Zwei Ärzte und eine Hebamme wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht
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Strafgericht
Basel-Stadt

Zwei Ärzte und eine Hebamme wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht

24.10.2023 19:02 - update 25.10.2023 06:26
Lea Meister

Lea Meister

Vor zehn Jahren verstarb eine Frau bei der Geburt ihres Kindes im Bethesda-Spital. Das Neugeborene erlitt schwere bleibende Gehirnschäden. Das Ärzteteam muss sich am Mittwoch vor Gericht verantworten.

Ihr siebtes Kind wollte sie Anfang März vor gut neun Jahren zur Welt bringen. Sie hätte eine Hausgeburt bevorzugt, wurde dann aber auf das Insistieren ihrer Hebamme hin doch ins Spital gebracht. Dort angekommen, wurde sie von der Ferienvertretung ihres Gynäkologen empfangen, der an diesem Tag als Belegarzt des Bethesda-Spitals tätig war. Mit ihm hatte sie einige Tage zuvor bereits eine Vorbesprechung.

Wie bei praktisch jeder Geburt wurde der schwangeren Frau das Wehenförderungsmittel Syntocinon verabreicht. Der Grund dafür war das Ausbleiben eines Geburtsfortschrittes über eine Stunde und 20 Minuten.

Alles, was darauf folgte, ist Inhalt des Gerichtsprozesses, der am 25. Oktober beginnt. Angeklagt ist das am damaligen Tag behandelnde Ärzteteam, bestehend aus dem Belegarzt, dem Anästhesisten und der Hebamme. Sie alle sind wegen fahrlässiger Tötung, fahrlässiger schwerer Körperverletzung (mehrfach) und womöglich auch unterlassener Nothilfe angeklagt. Unterdessen sind alle im Pensionsalter.

Ärzteteam kontrollierte die Lage des ungeborenen Kindes nicht

Das behandelnde Team ging vorschnell von einer Wehenschwäche aus, weshalb der Schwangeren auch das Syntocinon verabreicht worden war. Einer der wohl entscheidendsten Punkte ist, dass der Arzt die Lage des Fötus nicht kontrolliert haben soll. Dieser lag nämlich falsch im Unterleib der Mutter, weshalb von Beginn weg mit einer mechanisch erschwerten Geburt hätte gerechnet werden müssen.

Sowohl das Umlagern der Frau wie auch das Bereitlegen der später zum Einsatz kommenden Zange für eine Zangengeburt wären gemäss Anklageschrift im Vorhinein möglich gewesen. Mit einem Ultraschall und dem Ertasten des Kopfes hätten sowohl der Arzt wie auch die Hebamme die Lage des ungeborenen Kindes überprüfen können. Stattdessen wurde die Fehllage erst mit der Geburt festgestellt.

Anstelle des verabreichten Wehenförderungsmittels hätte wohl ein Wehenhemmer geholfen, um die Mutter umlagern und den Fötus drehen zu können. Auch ein Kaiserschnitt wäre laut Anklageschrift von Beginn weg eine Option gewesen.

Fötus erlitt schwere Gehirnschäden

Stattdessen sorgte das verabreichte Syntocinon vermutlich für den Uterusriss bei der Mutter, durch welchen der Fötus unterversorgt wurde und einen Blut- und Sauerstoffmangel erlitt. Die stark gesunkene Herzfrequenz des Fötus hätte den Arzt kurz vor 8 Uhr darauf bringen sollen, dass er zu wenig Sauerstoff bekommt. Laut Anklageschrift hätte er eine Zangengeburt einleiten müssen. Der Fötus bekam 28 Minuten lang keine oder keine ausreichende Sauerstoffzufuhr, kam um 8.23 Uhr leblos zur Welt und musste reanimiert werden.

Die Folgen davon sind irreversible schwere Gehirnschäden. Hätte man das Kind eine knappe Viertelstunde früher mit der Zange aus dem Unterleib der Mutter geholt, hätten diese Schäden laut Gutachten zu 80 Prozent vermieden werden können.

