
Pfarrer soll sexuelle Handlungen über Sorgentelefon initiiert haben – und zeigt sich unwissend
Shahed Staub
Im Strafgericht Muttenz steht ein ehemaliger Pfarrer vor Gericht. Er soll zwei Frauen über ein SMS-Sorgentelefon zu sexuellen Handlungen und Pornografie gedrängt haben. Vor Gericht gibt er an, davon nichts gewusst zu haben.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein Mann soll im Zeitraum von 2013 bis 2015 über eine SMS-Betrugsfalle zwei junge Frauen zu sexuellen Handlungen gedrängt haben.
- Gemäss Anklageschrift soll er über ein Sorgentelefon mehrere Nacktfotos erhalten haben, ohne sich gegenüber den Jugendlichen kenntlich gemacht zu haben.
- Vor Gericht erklärte er am Dienstagmorgen, davon keine Kenntnis gehabt zu haben.
Eine Dreierkammer empfängt die Anwesenden im Strafgericht in Muttenz. Die beiden mutmasslichen Opfer und Privatklägerinnen G.A. und T.A. sind Dienstagvormittag vorerst nicht im Raum; sie sollen erst später zur Prozessverhandlung hinzustossen.
Der Beschuldigte ist anwesend, reibt sich mehrmals die Hände und wirkt sichtlich nervös, was er auf Nachfrage des Richters auch bestätigte. Für ihn ist es das erste Mal, dass er vor Gericht steht – trotzdem erklärte er am Dienstagvormittag, fähig zu sein, Aussagen zu machen. Gegen ihn steht der Vorwurf von mehrfachen Handlungen mit Kindern und Minderjährigen sowie der mehrfachen Anstiftung zur Pornografie.
Der Beschuldigte wollte aus dem Leben scheiden
Der Beschuldigte habe vor knapp zwei Wochen versucht, sich das Leben zu nehmen. Dies sagte er gleich zu Beginn der Verhandlung, als ihn der Richter bat, sich vorzustellen. In einem Wald im Baselbiet habe er sich erhängen wollen. Seine Frau habe ihn gefunden, woraufhin er ins Spital gebracht wurde. Er leide unter psychischen Angstzuständen und Panikattacken. Zudem habe er seit etwas über eineinhalb Jahren Herzprobleme.
Im Strafgericht erzählt der Beschuldigte von seiner Kindheit. Er wuchs als Kind von Saisoniers auf, wurde verstossen und von einer Adoptivfamilie aufgenommen. Den Kontakt zu seinen leiblichen Eltern habe er verloren. Mit seiner Frau habe er einen 17-jährigen Sohn, gemeinsam lebten sie zu dritt. Derzeit helfe er seinem Sohn bei der Vorbereitung auf die Autoprüfung und unterstütze so gut es gehe im Haushalt. Da er krankgeschrieben sei, habe er momentan viel Zeit.
Der Pfarrer und das SMS-Sorgentelefon
Der Beschuldigte studierte in Nürnberg Theologie und war seit 2001 Pfarrer im Kanton Baselland. Dort lernte er auch die beiden mutmasslichen Opfer G.A. und T.A. kennen. Die beiden soll er im Jahr 2013 in eine SMS-Betrugsfalle in Zusammenhang mit einem Sorgentelefon miteingebunden haben. Eigentlich sollte das Sorgentelefon als Anlaufstelle für Suchtfragen dienen, doch die beiden Frauen wurden gemäss der Anklageschrift der Baselbieter Staatsanwaltschaft vom Beschuldigten zu sexuellen Handlungen und Anstiftung zur Pornografie geleitet.
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Auf Nachfrage des Richters, ob der Beschuldigte die Anklageschrift gelesen habe, bejahte er. Er sei schockiert gewesen. Er gab zu, dass es das Sorgentelefon gab und auch bestritt er nicht, dass er hinter dem erfundenen Pseudonym «Sarah», das den beiden mutmasslichen Opfern G.A. und T.A. als Anlaufstelle diente, in Wahrheit selbst steckte. Den beiden sagte er davon nichts. Weshalb nicht, wollte er am Dienstag nicht beantworten. Auch unbeantwortet liess er, weshalb bei einem Sorgentelefon mit Schwerpunkt Sucht häufig Anfragen zum Thema Sexualität reinkamen.
