
Die Arbeitslast der Gerichte bleibt hoch und wird weiter ansteigen – eine Übersicht
Lea Meister
Der Jahresbericht der Basler Gerichte zeigt: Die Belastung nimmt weiter zu. Die Zunahme der Fälle bei der Staatsanwaltschaft schlägt sich natürlich auch in den Zahlen der Gerichte nieder. Eine Übersicht.
Die Staatsanwaltschaft publizierte Ende März die kantonale Kriminalitätsstatistik. Diese zeigte auf: Die Pendenzenberge bleiben weiterhin gross. «Diese Zahlen illustrieren die seit längerem bekannte strukturelle Überlastung nicht allein der Basler, sondern auch der Schweizer Strafverfolgungsbehörden», heisst es in der damaligen Mitteilung.
Den Gerichten ergeht es gleich, was nicht sonderlich überrascht, wenn man den direkten Zusammenhang betrachtet. Dies geht auch aus dem Jahresbericht 2023 der Gerichte Basel-Stadt hervor.
Eine Übersicht über Zahlen und Fakten aus dem Berichtsjahr 2023 an den verschiedenen Basler Gerichten.
Appellationsgericht
Die oberste kantonale Instanz in Zivil- und Strafsachen ist das Appellationsgericht. Es urteilt über die Entscheide des Strafgerichts, des Jugendgerichts und des Zivilgerichts. Zudem entscheidet es in einigen gesetzlich definierten Gebieten des Zivilrechts. Das Appellationsgericht übt die Aufsicht über die erstinstanzlichen Gerichte aus und untersteht der Oberaufsicht durch das Parlament.
Die Arbeitslast am Appellationsgericht ist hoch, besonders in der strafrechtlichen Abteilung. Zur Bewältigung dieser wurden 2023 mehrere ausserordentliche Gerichtsschreiber:innen angestellt.
Seit Beginn der Umbauarbeiten des Gerichtsgebäudes an der Bäumleingasse im Sommer 2021 war das Appellationsgericht auf zwei Standorte verteilt, was die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Abteilungen erschwert hat. Im April 2023 kehrten wieder alle Abteilungen an die Bäumleingasse zurück, was auch die gerichtsinterne Kommunikation wieder deutlich vereinfachte.
Im umgebauten Gerichtsgebäude wurde unter anderem eine Loge für die Anmeldung aller eingerichtet, die nicht am Gericht arbeiten. Zudem wurde das Gebäudeinnere in öffentliche, halböffentliche und nicht öffentliche Zonen aufgeteilt. Die Einrichtung der Loge und der verschiedenen Zonen habe zu einem höheren Personalbedarf geführt, da der Eingangsbereich während der Öffnungszeiten ständig besetzt sein müsse.
Der Personalmangel des Appellationsgerichts habe sich mit diesen Veränderungen und dem Tod eines Weibels im Sommer des vergangenen Jahres noch verstärkt.
Bei den Fallzahlen konnte im vergangenen Jahr eine Abnahme der Fälle im Bereich der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht beobachtet werden: 2022 waren es 59 Fälle, 2023 48. Zugenommen hat laut Jahresbericht aber die Komplexität der Einzelfälle.
Die Übersicht über die Fallzahlen am Appellationsgericht:

Strafgericht
Das Strafgericht beurteilt von der Staatsanwaltschaft überwiesene Anklagen und Einsprachen gegen Strafbefehle der Staatsanwaltschaft. Die gesetzlichen Grundlagen sind das Schweizerische Strafgesetzbuch, die Schweizerische Strafprozessordnung und eidgenössische und kantonale Nebenstrafgesetze. Das Strafgericht entscheidet als Zwangsmassnahmengericht zudem über die Anordnung und Verlängerung von Untersuchungs- und Sicherheitshaft und Überwachungsmassnahmen wie beispielsweise das Abhören von Telefonen.
285 Fälle gingen im Jahr 2023 beim Strafgericht Basel-Stadt ein. Im Vorjahr waren es 279 Fälle, es ist also eine Zunahme zu verzeichnen. 276 Personen wurden vom Gericht beurteilt und es sind 1’124 Aktenordner eingegangen.
