«Die Leute im Stadion sollen sich an Zeiten erinnern können, die nicht wiederkehren»
©Bild: Lea Meister
Abschiedsspiel
FCB

«Die Leute im Stadion sollen sich an Zeiten erinnern können, die nicht wiederkehren»

05.09.2023 17:24 - update 06.09.2023 08:36
Lea Meister

Lea Meister

415 Spiele, 101 Tore und 110 Assists. Seit 2007/2008 hat er sich in die Herzen der Fans gespielt. Ein Jahr nach dem Karriereende verabschiedet sich Stocker nun mit einer grossen Sause im Joggeli.

Als 16-Jähriger wechselte Valentin Stocker vom SC Kriens zum FC Basel. Was er in den kommenden Jahren erlebte, kann sich manch ein junger FCB-Fan heute kaum mehr vorstellen. Sechs Meistertitel, vier Cupsiege und unzählige internationale Sternstunden. Dreieinhalb Jahre spielte er auch noch in der Bundesliga bei Hertha Berlin und kehrte im Januar 2018 zurück zum FC Basel.

Im Sommer vor einem Jahr löste Stocker dann seinen Spielervertrag auf. «Ich hatte als Fussballer eine grossartige Zeit beim FCB und durfte unglaublich viele schöne Momente erleben – umso mehr freue ich mich, nun bei meinem Club ein neues Kapitel abseits des Platzes aufzuschlagen.» Mit diesen Worten verabschiedete er sich von der Bühne des Profifussballs. Ein herber Schlag für viele Fans, war er doch im Laufe der Jahre zu einer richtigen FCB-Legende herangewachsen.

Stages in der Bundesliga

Nach einer mehrwöchigen Pause wollte er sich auf neue Aufgaben beim FCB konzentrieren – die Unterstützung der sportlichen Leitung des Clubs und parallel dazu verschiedene Aus- und Weiterbildungen im Bereich des Sportmanagements. Der FCB formulierte das Ziel in der damaligen Medienmitteilung wie folgt: «Die Idee und das Ziel von Stocker und dem FCB ist es, den langjährigen Rotblau-Profi auf diese Weise Schritt für Schritt an die Funktion des Sportchefs heranzuführen.»

Seither ist viel Zeit vergangen und im Verein, wie auch bei Valentin Stocker ist viel passiert. In den vergangenen Monaten hat er Abstand genommen vom aktiven Fussball und sich stärker damit befasst, was hinter den Kulissen geschieht. Bei Hertha und Union Berlin hat er Stages absolviert und vieles über Führungsstrukturen und Abläufe gelernt. «Wenn man weiss, dass man seine Passion zum Beruf machen konnte, ist auch ein gewisser Respekt davor da, was danach kommt», so Stocker an der Medienrunde vom Dienstag. Dass er sich dafür habe Zeit nehmen könne, sei ein grosses Privileg für ihn.

Endlich auf Hochzeiten und Geburtstagen

In den kommenden Monaten möchte Stocker vermehrt Heiko Vogel über die Schulter schauen. Auch ins Scouting habe er bereits Einblick erhalten und sich gut betreut gefühlt. Stocker scheint Lust auf neue Aufgaben zu haben. Er wirkt erholt und neugierig. Wann er genau in welcher Funktion beim FC Basel in Erscheinung treten wird, kann er noch nicht sagen. Er macht aber keinen Hehl daraus, dass er gerne eines Tages FCB-Sportchef wäre. «Es muss der richtige Moment sein und der wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst.» Wichtig seien beispielsweise der schulische Aspekt und die persönlichen Erfahrungswerte. Punkte, die Zeit brauchen und sich in einem laufenden Prozess entwickeln.

"Die Leute im Stadion sollen sich an Zeiten erinnern können, die nicht wiederkehren"
Gewohnt offen stellt sich Valentin Stocker am Dienstag vor die Medien. Bild: Lea Meister

Die Entscheidung zum Rücktritt habe er aus freien Stücken getroffen, die Familie habe ihn dabei nicht beeinflusst, sondern sehr gut unterstützt. Vermisst Stocker denn den Fussball heute? «Gewisse Aspekte davon auf jeden Fall, beispielsweise die Stimmung und die Momente in der Umkleidekabine.» Aus dem Profifussball mitgenommen in sein Privatleben habe er vor allem etwas: «Die Pünktlichkeit. Ich bin wirklich ein sehr pünktlicher Mensch geworden», sagt «Vali» und lacht. Im vergangenen Jahr habe er zudem reisen können und endlich auch einmal Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern an Wochenenden besucht, darauf habe er sich gefreut.

Kein Platz für situative Erinnerungen

Seither auf den Rängen im Stadion zu sitzen, sei sicher schwieriger, als auf dem Platz zu stehen. «Ich versuche, mich damit zu beruhigen, dass ich wirklich nicht mehr helfen kann.» Wieder lacht Stocker und wirkt dabei befreit. Das Derby am Sonntag habe er genossen. Die Fans, das Stadion und die Stimmung seien einmalige Aspekte, die sich auch heute noch grossartig anfühlten.

