiter verarbeitet und verflüssigt. Eine Partnerfirma sei dann für die eigentliche Entfernung des CO2 zuständig, so Schenk.

Bei der Kohlenstoffabscheidung werde grundsätzlich zwischen zwei Vorgehen unterschieden. Es gibt die Reduktion von CO2-Emissionen und die effektive Entfernung des Abgases: «Hier in Muttenz konzentrieren wir uns auf die Entfernung von CO2, da es dort noch nicht viele Möglichkeiten gibt. Es braucht aber beides, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Die Faustregel ist, dass wir zu 90 Prozent an Reduktionen arbeiten müssen und zu 10 Prozent an den CO2-Entfernungen».

Mehrere tausend Tonnen CO2 pro Jahr

Diese neuartige Technologie sei ein Teil des grossen Ganzen auf dem Weg zur Klimaneutralität, so Climeworks. Und diese entwickelt und baut sich nicht umsonst: Die Testanlage in Muttenz habe rund 13 Millionen Franken gekostet, sagt Schenk.

Die Firma Climeworks mit Sitz in Zürich wurde 2009 gegründet und Stefan Schenk ist seit den Anfängen dabei. Mittlerweile hat Climeworks 500 Mitarbeitende – drei davon in Muttenz. Das Unternehmen hat 2021 in Island die erste Produktionsanlage zur direkten Luftabscheidung und -Speicherung der Welt ins Leben gerufen. Diese kann 4000 Tonnen CO2 im Jahr entfernen. Das CO2 wird verflüssigt, in den Boden gedrückt und danach mineralisiert. Das Endprodukt sieht aus wie schwarzes Gestein.

Video: Climeworks

Stefan Schenk führt über das Areal. Die Sonne steht mittlerweile fast vertikal am Himmel und die Leuchthosen heizen auf. Vom Boden aus darf die Anlage betrachtet werden, heraufklettern und ins Herzstück sehen ist aber verboten. Das ist «top secret».

Climeworks arbeitet in Muttenz mit seiner neu entwickelten «Generation 3»-Technologie. Mit dieser strebt die Firma «einen doppelten Durchsatz an CO2-Mengen und eine Halbierung des Energieverbrauches» an. Das heisst, Climeworks will die Leistung der Anlage in Island um ein Vielfaches überbieten. Dort könne mit der CO2-Entfernung die Arbeit von rund 200’000 Bäumen pro Jahr ersetzt werden, so das Unternehmen. Denn: Der natürliche CO2-Speicher der Bäume habe auch eine Kapazitätsgrenze und sei nicht endlos, erklärt Schenk.

Sobald in Muttenz fertig getüftelt ist, will Climeworks in den USA eine grosse CO2-Entfernungsanlage mit der neuen Generation bauen. Baustart ist für 2026 in Louisiana geplant. Für eine solche, voll funktionstüchtige Anlage im Feld müsse man mehrere hundert Millionen Franken einberechnen.

Diese ganze Arbeit müsse sich laut Schenk auch wirtschaftlich lohnen. Climeworks wird momentan hauptsächlich durch Investoren finanziert. Die Firma bietet darum als Dienstleistung CO2-Zertifikate zum Verkauf an. Die Testanlage in Muttenz sei aber rein für Forschungs- und Entwicklungszwecke da und habe keine Wirtschaftlichkeit, betont Schenk.

Die Hauptvision von Climeworks: «Wir wollen mehrere Gigatonnen CO2 pro Jahr entfernen können.»

Aber warum ist genau das Industrieareal in Muttenz die Brutstätte für diese Pionier-Aufgabe?: «Es hat Platz, um mit dem Kran zu hantieren und industrielle Aktivitäten zu betreiben. Die Schweizerhalle als Standort hat ein Riesen-Netzwerk an Leistungen, vor allem Stromanschlüsse, Wärmezubringung und Kühlwasser», so der Leiter des Testing Teams.

Die Herausforderungen zur Bekämpfung der Klimaerwärmung bleiben aber auch hier die Gleichen. Vor allem der Energieverbrauch. Schenk: «Je weniger Energie ich brauche, desto günstiger ist das CO2 am Schluss».

«Teure und energieintensive» Technologie

Stichwort Energieverbrauch: Dieser ist auch bei einer Anlage, die CO2 aus der Luft herausfiltert, nicht unerheblich. Heisst, auch ein CO2-Beseitiger stösst wiederum CO2 aus. Da stellt sich schon die Frage, wie sinnvoll die Forschung in diese Richtung ist. Oder anders gefragt: Wie umweltfreundlich ist ein CO2-Staubsauger wirklich?

Der Ansatz, die Luft von Kohlenstoffdioxid zu reinigen, sei sinnvoll und wichtig, sagt Tom Kober. Er ist Dozent für Erneuerbare Energien und Energiesysteme an der Fachhochschule Nordwestschweiz. «Carbon Capture», also die Absonderung von CO2 aus der Luft, werde im Kampf gegen den Klimawandel schon bald eine grosse Rolle spielen, ist er überzeugt. Aber entscheidend sei, die Technologie dort einzusetzen, wo sie am dringendsten benötigt wird – also dort, wo viel CO2 in die Luft ausgestossen wird. Und Muttenz gehöre da nicht dazu.

Kommt dazu, dass die Technik «teuer und energieintensiv» ist, so Kober. Und die Technologie sei noch nicht ausgereift. So gibt es in der Region Basel beispielsweise noch keine Infrastruktur, um das abgesonderte CO2 in diesen Mengen zu lagern.

Diese Punkte werden auch in den kommenden Jahren die grösste Baustelle sein. Und so steckt der Riesen-Staubsauger, zumindest in der Region, noch in den Kinderschuhen.

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Kommentare

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20.08.2024 13:38

emab

🚿🧼🛁

0 0
20.08.2024 08:10

Sonnenliebe

👏👏

3 0

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