Bei den ausgesprochenen Strafen überwogen 2023 mit 209 Verurteilungen klar die Freiheitsstrafen. Die Zahl bewegt sich leicht über dem Niveau des Vorjahres, in welchem in 202 Fällen Freiheitsstrafen ausgesprochen wurden. In 93 Fällen wurde die Freiheitsstrafe bedingt verhängt.
Abgenommen hat indes die Anzahl der ausgesprochenen bedingten, teil- und unbedingten Geldstrafen. Hier sind 103 Verurteilungen verzeichnet, 2022 waren es 130. Die Höhe der unbedingt ausgesprochenen Geldstrafen ist auf 48’510 Franken angestiegen. 2022 betrug diese 35’530 Franken. 2023 wurde zudem eine ambulante Massnahme vom Zwangsmassnahmengericht angeordnet. Verwahrungen gab es, wie schon 2022, keine.
In 89 Fällen wurden obligatorische Landesverweise verhängt, was vier Fällen mehr entspricht als im Vorjahr.
Die Zunahme der Fallzahlen wird im Jahresbericht als «markant» bezeichnet. «Die blossen Fallzahlen eignen sich sowohl bei den ordentlichen Verfahren als auch bei den Verfahren auf Einsprache nur bedingt, um die Entwicklung der Arbeitsbelastung des Gerichts nachzuvollziehen», heisst es im Bericht weiter.


Das Bild werde klarer, wenn zusätzlich die Anzahl der Sitzungshalbtage berücksichtigt werde. An dieser Zahl werde der Zeitaufwand für die Verhandlungen deutlich, der innerhalb eines Jahres erforderlich war. 773 Sitzungshalbtage wurden 2023 benötigt, um die Verfahren bearbeiten zu können. 2022 waren es noch 699. Der Mehraufwand bei der Bearbeitung der Strafverfahren sei spürbar.
Beim Strafgericht bereitet man sich darauf vor, dass die Fallzahlen in den kommenden Jahren nochmals markant zunehmen könnten. Dass die Staatsanwaltschaft ihr Personal aufstocke, um Pendenzen abzuarbeiten, weise klar darauf hin. Damit «die Pendenzen nicht überhandnehmen», hat das Strafgericht die Schaffung einer zusätzlichen Präsidiumsstelle mit einem Vollzeitpensum und die Aufstockung der Pensen bei den Gerichtsschreiber:innen um zwei Vollzeitstellen beantragt.
Bei den Gerichtsschreiber:innen seien 160 Stellenprozente bewilligt worden, der Antrag auf ein zusätzliches Präsidium ist beim Grossen Rat noch hängig. «Um einen geregelten Gerichtsbetrieb auf Dauer aufrecht erhalten zu können, ist es wichtig, dass nun auch noch die beantragte Aufstockung bei den Präsidien gutgeheissen wird», heisst es im Bericht.
Zivilgericht
Das Zivilgericht beschäftigt sich mit Eheschutzmassnahmen, Scheidungen, Erbschaften, verschiedenen Vertragsformen und gesellschafts- und handelsrechtlichen Fragestellungen. Es überprüft zudem die polizeilichen Wegweisungs- und Rückkehrverbotsverfügungen bei häuslicher Gewalt und beurteilt Streitigkeiten aus dem Bereich des Zwangsvollstreckungsrechts.
Jährlich führt das Zivilgericht rund 6’000 Verfahren, dabei handelt es sich bei 2’000 um betreibungs- und konkursrechtliche Verfahren. Zu den deutlich aufwendigeren Verfahren gehören familienrechtliche Probleme. Diese bildeten 2023 mit knapp 1’200 Eingängen die zweitgrösste Gruppe von Streitigkeiten.

Hinzu kamen 380 mietrechtliche Verfahren und 44 Klagen vor Arbeitsgericht. Zudem hat das Zivilgericht im aktuellen Berichtsjahr 684 Rechtshilfeersuchen behandelt und es wurden 809 neue Schlichtungsbegehren eingereicht.