Der heute 34-Jährige hat in den vergangenen Jahren in Interviews immer wieder einen spezifischen Wunsch geäussert: Reflektieren zu können. Dafür braucht es Zeit und Raum. Zeit zum Innehalten habe es gegeben, erzählt Stocker. «Am Barfi bin ich auch schon einmal stehen geblieben und habe mich daran erinnert, was ich hier alles erlebt habe.» Situative Erinnerungen also, für die er während der aktiven Karriere keinen Platz gefunden habe.

Weggefährten zusammengetrommelt

Vollgeladen mit Erinnerungen wird auch der kommende Sonntag sein. Um 14.14 Uhr wird das Abschiedsspiel für Stocker angepfiffen. Ein «Pilotversuch» sozusagen, denn Erfahrungswerte für vergleichbare Spiele gibt es keine. Stand jetzt wurden rund 4’000 Tickets verkauft und auch die Muttenzerkurve hat sich für das Spiel angekündigt. Ein Spiel, das auf Wunsch von Stocker selbst zustande kam und auch zu einem grossen Teil von ihm organisiert wurde. So hat er sich beispielsweise um das Zusammentrommeln verschiedenster FCB-Legenden und ehemaliger Weggefährten wie Franco Costanzo, Matias Delgado oder David Abraham gekümmert.

Sommerliches Wetter, Natipause, die Bedingungen sind gut. Am meisten freut sich Stocker aber auf die Nostalgie, die am Sonntag das Joggeli erfüllen wird. Zwei, drei Spieler seien leider verhindert, beispielsweise Arthur Cabral oder Yann Sommer. Nichtsdestotrotz werden am Sonntag zahlreiche rotblaue Legenden den Rasen betreten.

Fussballgeschäft als Spiegel der Gesellschaft

Auf dem Rasen stand Stocker schon länger nicht mehr. Vor einiger Zeit, als er noch aktiver Fussballer war, habe er sich ein Seniorenspiel angeschaut und dann aber ganz rasch entschieden: «Da werde ich sicher nicht spielen.» Auch in dieser Partie sei die Anspannung sehr hoch gewesen, erzählt Stocker lachend und strahlt dabei aus, dass er seinen Rücktrittsentscheid nicht bereut.

Der Erlös des Abschiedsspiels wird auf Wunsch von Stoker an die Non-Profit-Organisation Wasser für Wasser gespendet. Der Co-Gründer der Organisation, Lior Etter, ist ein guter Freund von Valentin Stocker. Gemeinsam machten sie beim FC Luzern die ersten fussballerischen Schritte. Zwei «Antifussballer» also? «Ich denke, ich bin schon mehr Fussballer als er. Das trifft es aber irgendwie schon, ja.»

«Das schnelllebige Fussballgeschäft und die Entwicklung hin zur ständigen Erreichbarkeit und dem Drang nach Reichweite auf den Sozialen Medien widerspiegeln die Gesellschaft», sagt Stocker und macht somit klar, dass er dem Fussball deshalb nicht den Rücken kehren würde. Die Probleme in seiner Branche sehe man überall auf der Welt. Man müsse versuchen, diese für sich selbst einzuordnen, um Teil davon sein zu können. Bei Themen wie Burnout-Gefahr und Vereinbarkeit von Beruf und Familie beispielsweise nimmt er auch die Medien in die Pflicht. Ob er im Kleinen auch selbst auf gewisse Aspekte Einfluss nehmen könne, werde er in einigen Jahren beantworten können.

«Vali» geht nicht früh ins Bett

Abschiedsspiele sind gerade in der Schweiz eher eine Seltenheit. Auch beim FCB gab es in den vergangenen Jahren keinen vergleichbaren Event. «Schade eigentlich», findet Stocker, entsprechend handle es sich eigentlich fast schon um ein Abschiedsspiel für mehrere Spieler, beispielsweise auch für Marco Streller. Spezielle Ansprüche an sich selbst habe Stocker für kommenden Sonntag nicht, auch ein «Glanztor» müsse es nicht unbedingt sein. Viel wichtiger scheint ihm zu sein, wen er alles ins Boot holen konnte, um einen letzten hochemotionalen Kick im Joggeli zu erleben. Das Spiel leiten wird Adrien Jaccottet und an der Seitenlinie stehen Namen wie Patrick Rahmen oder Thorsten Fink.

«Ein Glanzspiel ist dennoch nicht zu erwarten.» Stocker lacht und scheint sich sichtlich auf seinen offiziellen Abschied zu freuen. An erster Stelle stehe das «Transferieren von Emotionen»: «Ich möchte, dass die Spieler, die kommen, wissen, dass sie Teil einer prägenden Zeit waren und die Leute im Stadion sich an diese Zeiten erinnern können, die vorbei sind und auch nicht mehr zurückkommen werden.» Früh ins Bett gehe er am Samstag nicht. Im Gegenteil, er komme sogar erst am Sonntag zum Spiel.

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