Gut gemeint, aber… Flyer gegen sexuelle Belästigung sorgt in Frankreich für Wirbel
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Gut gemeint, aber… Flyer gegen sexuelle Belästigung sorgt in Frankreich für Wirbel

03.06.2023 08:17 - update 03.06.2023 08:34

Baseljetzt

Das französische Innenministerium hat der sexuellen Belästigung den Kampf angesagt und fünf Millionen Flyer mit Tipps für Frauen verteilt. Das kommt nicht nur gut an.

Dass die Polizei über fünf Millionen Flyer ausgerechnet mit an Frauen gerichteten Ratschlägen verteilt, stösst vielen sauer auf. Vielmehr müssten die Behörden die Täter, also die Männer, ins Visier nehmen, schimpfen Frauenorganisationen. Und auch die Empfehlung, Übergriffe und Belästigungen auf der Wache anzuzeigen, sorgte für Stirnrunzeln. Denn die Beamten dort seien vielfach im Umgang mit sexueller Gewalt gegen Frauen überhaupt nicht geschult, hiess es.

«Machen Sie Krach und alarmieren Sie Menschen um sich herum», wird belästigten Frauen auf dem Flyer geraten, der seit Dienstag in ganz Frankreich verteilt wird. «Suchen Sie Hilfe und bringen Sie sich an einem sicheren Ort in Schutz», heisst es weiter. Ausserdem führt ein QR-Code auf dem Flyer zu einer Website, über die Betroffene Vorfälle melden und rund um die Uhr mit Beamten zu dem Thema chatten können. Zeugen werden ermuntert, einzuschreiten, die Polizei zu rufen und sich um betroffene Frauen zu kümmern.

«Habe mich gefragt, ob das ein Witz ist»

«Ich habe mich gefragt, ob das nicht ein Witz ist», sagte die Präsidentin der Nationalen Union der Familien von Femiziden, Sandrine Bouchait, der Zeitung Le Parisien. «Man sagt uns, dass man zum Schutz von Frauen Flyer verteilen wird. Ich stelle mir vor, dass sie diese zusammenknüllen und auf ihre Angreifer werfen.» Ausserdem verlagere der Flyer die Verantwortung auf die Frau. «Man wird ihr sagen, dass das nicht passiert wäre, wenn sie dieses oder jenes nicht getan hätte.»

Die Organisation «Stopp Strassenbelästigung» führte an, dass viele Frauen keine Anzeige erstatten wollten, weil sie kein Vertrauen in die Polizei hätten. Frauen würden auf dem Kommissariat oft schlecht behandelt, was ihr Trauma noch verstärke. Zu dem Ergebnis war 2021 bereits die Frauenorganisation #NousToutes gekommen, die Frauen nach ihren Erfahrungen gefragt hatte beim Versuch, sexuelle Gewalt bei der Polizei anzuzeigen. Die meisten fühlten sich demnach nicht gut behandelt.

Auch Kritik in sozialen Medien

«Der Flyer richtet sich an Opfer und auch an Zeugen, was eine gute Sache ist, aber nicht an Täter», erklärte «Stopp Strassenbelästigung» weiter. «Wenn man aber davon ausgeht, dass der Flyer an alle verteilt wird, warum dann nicht auch eine Botschaft, die die Täter zur Verantwortung zieht?»

Auch in den sozialen Medien hagelte es Kritik. «Ich werde die komischen Typen, die mir abends folgen, wenn ich nach Hause gehe, mit den Flyern bewerfen», schrieb Nutzerin Alaskat auf Twitter. «Das ist ein grosser Witz», reagierte Collet. «Fangen Sie damit an, die Angreifer von Frauen und Kindern angemessen zu bestrafen.»

Schutz statt Flyer gefordert

Die Frauen wollten keine Flyer, sie wollten gehört und beschützt werden, schrieb eine andere Nutzerin. «Es ist klar, dass wir eine millionenschwere Kampagne brauchen, um zu lernen, dass man schreien und sich in Sicherheit bringen soll, wenn man angegriffen wird», schrieb Catherine. «Es ist erbärmlich und betrüblich. Geben Sie den Organisationen das Geld für echte und effektive Aktionen.»

Auch Innenminister Gérald Darmanin, der die Flyer-Kampagne ins Leben rief, wurde zur Zielscheibe von Kritik. Denn wegen mutmasslicher Vergewaltigung stand der Minister im Visier der Justiz, die Ermittlungen wurden aber eingestellt. (sda/mal)

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