Ein Streit in der «Steinen», bei dem keiner so recht wissen will, wie ihm geschah
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Prozess
Basel-Stadt

Ein Streit in der «Steinen», bei dem keiner so recht wissen will, wie ihm geschah

16.09.2024 20:01 - update 17.09.2024 09:24
David Frische

David Frische

Der Abend des 2. Dezember 2023 begann feucht-fröhlich und endete blutig. Ein Mann wurde in der Steinen mittels vier Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Ob aus Notwehr oder aus Wut, muss das Strafgericht seit Montag klären.

Ein 23-jähriger Türke steht seit Montag vor dem Basler Strafgericht. Er wird der versuchten vorsätzlichen Tötung beschuldigt. Ereignet hatte sich der Vorfall an einem Samstagabend im Dezember 2023 im und vor dem Soho-Club in der Steinenvorstadt.

Was wir wissen

Zwei Männer, der Angeklagte und das mutmassliche Opfer, liefern sich im Untergeschoss des Soho-Clubs eine Pöbelei und ein Wortgefecht, die Security muss eingreifen und stellt die beiden Streithähne vor die Tür. Dort geraten sie kurz darauf erneut in eine heftige Auseinandersetzung. Es wird gerangelt. Schliesslich sticht der Angeklagte mit einem Sackmesser auf den anderen Mann viermal ein und verletzt ihn lebensgefährlich. Der Mann muss notoperiert werden, ihm werden verletzte Teile der Lunge entfernt. Er trägt bleibende Schäden davon, überlebt aber.

Angeklagter wollte sich schützen

Der Angeklagte gibt zu, auf den anderen Mann eingestochen zu haben. Dieser sei «grösser und stärker» als er gewesen und er habe sich wehren müssen, so der damals 23-Jährige. Der Beschuldigte sagt vor Gericht, von seinem Widersacher vor dem Soho geschlagen und mit beiden Händen gewürgt worden zu sein. Der Griff seines Kontrahenten sei so stark gewesen, dass er sich nur mittels des Messers daraus befreien konnte. «Ich habe so etwas zuvor noch nie erlebt.» Er habe unbewusst und aus Panik gehandelt, sagt er gegenüber dem Gerichtspräsidenten Dominik Kiener. «Ich wollte niemals ein Leben gefährden. Aber wenn meines gefährdet ist, versuche ich mich zu wehren», verteidigt sich der Angeklagte. Er sei froh, dass es dem anderen Mann besser gehe und er entschuldige sich bei ihm. «Ich bin aber auch der Meinung: Wenn ich an diesem Abend mein Taschenmesser nicht dabei gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am leben.»

Das Sackmesser, gibt der 23-Jährige vor Gericht an, habe er übrigens an diesem Abend dabei gehabt, weil er zuvor mit seiner Freundin zu Abend gegessen und sich damit ein Bier geöffnet habe.

Mutmassliches Opfer hat viele «kleine Filmrisse»

Die Freundin des Angeklagten war im Soho ebenfalls zugegen. Sie verbrachte zusammen mit dem Beschuldigten, ihrer Mutter, ihrer Cousine und dem Partner der Cousine den Abend im Club. Im Untergeschoss auf der Tanzfläche trafen sie erstmals auf das mutmassliche spätere Opfer, nennen wir ihn N.A.*, und dessen zwei Kollegen. Auf Videoaufnahmen aus dem Club ist zu sehen, wie N.A. und einer seiner Kollegen die Gruppe um den Angeklagten ansprechen. N.A. gibt vor Gericht zu, zu diesem Zeitpunkt schon einiges getrunken zu haben und sich «nicht mehr an viel erinnern» zu können. Die Bilder der Überwachungskamera, die im Gerichtssaal abgespielt werden, zeigen, wie der Kumpel von N.A. die Freundin des Angeklagten anspricht und ihr mit einer Geste anzeigt, sie solle doch mal lächeln. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage schreibt, herrscht bei der Gruppe des Angeklagten eine von aussen wahrnehmbare ernste Stimmung.

Auch den Angeklagten spricht der Kollege von N.A. direkt an. Laut Anklage sagt er ihm, er solle «ruhig bleiben» und dass sie «keinen Stress» wollten. Er solle doch einmal lächeln. Der Angeklagte sagt vor Gericht aus, der Mann habe ihn zudem gefragt, ob ihm seine Freundin nicht ausreichen würde, «um Spass zu haben».

N.A. selbst scheint auf den Videoaufnahmen gut gelaunt. Er bittet die Mutter der Freundin des Angeklagten zum Tanz auf, diese lässt sich kurz darauf ein. Wohl habe sie sich aber nicht gefühlt und dies nur aus Respekt getan, sagt sie als Zeugin vor Gericht. Auch die Freundin des Angeklagten gibt vor Gericht zu Protokoll, dass sich die drei Männer in ihre Gruppe gedrängt hätten. «Sie traten respektlos und provozierend auf.» N.A. will von alledem nicht mehr viel wissen. «Ich habe immer wieder kleine Filmrisse.» Er und seine Freunde hätten aber keinen Streit gesucht, sondern seien vielmehr ob der Musik gut gelaunt gewesen.

Was passierte draussen vor dem Club?

Die Fünferkammer des Strafgerichts muss im mehrtägigen Prozess unter anderem der Frage nachgehen, was zwischen dem Tanz von N.A. mit der Mutter und dem Streit passierte, der knapp drei Minuten danach zwischen ihm und dem Angeklagten ausbrach. Laut Aussagen des Beschuldigten und seiner Freundin lehnte N.A. sich an deren Arm. Die Videobilder zeigen, dass der Angeklagte das mutmassliche Opfer schubst und dieses dann seine Jacke auszieht und den Angeklagten angehen will. Die Securitas verhindern vorerst Schlimmeres.

Auch weiss das Gericht nicht sicher, was danach draussen in der Steinen alles vorgefallen ist. Es gibt zwar auch hier Bilder einer Überwachungskamera von der Bar auf der anderen Strassenseite. Diese zeigen aber nur Bruchstücke des Vorgefallenen.

Glaubwürdigkeiten abwägen

Umso mehr müssen Gerichtspräsident Dominik Kiener und die Kammer die Glaubwürdigkeit der Aussagen abwägen. Hat der Beschuldigte aus Notwehr gehandelt oder aus rasender Wut auf N.A. eingestochen? Wieso hat er ein Messer dabei? Von wem ging die Aggression aus? Und was löste den Streit aus?

Am Dienstag werden Staatsanwältin Sherilyn Kirchhofer und der amtliche Verteidiger des Angeklagten, Jonas Eggmann, ihre Plädoyers halten. Für den Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Im Falle einer Verurteilung drohen ihm über fünf Jahre Freiheitsstrafe. Er ist zudem wegen rechtswidriger Einreise und rechtswidrigen Aufenthalts in der Schweiz angeklagt.

Das Urteil des Strafgerichts wird am Donnerstag erwartet.

*Name der Redaktion bekannt

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