
«Die Naivität der Frauen wurde ausgenutzt»: Die Plädoyers im Pfarrer-Prozess
Shahed Staub
Wo sind die Chats? Wann hat alles begonnen? Rund um den mutmasslichen SMS-Sorgentelefon-Betrug im Baselbiet bleiben zentrale Fragen offen. In den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung dreht sich alles um zwei Punkte: Freiwilligkeit und Zeitpunkt.
Am Dienstag stand ein ehemaliger Pfarrer vor dem Baselbieter Strafgericht in Muttenz. Er soll ein SMS-Sorgentelefon initiiert und so zwei Frauen zu sexuellen Handlungen und Pornografie gedrängt haben:
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Die Bilder und Chats des Sorgentelefons liegen nicht mehr vor. Für die Staatsanwältin ist dennoch klar: Die Privatklägerinnen und mutmasslichen Opfer T.A.* und G.A.* haben zu keiner Zeit Jugendliche unterstützt, sondern einzig mit dem Beschuldigten selbst kommuniziert. Das Sorgentelefon sei ein reines Konstrukt des Beschuldigten gewesen, geschaffen, um an sexuell konnotiertes Material zu gelangen. Auch die angebliche Sozialarbeiterin «Sarah», welche den Chat koordinierte, habe es nie gegeben.
Unter 16 Jahren: Staatsanwaltschaft sieht eindeutige Erfüllung des Tatbestands
Die Ereignisse liegen zehn Jahre zurück. Dass T.A. und G.A. sich nicht mehr an den genauen Zeitraum und an alle Abläufe im Detail erinnern können, wertet die Staatsanwältin als «authentisch». Bestätigt werde dies auch durch die Tränen, die den mutmasslichen Opfern während der Hauptverhandlung am Dienstagmorgen über das Gesicht liefen. Indizien wie Screenshots legen jedoch nahe, dass das Sorgentelefon im Sommer 2013 gestartet sein muss. Für die Staatsanwaltschaft steht fest: Die beiden Frauen waren beim Beginn der sexuellen Handlungen noch unter 16 Jahre alt. Eine Verjährung – in solchen Fällen 15 Jahre – liege daher nicht vor.
Für die Erfüllung des Tatbestands sei ein direkter Kontakt zwischen Täter und Opfer nicht zwingend erforderlich. Unerheblich sei auch, ob die beiden mutmasslichen Opfer beim Verschicken der Fotos «Spass» hatten, es «spannend» fanden oder dabei «sexuell erregt» waren. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von 16 Monaten mit einer Probezeit von zwei Jahren sowie ein Berufsverbot von drei Jahren. Die Vertretung der Privatklägerinnen verlangt zudem eine Genugtuung von 6000 Franken.
Aussagen den Beschuldigten seinen «in sich selbst widersprüchlich»
Dass der Beschuldigte bei der Hauptbefragung behauptete, beim Sorgentelefon habe es sich um reale Anfragen gehandelt, sei «unglaubhaft» und «in sich selbst widersprüchlich», so die Staatsanwältin. Für sie besteht kein Zweifel daran, dass die Geschehnisse so stattgefunden haben, wie sie von den Privatklägerinnen geschildert wurden.
Als wenig glaubhaft wertet die Vertretung der Privatklägerinnen auch die Aussage des Beschuldigten, er habe Nacktfotos und sexualisierte Texte jeweils sofort gelöscht. Für die mutmasslichen Opfer bleibe dadurch bis heute unklar, ob nicht doch irgendwo ein Foto von ihnen existiert.
Verteidigung des Beschuldigten: «Das ist Rufmord»
«Es liegen keinerlei Beweise vor», sagte der Verteidiger des Beschuldigten bei der Hauptverhandlung vor Gericht. Und ohne Beweise kein Schuldspruch. Es habe keine Aufforderung des Beschuldigten an G.A. und T.A. gegeben, Fotos zu schicken. Dafür fehlten sämtliche Beweis-Textnachrichten. Zudem sei es technisch möglich gewesen, Fotos auf den verwendeten Handys (Nokia und iPhone) im Nachhinein zu verändern.
Weiter strittig: der Zeitpunkt. So eindeutig die Staatsanwaltschaft der Beginn der Bedienung des Sorgetelefons durch G.A. und T.A. auch sieht, für die Verteidigung bleiben Zweifel bestehen. Erst lange nach den Testkäufen sei es zur Übernahme des Sorgetelefons durch die beiden Frauen gekommen, so der Verteidiger. Die Akten zeigten klar, dass die Privatklägerinnen zu diesem Zeitpunkt das 16. Lebensjahr – im Fall von G.A. gar das 17. – bereits erreicht hätten.
Positiv anzurechnen sei dem Beschuldigten zudem, dass er eigenständig zugab, die Koordinationsperson «Sarah» frei erfunden zu haben, betonte sein Anwalt vor Gericht. Sein Mandant bereue sein Verhalten zutiefst – auch wenn viele der Fotos von den Privatklägerinnen unaufgefordert verschickt worden seien oder ohne sein Zutun bei ihm landeten. Den Tatvorwurf der Staatsanwaltschaft bezeichnet die Verteidigung als Rufmord. Im Zweifel, so das Plädoyer, müsse der Angeklagte vollumfänglich freigesprochen werden.
«Es tut mir leid»
Zum Abschluss des Verhandlungstags sprach noch einmal der Beschuldigte: «Es tut mir leid. Für alles was ich anderen Menschen angetan habe.» Er werde nicht mehr in seinen Beruf zurückkehren – und das sei auch gut so.
Das Urteil wird für Donnerstagnachmittag erwartet.
*Namen der Redaktion bekannt
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