«Ich musste mein Leben verteidigen. Es war mein Leben oder sein Leben»
©Bild: Keystone
Strafgericht
Basel-Stadt

«Ich musste mein Leben verteidigen. Es war mein Leben oder sein Leben»

16.04.2024 14:38 - update 16.04.2024 15:01
Lea Meister

Lea Meister

Gut ein Jahr ist es her, dass ein Mann vor dem Bahnhofseingang auf mehrere Menschen eingestochen haben soll. Der mutmassliche Täter soll dort mehr als einmal sein Unwesen getrieben haben. Am Dienstag wird der Fall am Strafgericht verhandelt.

Der 38-jährige Angeklagte soll Ende Mai 2023 mehrere Menschen mit einem Messer verletzt haben. Schon ein Jahr zuvor soll er zudem straffällig geworden sein, als er eine Frau unvermittelt mit einem Schlag ins Gesicht verletzt haben soll. Der mutmassliche Täter befindet sich seit knapp einem Jahr in Untersuchungshaft. Der Hauptanklagepunkt: Vorsätzliche versuchte Tötung.

Details zum Fall kannst du hier nachlesen:

Im Zentrum dieses Falles steht ein Messer mit einer Klingenlänge von 5,5 Zentimetern. Ein Messer in Form einer Pistole. Dass der Angeklagte damit ein männliches Opfer auf dem Centralbahnplatz verletzt hat, ist so gut wie erwiesen, da am Messer sowohl die DNA des mutmasslichen Täters wie auch diejenige des Opfers gefunden wurde.

Alles andere ist ziemlich schwammig, besonders der genaue Ablauf der Tat. Doch gehen wir zuerst einen Schritt zurück. Der Angeklagte ist vor rund 20 Jahren aus seinem Heimatland geflohen. Der Grund: Wegen seiner Sexualität wurde er dort verfolgt, misshandelt und musste gar mit dem Tod rechnen, wie er gegenüber Gerichtspräsident Roland Strauss erklärt. Er identifiziert sich seit seiner Kindheit als Frau und nimmt auch schon seit längerer Zeit Hormonpräparate zu sich. Für den 38-Jährigen ist es aber in Ordnung, als Mann angesprochen zu werden, in einer Einvernahme hat er dies gar so verlangt.

Die Schule besucht hat er nur insgesamt fünf Jahre. Ab seinem vierzehnten Lebensjahr hat er sich mit verschiedenen Jobs über Wasser gehalten, bis er dann als Volljähriger das Land verlassen hat und in die Schweiz gekommen ist mit der Hoffnung, hier Geld verdienen zu können.

«5’000 bis 10’000 Franken an einem Tag»

In Basel hat der 38-Jährige entsprechend Zeit verbracht, um Geld zu machen. Er habe rund um den Bahnhof herum Kunden getroffen und ihnen sexuelle Dienstleistungen angeboten. Im März 2022 war er bereits in eine Auseinandersetzung verwickelt. Eine Bekannte warf ihm vor, ihre Kopfhörer geklaut zu haben. Er soll sie daraufhin mit der flachen Hand geschlagen haben.

Er gibt zu, in Handgreiflichkeiten mit der besagten Frau geraten zu sein. Den Diebstahl der Kopfhörer bestreitet er aber vehement. «Was soll ich mit diesen billigen Kopfhörern? Ich kann an guten Tagen 5’000 bis 10’000 Franken verdienen», so der Angeklagte.

Streit in alkoholisiertem Zustand

Um Geld zu verdienen, hielt er sich auch am besagten 26. Mai 2023 in Mini-Jupe und hohen Schuhen am Bahnhof SBB auf. Ein Freier habe eine Flasche Vodka gekauft, die sie gemeinsam getrunken hätten. In ziemlich angetrunkenem Zustand kam es dann zur Auseinandersetzung, die Gegenstand dieses Verfahrens ist.

Der Angeklagte soll einen Streit mit einer Gruppe Menschen aus demselben Heimatland provoziert haben, indem er sich auf den Schoss eines Mannes gesetzt haben soll, der auf einer Bank sass. Dies sagte eine Zeugin in der Einvernahme aus. Der Mann auf der Bank soll den Angeklagten weggestossen und ihm gesagt haben, er solle sich entfernen. Der 38-Jährige sei daraufhin ausgeflippt und auf den Mann losgegangen. Eine Frau sei dazwischengegangen und dabei ebenfalls mit dem Messer, das die Form einer Pistole hatte, verletzt worden.

«Ich musste mein Leben verteidigen»

Die Darstellung der Ereignisse unterscheidet sich klar, je nachdem, wem man Glauben schenken will. Der Angeklagte sagt, die Zeugin sei viel zu weit weg gestanden, um das alles gesehen zu haben. Zudem sei die ganze Familie des Opfers vor Ort gewesen, wenn er den Mann proaktiv angegriffen hätte, wären ja «alle durchgedreht». Er habe sich akut bedroht gefühlt.

