«Es ist nicht meine Aufgabe»: Widersprüche und angespannte Stimmung vor Gericht
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Strafgericht
Basel-Stadt

«Es ist nicht meine Aufgabe»: Widersprüche und angespannte Stimmung vor Gericht

25.10.2023 19:17 - update 25.10.2023 21:39
Lea Meister

Lea Meister

Vor knapp zehn Jahren verstarb eine Mutter nach der Geburt ihres siebten Kindes. Dieses kam mit schweren Gehirnschäden zur Welt. Am Mittwoch musste sich das Ärzteteam vor Gericht verantworten.

Alle Angeklagten, also der damalige Belegarzt, der Anästhesist und die Hebamme, waren am Mittwoch bei der Prozesseröffnung vor Ort. Sie sollen ihre ärztliche Sorgfaltspflicht massiv verletzt haben und sind deshalb wegen fahrlässiger Tötung und schwerer Körperverletzung angeklagt. Details zum genaueren Ablauf dieses Tages findest du hier:

Fast zehn Jahre lang mussten die Angehörigen auf den Prozessbeginn warten. Seit Jahren streiten sich die Verteidiger und die Staatsanwaltschaft darüber, welche Akten im Verfahren verwendet werden dürfen und welche nicht. Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage danach, ob es weitere Gutachten braucht. Das Appellationsgericht hat in diesem Fall bereits sieben Urteile gesprochen. Auch das Bundesgericht beschäftigte sich schon dreimal mit dem Fall.

Normalerweise beginnt ein Gerichtsprozess mit den Befragungen der Angeklagten zu ihren Personalien. Nicht so am besagten Mittwochmorgen. Alle drei Strafverteidiger brachten Anträge vor, die zuallererst vom Dreiergericht unter der Leitung von Gerichtspräsident Roland Strauss besprochen und beurteilt werden mussten. Der Prozessauftakt wurde zu einer Aktenschlacht, die aber teilweise auf plausiblen Ausführungen basierte.

Anästhesist zu spät beschuldigt

Christian von Wartburg, der Verteidiger des Anästhesisten, beklagte beispielsweise lautstark, dass sein Mandant erst drei Jahre nach dem besagten 1. März als beschuldigte Person eingestuft worden war. Der Belegarzt hingegen wurde bereits am 3. Juli 2014 als beschuldige Person einvernommen. Von Beginn weg sei aber klar gewesen, dass sein Mandant, der Anästhesist, Teil des Ärzteteams gewesen war. Anfang Juni 2016, also drei Jahre nach der tragischen Geburt, wurde dieser als Auskunftsperson vorgeladen. Von dieser wurde er zum Zeugen und anschliessend, drei Jahre nach dem eigentlichen Vorfall, dann zur beschuldigten Person.

Die wichtigsten eingereichten Anträge und die Antworten des Dreiergerichts

1) Yves Waldmann, der Verteidiger des Belegarztes, verlangte genauere Informationen darüber, welche Akten den medizinischen Gutachtern genau vorgelegt wurden.

Wie Gerichtspräsident Roland Strauss ausführte, sei in den Gutachten sehr wohl ersichtlich, auf welchen Akten diese basierten. Der Antrag wurde vom Gericht abgelehnt.

2) Weiter verlangte Waldmann, dass zwei Zürcher Rechtsmediziner, welche die drei medizinischen Gutachten fachlich studiert und zusammengefasst hatten, noch befragt werden müssten.

Auch hier beteuerte Gerichtspräsident Strauss, dass die Rechtsmediziner schon damals beim Studieren der drei Gutachten keine wesentlichen Erhebungen vorgenommen hätten und deshalb keine neuen Erkenntnisse möglich wären bei einer allfälligen Befragung. In den Akten befinde sich ein ausführlicher Obduktionsbericht, darüber hinaus könne nicht mehr viel Neues ausgeführt werden.

3) Auch sei ein Gutachten zu erstellen rund um den damaligen Zustand der Plazenta. Laut Strafverteidiger Waldmann, der sich auf die ihm vorliegenden Akten bezog, soll diese unterentwickelt gewesen sein.

Den Akten sei klar zu entnehmen, dass es keinen Hinweis darauf gegeben habe, dass eine Unterfunktion der Plazenta eine Entwicklungsstörung vor der Geburt bei der Tochter hätte entstehen lassen, so Gerichtspräsident Strauss. Das Kind sei normal entwickelt gewesen und Hinweise darauf, dass vor der Geburt etwas Ungewöhnliches beim Fötus vorgelegen habe, gebe es keine. Weitere Untersuchungen in diese Richtung würden also keinen Sinn ergeben.

4) Weiter verlangte Waldmann, dass ein gelisteter Zeuge, der heute noch im Bethesda-Spital als Anästhesieassistent arbeitet, nicht als Zeuge zu befragen sei, sondern als Auskunftsperson. Dies unter anderem aufgrund der Gefahr, dass er im Interesse seines Arbeitgebers handeln könnte.

Antrag stattgegeben. Strauss begründete dies mit der Tatsache, dass der gelistete Zeuge nach der Geburt auch vor Ort gewesen sei und somit rein theoretisch auch als Beschuldigter in Frage käme. Er sei deshalb als Auskunftsperson zu befragen, nicht als Zeuge.

5) Ebenfalls als Zeugin befragt werden soll laut Waldmann die zweite Hebamme, die am besagten 1. März im Einsatz stand und das Gedächtnisprotokoll verfasste, auf welchem die Anklageschrift basiert.

