
Long-Covid-Betroffene: «Das Schlimmste ist eigentlich, dass man oft will und nicht kann»
Stefan Zischler
Die Corona-Pandemie ist zwar vorbei, aber ihre Folgen sind noch heute spürbar. Rund 300’000 bis 450’000 Menschen sind schweizweit von Long Covid betroffen. Auch bei der IV nehmen die Fälle von Long Covid zu.
Laut einer vom Bund in Auftrag gegebenen Studie machen Long-Covid-Fälle fast zwei Prozent der Neuanträge auf Invalidenversicherung aus.
«Sachen wie Geschirrspüler ausräumen sind sehr anstrengend, weil es für mich sehr schwierige Bewegungen sind. Die Arme schmerzen sehr schnell und länger stehen ist auch sehr anstrengend», erzählt uns die 28-jährige Fabienne Merz in ihrer Wohnung. Seit Herbst 2022 hat sie mit den Folgen der Covid-Infektion zu kämpfen, obwohl sie mehrfach geimpft wurde. Schon seit Jahren leidet sie schon an einem chronischen Erschöpfungssyndrom.
Viele Pausen am Tag notwendig
Die Symptome kontrollieren ihren ganzen Alltag: «Das Schwierigste ist, dass der Tag nur sehr wenige Stunden zur Verfügung hat, in welchen ich etwas erledigen kann», erklärt sie uns ernüchternd. Auch fürs Essen vorbereiten bräuchte sie manchmal Unterstützung, erzählt sie. Sie muss sich während dem Tag viele Pausen einplanen, damit ihr die Energie nicht aus geht. «Das Schlimmste ist eigentlich, dass man oft will und nicht kann.»
Die Symptome der Long-Covid-Krankheit machen es Fabienne Merz schwer, ihr Psychologiestudium weiterzuführen und in Teilzeit als Eventmanagerin zu arbeiten. Deshalb hat sie sich bei der IV Basel-Stadt angemeldet. Geld bekommt sie aber keines. Die IV hat ihr Gesuch abgelehnt, weil bei ihr laut dem IV-Gutachten kein dauerhaftes Leiden vorliegt.
Merz ist der Ansicht, dass die Prüfer bei der Erstellung des Berichts nicht wirklich mit dem Krankheitsbild vertraut waren. Zudem kritisiert sie, dass das Gutachten der IV nur eine Momentaufnahme sei. Man könne am Tag des Gutachtens, sei es wegen Adrenalin oder etwas anderen, einen guten Tag erwischen und dadurch wird das Krankheitsbild nicht klar abgebildet. «Würden sie am Tag danach sehen, wie bettlägerig die Leute nach einem Crash wegen des Gutachten-Gesprächs sind, würde man die Krankheit endlich messen können.»
Fabienne Merz ist aber kein Einzelfall. In den Jahren 2022 und 2023 ist die Zahl der Long-Covid-Fälle bei der IV Basel-Stadt deutlich gestiegen. Für die IV-Geschäftsleiterin Katharina Büeler und ihr Team sei das keine leichte Aufgabe gewesen.
«Mittlerweile kennen wir das Krankheitsbild sehr genau»
Am Anfang sei unklar gewesen, was das Krankheitsbild Long-Covid alles mit sich zieht. Heute wisse man es aber sehr genau, erklärt Büeler. Typischerweise beinhaltet die Long-Covid-Diagnose drei Symptome, oft in Kombination. Die meisten Betroffenen leiden am Fatigue-Syndrom, also zeigen häufig Müdigkeits-Anzeichen und müssen oft Pausen einlegen. Weiter sind Herz-Kreislauf-Beschwerden und neurokognitive Störungen bei Long-Covid-Erkrankten zu beobachten. Zu neurokognitiven Störungen zählen Einschränkungen in den Bereichen Aufmerksamkeit, Lernen, Gedächtnis und Sprache.
Mit den neuen medizinischen Erkenntnissen würden die Abklärungen nun einfacher ablaufen, meint die Geschäftsleiterin der IV Basel-Stadt. Das oberste Ziel bleibe, den Arbeitsplatz für die Betroffenen zu sichern. Dieser Prozess hat sich auch bei den Long-Covid-Patienten bewährt. Knapp zwei Drittel der IV-Long-Covid-Fälle melden nach den ersten zwei Jahren der Anmeldung eine Verbesserung ihrer Arbeitsfähigkeit. Umso wichtiger sei es, den Integrationsprozess sorgfältig zu begleiten und Rückfälle zu verhindern.
Für sie ist es wichtig zu erwähnen, dass Personen sich so schnell wie möglich bei der IV melden. Sobald die Krankheit auch schon wenige Monate die Arbeitsfähigkeit so einschränkt, dass der Beruf nicht mehr ausführbar wird.
IV: Gesuche sind rückläufig
Aufgrund der langen Abklärungszeit rechnet Katharina Büeler trotzdem damit, dass sich die Bezüge der IV-Rente noch weiter erhöhen werden. Erfreut zeigt sie sich jedoch, dass die Zahl der Gesuche für Long-Covid-Fälle in Basel im vergangenen Jahr um bis zu 40 Prozent gesunken ist. Im vergangenen Jahr gingen 49 Anmeldungen ein. Die meisten Fälle seien mittlerweile aufgefangen, sagt Bühler. Ungewiss sei jedoch, wie stark sich die Long-Covid-Welle langfristig auswirken wird.
Für die IV angemeldet hätten sich Personen aus allen Altersgruppen, wobei zwei Drittel der Betroffenen Frauen waren. An Long-Covid sind sowohl chronisch Kranke als auch gesunde Menschen erkrankt, wie aus der Studie des Bundes hervorgeht.
Ein erheblicher Teil der Betroffenen blieb jedoch vollständig arbeitsunfähig. Dabei handelte es sich vor allem um ältere Menschen und Patienten mit mehrfachen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. «Verbesserungen treten entweder rasch oder aber kaum mehr ein», schrieb das Bundesamt für Sozialversicherungen dazu.
Was die IV-Anträge erschwert ist, dass nicht alle Menschen, die sich melden, eine ärztliche Long-Covid-Diagnose haben. Hinzu kommt, dass sich die Symptome bei Angemeldeten verändern können, weshalb es auch dazu kommen kann, dass Eingliederungsmassnahmen gewährt werden, aber keine Rente.
«Ich akzeptiere, dass ich eventuell nie wieder gesund werde»
Wie die Zukunft für Fabienne Merz aussieht, ist noch unklar. Sie hofft, bald wieder ein «normales Leben» führen zu können. «Ich versuche mich die ganze Zeit so zu sehen, als wäre ich wieder gesund und gleichzeitig akzeptiere ich, dass es auch sein kann, dass dies nie wieder so sein wird.»
Die Hoffnung hat sie noch nicht aufgegeben. Sie hat gegen den Entscheid der IV Einspruch erhoben. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
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JoJo21
Danke für diese Berichterstattung. Es hilft Betroffenen sehr wenn dieses Thema immer wieder durch die Medien geht. Denn das IV Verfahren ist hart und nur sehr wenige erhalten eine Teilrente. Betroffene werden auch von Long Covid Sprechstunden abgewimmelt, so passiert beim Rehab Basel.
Sonnenliebe
Es ist sehr schwierig, doch muss man dran bleiben und die Betroffenen ernst nehmen und ihnen helfen.