Diese Fragen stehen nach dem Urteil im Vergewaltigungsfall noch im Raum
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Basel-Stadt

Diese Fragen stehen nach dem Urteil im Vergewaltigungsfall noch im Raum

31.08.2023 19:33 - update 01.09.2023 08:04
Lea Meister

Lea Meister

Im Falle der Vergewaltigung im Veloparking unter dem Bahnhof SBB wurde am Donnerstag ein Urteil gesprochen. Einige Fragen bleiben noch offen. Wir sind ihnen nachgegangen.

Ende Dezember 2022 reiste der am Donnerstag verurteilte Sexualstraftäter in die Schweiz ein. Anfang Februar 2023 wurde er wegen Diebstahls, mehrfacher Hinderung einer Amtshandlung und sexueller Belästigung verurteilt. Er hatte im Januar einer Frau zweimal in den Intimbereich gegriffen. Da der Beschuldigte weder über eine Aufenthalts- noch eine Niederlassungsbewilligung verfügte, wurde er vom Gebiet des Kantons Basel-Stadt ausgegrenzt. Faktisch heisst das: Ein Betretungsverbot für das gesamte Kantonsgebiet.

Die brutale mehrfache Vergewaltigung in der öffentlichen Toilette des Veloparkings unter dem Bahnhof SBB spielte sich nur wenige Tage später ab. Zwölf, um genau zu sein, am 15. Februar. Nochmals drei Tage später, am 18. Februar, belästigte derselbe Mann eine Frau in Allschwil mitten auf der Strasse. Er tat dies so bestimmend und laut, dass Passanten auf die Geschehnisse aufmerksam wurden und schliesslich die Polizei alarmierten. Die Beamten trafen ein und nahmen den 35-Jährigen fest. In der Anklageschrift steht als Start des Freiheitsentzugs allerdings der 21. Februar um 01:26 Uhr, also wenige Tage später.

Baseljetzt hat mit Marc Graf, Direktor der Klinik für Forensik an der UPK in Basel, über die noch offenen Fragen gesprochen. Er äusserte sich jeweils nicht fallspezifisch, sondern grundsätzlich zu den einzelnen Fragen.

1) Was war zwischen dem 18. und 21. Februar?

Wo befand sich der Mann also zwischen dem 18. und dem 21. Februar? Auf Anfrage von Baseljetzt äussert sich Martin Schütz von der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt wie folgt: «Bei der vorläufigen Festnahme vom 18. Februar ging es nicht um die dieser Tage vor dem Basler Strafgericht verhandelte Straftat beim Basler Bahnhof.» Dass der 35-Jährige dafür als Tatverdächtiger in Frage kam, sei erst danach ermittelt worden. Entsprechend sei er daraufhin erneut verhaftet und für ihn Untersuchungshaft beantragt worden.

2) Kann es sein, dass ein Kanton nichts von einer Vorstrafe oder einem Kantonsverweis weiss?

Ist es also möglich, dass der Kanton Baselland im Moment der Festnahme gar nichts von der Vorstrafe und dem Kantonsverweis des 35-Jährigen wusste? Marc Graf sagt: «Ja, das ist leider möglich. Wir haben in der Schweiz aus zwei Gründen noch immer keine wirklich gut funktionierende elektronische Datenbank. Erstens wegen dem Föderalismus und zweitens aus Datenschutzgründen.» Man strebe schon lange an, dass die Polizei, die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und die Strafvollzugsbehörden mit der gleichen Software und den gleichen Datenbanken arbeiten. «Das ist heute überhaupt nicht der Fall.» Entsprechend könne es also immer wieder sein, dass dem einen Kanton die Informationen eines anderen Kantons fehlen. Ob dies im vorliegenden Fall der Fall war, lässt sich nicht beurteilen. Die Staatsanwaltschaft war für eine Nachfrage nicht mehr erreichbar.

3) Könnte das kantonale Bedrohungsmanagement hier Abhilfe schaffen?

Das kantonale Bedrohungsmanagement befindet sich in Basel-Stadt derzeit in der Pilotphase. Dieses könne in solch einem Fall aber kaum Abhilfe schaffen, wie Marc Graf sagt: «Das kantonale Bedrohungsmanagement adressiert Themen unterhalb der Schwelle der strafrechtlichen Relevanz. Sobald etwas an die Strafverfolgungsbehörden geht, ist das Bedrohungsmanagement nicht mehr involviert.» Mit dem Bedrohungsmanagement wolle man bewusst auf Drohungen im Bereich der häuslichen Gewalt, Schulen und Behörden fokussieren und dort entsprechende Risikoabwägungen vornehmen und den dafür nötigen Datenaustausch ermöglichen.

