
«Den Menschen fehlt die Geduld für uns»: Podium zeigt die Stolpersteine in der Inklusion
Valerie Zeiser
Wir leben in einer schnellen Welt. Kaffee und Gipfeli bestellen wir in Sekunden, das Tram wartet nicht auf uns. Nicht alle Menschen können mit dieser Geschwindigkeit mithalten, wie ein Kongress in Basel zeigt.
«Ich lebe in der Welt der Nicht-Behinderten und in der Welt der Behinderten.» Das sagt Nils Jent, Professor und Dozent für Diversity Management und Inclusion an der Universität St. Gallen (HSG). Seit 1980 ist Jent wegen operativer Folgen nach einem Verkehrsunfall körper- und sprechbehindert sowie blind. In seiner Aufgabe als Dozent sei er Teil der Nicht-Behinderten-Welt. Ansonsten bewege er sich aber in der Welt der Behinderten.
Gemeinsam mit vier weiteren Personen ist er Teil einer Podiumsdiskussion beim Kongress «Ich bin – nicht– sprachlos», der vom Montag bis Mittwoch im Sudhaus stattfindet.
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Thema des Podiums ist die Inklusion im Alltag trotz Sprachbehinderung. Die Aussagen von Jent werden übersetzt von Petra Kopf. Jan Cookman (Moderator) Daniel Rickenbach, Anja Habegger und Shoan Feller, die ebenfalls Teil der Podiumsdiskussion waren, nutzen technische Hilfsmittel. Beispielsweise auf einem Tablet tippen sie ihre Aussage ein. Diese wird dann per Lautsprecher abgespielt.

Wie Daniel Rickenbach erklärt, sei diese Form der unterstützten Kommunikation (UK) sehr wichtig, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. «Es geht um Selbstständigkeit und Selbstbestimmung.» Rickenbach hat Cerebralparese und sitzt im Rollstuhl. Ein grosser Unterschied zur Kommunikation nicht-beeinträchtigter Menschen bleibt aber: die Geschwindigkeit. «Die schnelle Zeit spricht gegen die UK», sagt Rickenbach. Vielen Menschen fehle die Geduld im Alltag, um UK-Nutzenden zuzuhören.
«Ich denke schneller als ich sprechen kann»
Ein Problem, das auch Jent erlebt, der seine Aussagen von einem Menschen übersetzen lässt. «Vielen Menschen fehlt die Geduld, die Konzentration und die Hirnakrobatik, um mich zu verstehen.» Auch für ihn sei es aber teils nicht so einfach. «Ich denke schneller als ich sprechen kann.» Eine Erfahrung, die Anja Habegger ebenfalls kennt. Sie hat Autismus. «In meinem Kopf sind einige Gedanken, die ich nicht aussprechen kann.»

Für sie sei der Kongress aber sehr wichtig. «Ich bin begeistert, dass ich hier sein darf», sagt sie im Anschluss an das Podiumsgespräch. Auch Christian Kaspar und Jaime Garcia nehmen am Kongress teil. Sie sind Redakteure bei Idiotenspeak, ein seit 2015 bestehender Blog zu den Themen Leben mit Behinderung, inklusive Gesellschaft und Kommunikation, ausschliesslich mit Beiträgen von UK-Nutzenden.
«Wir wünschen uns Selbstbestimmung»
In einem von einer Speakerin vorgetragenen Beitrag erklären sie, dass die Barrieren der Uneingeschränkten im Alltag am schlimmsten seien. Und sie sprechen sich aus gegen die Macht der Heime. Dort würden neurotypische Fachleute über ihr Leben bestimmen, dabei wünschen sie sich Selbstbestimmung.

Generell brauche es ein Aufeinander-zugehen, sagt auch Nils Jent. «Es gibt einen Unterschied zwischen Integration und Inklusion», erklärt er. Bei Integration sei es die Aufgabe der beeinträchtigten Person, sich zu verändern. Das System hingegen, etwa die Gesellschaft, bleibe gleich. Bei Inklusion hingegen vollbringen die Person und das System die gleiche Anpassungsleistung. «Beide gehen aufeinander zu, lernen voneinander und das System entwickelt sich zu einer Vielfältigkeit auf Augenhöhe.»
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Hoschi
Das ist eine sehr wertvolle und sinnvolles Podium im Rahmen des Kongress.
Sonnenliebe
Fraglich warum es hier Daumen runter gibt! Unglaublich.