Nach der Geburt sollen die Ärzte das Kind zu spät intubiert haben, was die Hypoxie um weitere 12 Minuten verlängerte und somit die Gehirnschäden des Neugeborenen verschlimmerte. Als Hauptverantwortliche der Reanimation sollen die beiden Ärzte die «Abfolge der notwendigen Schritte in zeitlicher und tatsächlicher Hinsicht missachtet» und somit ihre ärztliche Sorgfaltspflicht verletzt haben.

Innere Blutungen bei der Mutter

Auch die Hebamme soll keine Abklärungen zu möglichen anderen Diagnosen bei der Mutter eingeleitet und trotz des Geburtsstillstandes nicht alle für eine problematische Geburt erforderlichen Instrumente und Geräte vorbereitet haben. Als Hebamme hätte sie schon bei der Geburtsvorbereitung Zeit dafür gehabt, die Lage des ungeborenen Kindes zu überprüfen. Ausserdem soll sie der Mutter ohne Rücksprache mit dem Arzt das Syntocinon verabreicht haben.

Der Uterusriss bei der Mutter sorgte für massive innere Blutungen, die unentdeckt blieben, da der immer wieder instabile Blutdruck für die Ärzte nicht Grund genug gewesen sein soll, weitere Abklärungen vorzunehmen. Laut der Anklageschrift sollen diese «Symptombekämpfung ohne Suche nach den Ursachen» betrieben haben. Eine gute Stunde nach der Geburt nähte der Arzt den Dammriss bei der Mutter, der Blutdruck war zu diesem Zeitpunkt noch immer instabil.

Nachdem die Frau insgesamt neun Mal Ephedrin zur Kreislaufstabilisierung erhalten hatte, sackte ihr Blutdruck weiter ab. 106 Minuten nach der Geburt realisierten die Ärzte, dass sich der Bauchraum nach dem Uterusriss mit Blut gefüllt hatte. Die Sanität brachte die Frau noch ins Universitätsspital. Kurz vor 11 Uhr verstarb die Mutter aber an Herzversagen aufgrund des hohen Blutverlustes.

Laut dem Gutachten wäre der Tod der Mutter ohne Weiteres vermeidbar gewesen, «wenn der Arzt die medizinische Sorgfaltspflicht eingehalten hätte». Stattdessen nähte er ihr den Dammriss, während sie innerlich verblutete. Eine Verlegung und Notoperation der Mutter eineinhalb Stunden früher hätte ihren Tod «mit allergrösster Wahrscheinlichkeit» verhindern können.

Sowohl die beiden Ärzte wie auch die Hebamme hätten als «vollständig ausgebildete Personen die immanente Lebensgefahr in der sich die Mutter befand anhand des kaum noch messbaren Blutdrucks erkennen müssen», so der Wortlaut in der Anklageschrift.

Kind langfristig pflegebedürftig

Das Kind wird dauerhaft motorisch und kognitiv schwer beeinträchtigt sein und langfristig pflegebedürftig bleiben. Im Prozess, der für 12 Tage angesetzt ist, tritt der Ehemann der bei der Geburt verstorbenen Mutter und somit der Vater des Kindes als Strafkläger auf. Auch die heute 9-jährige Tochter beteiligt sich am Strafverfahren und wird von ihrem Vater vertreten.

Neben der strafrechtlichen Aufarbeitung des Falles läuft auch eine zivilrechtliche Debatte. Der Anwalt der Opferfamilie führt einen Haftpflichtprozess gegen den Gynäkologen und das Bethesda-Spital. Dies bestätigte er im Frühjahr gegenüber der bz. Die Krankenkasse und die Invalidenversicherung versuchen gleichzeitig, Regress auf die Angeklagten zu nehmen, um die durch die Behinderungen des Mädchens entstandenen Kosten zu decken.

Der Fall verjährt am 1. März 2024, da die Verjährungsfrist bei fahrlässiger Tötung zehn Jahre beträgt. Für die Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung.

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