Auch diesem Antrag stimmte Strauss zu. Man werde versuchen, sie noch vorzuladen, was vor dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft am 3. November geschehen müsse.

6) Niklaus Andreas Ruckstuhl, der Verteidiger der Hebamme, stellte einen Antrag auf Klageabweisung für seine Mandantin. Sie sei damals nur aus prozesstaktischen gründen angeklagt worden, was rechtlich nicht vertretbar sei.

Die Überlegungen von Ruckstuhl seien nicht abwegig, so Strauss. Es sei aber so, dass die Strafprozessordnung die möglichen Gründe für eine Rückweisung an die Staatsanwaltschaft gerichtlich regle. Kein hinreichender Tatverdacht sei als Rückweisungsgrund nicht vorgesehen, weshalb diese nicht erfolgen könne und der Prozess auch weiterhin gegen sie geführt werde.

Weshalb ist das problematisch? Und weshalb verlangt ein Verteidiger, dass sein Mandant früher hätte beschuldigt werden müssen? Die drei Angeklagten werden im Prozess unter den gleichen Bedingungen behandelt, die Verteidiger haben Zugriff auf dieselben Akten und Informationen. Als von Wartburgs Mandant noch nicht als beschuldigt galt, war dem nicht so, was ihnen einen Nachteil verschaffte. «Ich werde kämpfen bis zum letzten Tag, dass das nicht sein kann in einem Rechtsstaat», beteuerte von Wartburg.

Strauss gab zu, dass das Gericht den Anästhesisten sehr viel früher hätte als beschuldigte Person mit einbeziehen müssen. Die heutige Situation sei das Ergebnis der «unbefriedigenden langjährigen Praxis des Kriminalkommissariats». Man hätte von Beginn weg von gemeinsamer Tatbegehung ausgehen und die Verfahren direkt zusammenführen sollen. Die Folge: Gewisse Beweise dürfen nicht zu Lasten des Anästhesisten verwendet werden. Welche das sind, bleibt aber zumindest an diesem Tag unklar, auch dem Verteidiger von Wartburg.

Medizinische Details in den Befragungen

In der Anklageschrift wird den Beschuldigten vorgeworfen, den Ernst der Lage zu spät erkannt zu haben. Sowohl die Hebamme wie auch der Gynäkologe sagten jedoch bei der Befragung, dass sie bei der gebärenden Mutter zunächst nichts Aussergewöhnliches festgestellt hatten. Später hätten sie bemerkt, dass sich das Baby trotz der Verabreichung des Wehenförderungsmittel Syntocinon nicht weiterbewegte.

«Es ist nicht meine Aufgabe.» Ein Satz, der an diesem Mittwoch regelmässig fiel. Der Belegarzt und der Anästhesist widersprachen sich in verschiedensten Punkten, die Stimmung war angespannt, man fiel sich ins Wort. Einer der wichtigsten Widersprüche: Der Anästhesist behauptete, den Geburtshelfer über die Kreislaufsituation der Mutter informiert zu haben, dieser wiederum stritt dies vehement ab.

Während der Reanimation des Neugeborenen sei es sehr hektisch geworden, so der Anästhesist. Die Lage sei scheinbar unübersichtlich geworden, was man am Mittwochnachmittag auch im Gerichtssaal spürte. Inmitten zahlreicher medizinischer Fakten, die von beiden Seiten teilweise unterschiedlich ausgelegt wurden, kristallisierte sich eine Frage heraus: Stellt man sich die Situation in einem Gebärsaal völlig falsch vor? Oder ist es wirklich möglich, dass kein Wort gewechselt wird? Dies betont nämlich der Geburtshelfer mehrfach. Gut möglich, dass dies in der Praxis Normalität ist – schwer vorstellbar für Laien. Wie vieles an diesem ersten Prozesstag.

Zeit, medizinische Fakten und Widersprüche

Angehörige der verstorbenen Frau wohnten in Begleitung eines Opferanwalts dem Auftakt der Verhandlung bei. Dieser stellte gegen Ende des Prozesstages griffige und sehr direkte Fragen an den Geburtshelfer und fragte ihn gar fachliche Fakten ab, was dieser gar nicht goutierte und seine Aussage daraufhin kurzzeitig verweigerte. Kurz zuvor hatte er dem Staatsanwalt vorgeworfen, weniger Ahnung von Geburtshilfe zu haben «als ein Primarschüler».

Nach einem intensiven Prozessauftakt bleiben drei Dinge hängen: Die Tatsache, wie viel Zeit vergangen ist, bis dieser Prozess angesetzt werden konnte. Wie schwer es ist, einen solchen Fall als Laie zu beurteilen; und die Tatsache, dass zwei der Angeklagten sich in einigen Punkten vehement widersprechen.

Die Verhandlung ist auf zwölf Tage angesetzt. Nächste Woche werden die Plädoyers beginnen. Die Urteilseröffnung erfolgt voraussichtlich am 24. November. Für alle drei Personen gilt die Unschuldsvermutung.

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Kommentare

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26.10.2023 04:55

User

Ich will nichts schön reden es ist sicher tragisch was vorgefallen ist,aber in früherer Zeit sind sicher einige Frauen an Kindsbettfieber verstorben.Und wir wissen nicht viele es in drittwelt Ländern sind

A.M

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