Auf den Schoss des Mannes habe er sich ganz sicher nicht gesetzt, weil er ja wisse, wie «hasserfüllt» viele seiner Landsleute auf seine sexuelle Orientierung reagieren würden. «Ich musste mein Leben verteidigen. Es war entweder mein Leben oder sein Leben», so der Beschuldigte und ergänzt: «Das sind Rassisten, irgendwann wäre es so oder so passiert. 30 Jahre diskriminiert zu werden ist sehr schmerzhaft.»

Das sagt die Staatsanwaltschaft

Das Messer in Form einer Pistole habe er am Vortag geschenkt bekommen, es schön gefunden und am besagten Tag in seinen BH gesteckt. Dort fand es die Polizei später am Abend auch, als er in der Elsässerstrasse auf der Flucht in Richtung Frankreich aufgegriffen wurde. Zu dieser Zeit wohnte er in der Wohnung eines Freiers in Saint-Louis.

Für Staatsanwalt Veio Zanolini ist klar: Der Angeklagte hat die Verletzungen der beiden Opfer klar in Kauf genommen. Die Einstichstellen am Bauch und am Oberarm und die Tiefe der Einstiche konnte er nicht genau kontrollieren, weshalb er es also vom Zufall abhängig machte, was genau passieren könnte. Er nahm das hohe Risiko einer tödlichen Verletzung in Kauf. «Es bedarf keiner besonderen Intelligenz, um zu erkennen, dass Stiche in Bauch und Brust zum Tod eines Menschen führen können», so Zanolini.

Aufgrund des alkoholisierten Zustands des mutmasslichen Täters (etwas mehr als 2 Promille) könne von einer leicht verminderten Zurechnungsfähigkeit ausgegangen werden. Dass er aber auf hohen Absätzen unterwegs gewesen sei, zeige, dass er sich noch relativ uneingeschränkt bewegen konnte.

Das sagt die Verteidigung

Der Verteidiger, Christoph Dumartheray, stellt indes die Frage nach der Verwertbarkeit der Beweismittel und meint damit spezifisch die Aussagen der einen Zeugin. Ihre Aussagen würden teilweise nur auf der Weitergabe anderer Aussagen beruhen, was sie unglaubwürdig mache. «Ich kann kein Essen herstellen aus Zutaten, die ich gar nicht habe», so Dumartheray. Staatsanwalt Zanolini widerspricht. Die Zeugin habe von Beginn weg gesagt, dass Teile ihrer Aussage auf Aussagen von Drittpersonen beruhten. Dies unterstütze ihre Glaubwürdigkeit sogar.

Ein eingeholtes Gutachten zeige, dass Dumartherays Mandant an diesem Tag geschlagen worden sei. Ausserdem habe das Opfer die ärztliche Versorgung der Wunden abgelehnt. «Lücken in Strafuntersuchungsakten darf man nicht mit Mutmassungen füllen», so Dumartheray. In einem Punkt sind sich Staatsanwalt und Verteidiger einig: Falls das Gericht zum Schluss kommt, dass der Angeklagte nicht aus Notwehr gehandelt hat, dann liege ein Eventualvorsatz vor.

Heisst: Der Angeklagte hat den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, also den Tod seines Gegenübers, als möglich erkannt und somit in Kauf genommen.

Das fordert die Staatsanwaltschaft

Folglich fordert die Staatsanwaltschaft einen Schuldspruch und eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren unter Anrechnung der bereits verbüssten Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Zudem fordert Zanoloni eine Busse von 700 Franken. Der Beschuldigte sei zudem für zehn Jahre aus der Schweiz zu verweisen.

Der Verteidiger des 38-Jährigen fordert einen kostenlosen Freispruch in den Anklagepunkten der versuchten vorsätzlichen Tötung, der schweren Körperverletzung und der Tätlichkeit. Bei einem allfälligen Schuldspruch müsse unbedingt mit einfliessen, dass sein Mandant aus Notwehr gehandelt habe.

Der Angeklagte gibt zum Schluss zu Protokoll, dass es ihm leid tue, was passiert sei. «Ich musste aber mein Leben schützen.» Wirklich Reue gezeigt hat der Angeklagte in der Zeit seit der Tat und am Prozesstag aber nicht, was auch der Staatsanwalt in seinem Plädoyer noch betonte.

Das Urteil wird am Mittwoch um 14 Uhr erwartet.

Feedback für die Redaktion

Hat dir dieser Artikel gefallen?

Kommentare

Dein Kommentar

Mit dem Absenden dieses Formulars erkläre ich mich mit der zweckgebundenen Speicherung der angegebenen Daten einverstanden. Datenschutzerklärung und Widerrufshinweise

16.04.2024 17:20

XxX84

Es ist nicht zu fassen! Ich könnte kotz**.

1 1
17.04.2024 05:08

Julibo

Sie wissen natürlich ganz genau, was wie passiert ist. Wow. Glückwunsch. Darf man daran erinnern, dass die Schweiz ein Rechtsstaat ist bzw sein sollte und Kotzen demnach erst nach gesprochenem Urteil angemessen wäre? Oder sind für Sie Gerichte nur eine Formsache? Und diesem Fall empfehle ich Ihnen, in ein Land auszuwandern, das besser zu Ihnen passt.

2 0

Kommentare lesen?

Um Kommentare lesen zu können, melde dich bitte an.