4) Wie sinnvoll ist ein Kantonsverweis?

Ein Kantonsverweis, wie er beim 35-jährigen verurteilten Vergewaltiger zu Beginn des Jahres ausgesprochen wurde, bringe faktisch eigentlich gar nichts, so Graf. «Solch eine Wegweisung hilft gar nichts. Da muss man individuell die Strafempfindlichkeit und -wirksamkeit abschätzen. Eine Wegweisung kann dann sinnvoll sein, wenn jemand diesbezüglich sehr empfindlich ist, oder die Straftat einen ganz engen Bezug zu einem spezifischen Ort hat, beispielsweise bei Delikten rund um Fussballgewalt oder in Stalking-Fällen.» Gerade bei Menschen mit einer anderen sozialkulturellen Verankerung, die in die Schweiz kämen, bringe solch eine Massnahme gar nichts.

5) Kann die Justiz in solchen Fällen überhaupt wirkungsvoll eingreifen?

Hier komme die Frage der Verhältnismässigkeit ins Spiel, so Graf. «Ohne bagatellisieren zu wollen, solange es um Fälle von sexueller Belästigung geht, kann nicht in jedem Fall ein psychiatrisches Gutachten erstellt werden, das ist absolut unmöglich, das würde unsere Strafverfolgung lahmlegen.» Entsprechend gebe es diesen Graubereich, der viel Risiko mit sich bringe, gleichzeitig aber auch Vorverurteilung verhindere.

6) Kann jemand ausgewiesen werden, der keine Papiere hat?

Der Vergewaltiger erhielt am Donnerstag eine Haftstrafe von gut sechseinhalb Jahren und einen darauffolgenden Landesverweis, der auch den Schengen-Raum umfasst. Allerdings hat der 35-Jährige keine Papiere, ist also sozusagen staatenlos. Kann man ihn dann überhaupt ausweisen? «Eine Ausweisung in ein anderes Land setzt voraus, dass man die Identität der Person hat und, dass das Herkunftsland Ersatzdokumente für die Person ausstellen kann. Erst wenn die Dokumente vorhanden sind, kann jemand freiwillig oder zwangsweise ausgeschafft werden», führt Graf aus. Kein Land nehme papierlose, verurteilte Straftäter aus. Die Chance sei also gross, dass der Verurteilte auch nach verbüsster Strafe als sogenannter Sans Papiers in der Schweiz bleibe. «Es handelt sich dabei um ein sehr grosses Problem, welches verschiedenste Bereiche betrifft», ergänzt Graf.

7) Wie häufig sind Fälle, in welchen Beschuldigte Hexerei als Grund für ihre Tat nennen?

Laut Marc Graf sei es nicht selten, dass «magisches Denken» gerade bei Tätern aus dem afrikanischen Raum verbreitet sei. Dies sei manchmal unheimlich schwierig abzugrenzen. Geht es «nur» um magisches Denken, könne von einem Menschen trotzdem erwartet werden, dass er weiss, dass man in der Schweiz kein Sexualdelikt begehen darf. Entsprechend werde ein Beschuldigter dann auch als voll schuldfähig beurteilt. Wenn es aus einer forensisch-psychiatrischen Begutachtung heraus aber Hinweise gebe, dass solch «magisches Denken» nur ein Element einer tieferliegenden schizophrenen Störung sei, müsse man nochmals genauer hinschauen, ob die Person zum Tatzeitpunkt vielleicht tatsächlich nicht schuldfähig gewesen sein könnte.

«Solche Fälle gibt es tatsächlich. Es sind aber wenige. Wir reden von einem Bereich von deutlich unter fünf Prozent der Sexualdelikte.» In wenigen Fällen entstehe beispielsweise eine Manie, aus welcher heraus ein Grössenwahn entstehen könne, der die jeweilige Person zu spezifischen Taten verleite.

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01.09.2023 15:47

mil1977

Das einzige was an diesen Asylbetrüger interessiert ist der Abschiebetermin.

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