Beschuldigter: «Ich habe keine sexuellen Fotos geschickt oder erhalten»
Der Beschuldigte erzählt, er habe G.A. und T.A. jeweils zehn Franken pro Stunde ausbezahlt, wenn sie das Sorgentelefon bedienten. Laut der Anklageschrift soll der Beschuldigte G.A. eines Tages vor zehn Jahren ein Nacktfoto einer Frau geschickt haben. Dies bestritt er am Dienstagmorgen in Muttenz. «Kann sein, dass ich etwas weitergeleitet habe», so der Beschuldigte. Seinen Angaben zufolge sei das Bild von einer anderen Person gekommen, er habe es lediglich an G.A. weitergeleitet. Den Inhalt der Nachricht – dass es sich dabei um Nacktfotos handelte – habe er gar nicht wahrgenommen.
Gemäss Anklageschrift soll der Beschuldigte von Mitte 2013 bis Ende 2015 mindestens 30 ratsuchende Jugendliche erfunden haben, die mit G.A. und T.A. kommunizierten. Darunter auch Jugendliche, die sich nicht sicher gewesen seien, ob «alles normal ist», und Fotos von pornografischen Webseiten zuschickten. Im Gegenzug haben sie Fotos zu Vergleichszwecken verlangt. All diese Nachrichten sollten jedoch vom Beschuldigten selbst verschickt worden sein.
Der Beschuldigte beteuerte vor dem Strafgericht, diese Personen seien nicht erfunden gewesen und er habe die Inhalte «geschlossen und ohne sie gesehen zu haben» an G.A. und T.A. weitergeleitet. Auch Fotos, auf denen G.A. und T.A. nackt gewesen seien, sich berührt oder masturbiert hätten und die er gemäss Anklageschrift erhalten haben soll, habe er nach eigenen Angaben am Dienstag nie bekommen.
Erste Privatklägerin G.A.: Fast nur junge Frauen wurden ihr per SMS zugeschaltet
G.A. betritt als erste der beiden Privatklägerinnen den Saal, der Beschuldigte verfolgt die Verhandlung aus einem Nebenzimmer per Videoübertragung. G.A. ist mittlerweile Mitte 20 Jahre alt.
Sie erinnert sich an die ersten Testkäufe für den Beschuldigten; damals war sie noch unter 16 Jahre alt. Der Beschuldigte erzählte ihr vom erwähnten Sorgentelefon, und G.A. zeigte Interesse – auch weil es dafür einen kleinen finanziellen Lohn gab. Kurze Zeit später schrieb sie jeweils dem Pseudonym «Sarah», dass sie bereit sei für den Dienst, worauf sie dann mit Jugendlichen verbunden wurde, die Beratung brauchten.
«Ich meine mich daran zu erinnern, dass diese ‹Sarah› schon bei einem der ersten Gespräche erwähnte, die Gespräche über das Sorgentelefon könnten teils auch in eine sexuelle Richtung gehen», so G.A. Kurz habe die Privatklägerin das erste Nacktfoto von der «Sarah» erhalten. G.A. sei von der «Sarah» ermutigt worden, es ihr gleichzutun. Sie sei auf ihren Wunsch eingegangen. Auch von den Jugendlichen habe sie stets mehr Nacktfotos bekommen, G.A. habe Bilder von sich zurückgeschickt. All diese Bilder sollen aber direkt zum Beschuldigten gelangt sein.
Zweite Privatklägerin T.A.: «Ich schäme mich»
Auffallend: G.A. und T.A. wurden am SMS-Sorgentelefon fast ausschliesslich junge Frauen zugeschaltet, die sie beraten sollten. Man habe sich ausgetauscht, den Namen verraten, und sich bald gegenseitig Nacktfotos zugeschickt. Mittlerweile hat sich T.A. als Privatklägerin zum Fall geäussert. Auch bei ihr dasselbe Spiel: Sorgentelefon, «Sarah», Nacktfotos.
Auch T.A. habe ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle geplagt – auch aus Angst, der Beschuldigte könnte von diesem Bilderaustausch erfahren. Dass er selbst hinter der Betrugsmasche stecken könnte, habe sie zu keinem Zeitpunkt geahnt. «Ich schäme mich, ich hatte den Job beim Sorgentelefon sogar eine Zeit lang in meinem Lebenslauf drin».
Die Verhandlung wird am Dienstagnachmittag mit den Plädoyers der Staatsanwaltschaft, der Vertretungen der Privatklägerinnen und der Verteidigung des Beschuldigten fortgesetzt.
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