Insgesamt stellte das Zivilgericht im vergangenen Jahr 61’906 Zahlungsbefehle aus, was über der Vorjahreszahl liegt (57’282). Die Konkurseröffnungen blieben mit 717 Stück im Vergleich zum Vorjahr (714) stabil.
Sozialversicherungsgericht
Geht es um Streitigkeiten des Sozialversicherungsrechts, kommt das Sozialversicherungsgericht ins Spiel. Es beschäftigt sich unter anderem mit Streitigkeiten rund um die AHV, IV, Ergänzungsleistungen und kantonale Beihilfen, die Berufliche Vorsorge, die Obligatorische Unfallversicherung, die Krankenversicherung, Prämienverbilligungen, Familienzulagen oder der Arbeitslosenversicherung.
Das Sozialversicherungsgericht behandelte 2023 278 Fälle, was einer Zunahme im Vergleich zum Vorjahr um mehr als zehn Prozent entspricht. Zu einer Zunahme kam es besonders in den Bereichen der Kranken- und Unfallversicherung. Im Bereich der IV sind die Zahlen konstant geblieben. «Die am 1. Januar 2022 in Kraft getretenen Neuerungen im Bereich der Invalidenversicherung beginnen sich auf die an das Sozialversicherungsgericht weitergezogenen Fälle auszuwirken. Es wird sich zeigen, ob und inwieweit die Fallzahlen in diesem Versicherungszweig im laufenden Jahr und in den Folgejahren wieder steigen werden», heisst es im Bericht.
Im Vergleich zu den Vorjahren wurden am Sozialversicherungsgericht zwar weniger Fälle erledigt, der zeitliche und der personelle Aufwand für die Fallerledigungen habe sich aber nicht vermindert. Die komplexen und umfangreichen Fälle würden weiter zunehmen, gerade im Bereich der Beruflichen Vorsorge. «Von hoher Komplexität und zeitraubend sind stets auch jene Fälle, in welchen das Sozialversicherungsgericht Gerichtsgutachten veranlassen muss, weil der medizinische Sachverhalt durch die Vorinstanz nicht ausreichend abgeklärt worden ist.»
Jugendgericht
Beim Jugendgericht handelt es sich um die erstinstanzliche Gerichtsbehörde für Personen, die zum Zeitpunkt einer begangenen Straftat noch nicht 18 Jahre alt sind und deren Beurteilung nicht in die Kompetenz der Jugendanwaltschaft fällt. Das Jugendgericht ist aus Fachleuten aus dem juristischen, medizinischen, psychosozialen und pädagogischen Bereich zusammengesetzt.
Aus dem Bericht geht hervor, dass die Belastung des Jugendgerichts weiterhin hoch ist – höher als es «die ursprünglichen Strukturen vorgesehen hatten». Aufgrund der ebenfalls sehr hohen Fallbelastung auf der Jugendstaatsanwaltschaft mit Haftfällen komme es zudem zu Verzögerungen in der Überweisung der Anklagen an das Jugendgericht. Entsprechend müsse auch im kommenden Jahr mit einer hohen Belastung gerechnet werden.
Der hohe Aufwand habe hohe Fallkosten, hohe Kosten für amtliche Verteidigungen und vermehrt Bedarf an personellen Ressourcen zur Folge. Die Belastung der Gerichtsschreiber:innen sei sehr hoch. «Die Fälle am Jugendgericht können nur dank dem Einsatz von zusätzlichen, im Stundenlohn beschäftigten Gerichtsschreibenden bewältigt werden.» Um dem Wissensverlust entgegenwirken zu können und Kontinuität und Konstanz zu schaffen, werde voraussichtlich «eine Erhöhung des Headcounts» ins Auge gefasst werden müssen.
Die Beurteilung der 27 Fälle nahm beim Jugendgericht insgesamt 90 Verhandlungstage in Anspruch. In 11 Fällen wurde über die Verlängerung der Untersuchungshaft von Jugendlichen und über weitere Zwangsmassnahmen entschieden.
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