«Manchmal ist es schwierig, sich den ganzen Tag lang nur mit Fussball zu beschäftigen»
©Bild: Lea meister
Marwin Hitz
FCB

«Manchmal ist es schwierig, sich den ganzen Tag lang nur mit Fussball zu beschäftigen»

27.06.2023 05:24 - update 29.06.2023 13:51
Lea Meister

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Marwin Hitz hat sich in der vergangenen Saison mehrfach sehr ehrlich in der Öffentlichkeit geäussert. Auch im Gespräch im Trainingslager zeigt er, weshalb er kommunikativ heraussticht.

Baseljetzt: Marwin Hitz, ist hier in Seefeld mehr los als am Tegernsee? Welche Unterschiede fallen Ihnen auf?

Marwin Hitz: Ich habe am Tegernsee geheiratet (lacht). Sportlich ist es hier in Seefeld etwas konzentrierter und es hat auffallend viele Hotels auf kleiner Fläche.

Wie nehmen Sie die Stimmung in der Mannschaft wahr?

Wenn viele Spieler noch fehlen, ist es immer schwierig, dies fundiert zu beurteilen. Nach dem Trainingslager trainieren wir ja dann in einer anderen Konstellation. Man merkt aber auf alle Fälle, dass ein neuer Trainer da ist und, dass viele sehr motiviert sind. Wir haben viele Junge dabei, die sich präsentieren möchten. Deshalb würde ich die Stimmung eigentlich als sehr positiv und energiegeladen bezeichnen.

Spüren Sie schon heraus, welche Rolle Sie unter dem neuen Trainer haben werden?

Ich lasse mir meine Rolle eigentlich nur bedingt vom Trainer vorgeben. Ich bin wie ich bin und versuche, immer zu helfen. Es ist jetzt sicher noch zu früh, um zu sagen, in welcher Rolle er mich dann sieht.

Sie haben lange Zeit in der Bundesliga gespielt – wie war dieser Wechsel, diese Umstellung für Sie?

Die Unterschiede waren in vielen Aspekten gross, ob organisatorisch oder fussballerisch. Das Niveau ist natürlich anders, fussballerisch befinden sich die beiden Ligen auf einem anderen Level. Das merkt man zum Teil im Training und vor allem auch an den Spielen.

War das zu Beginn schwierig?

Man muss vielleicht aufpassen, dass man nicht zu viel will und nur Dinge umsetzt, die der Mitspieler auch versteht und er entsprechend auch damit umgehen kann. Das ist nicht ganz so einfach. Es ist auch heute manchmal noch nicht so einfach, weil es einfach Situationen gibt, die ich gerne anders spielen würde. Ich glaube schon, dass wir uns hier noch verbessern können. Im Normalfall einfach nicht auf dem gleichen Level wie ich es aus der Bundesliga gekannt habe.

«Manchmal ist es schwierig, sich den ganzen Tag lang nur mit Fussball zu beschäftigen»
Marwin Hitz im Einsatz für Dortmund im Dezember 2018. Bild: Keystone

Machen diese Unterschiede es schwieriger, Bestleistungen abzurufen oder eher weniger schwierig?

Das ist abhängig vom Bereich. Im goalietechnischen Bereich ist es tendenziell einfacher, im fussballerischen Bereich ist es eher schwieriger.

Ein grosser Unterschied zwischen den Ligen sind auch die Schiedsrichterleistungen. Hier waren Sie mit Ihren öffentlich getätigten Aussagen medial ja sehr präsent. Würden Sie sich wieder im gleichen Stil schützend vor die Mannschaft stellen?

Es passieren immer Fehler. Da bin ich als Goalie nicht so weit vom Schiedsrichter entfernt. Auch wenn ich einen Fehler mache, wird dieser sofort bemerkt. Ein Goalie kann sich, genau so wie ein Schiedsrichter, nicht verstecken. Mir sind in diesem Dreivierteljahr einfach immer wieder Dinge aufgefallen, die in der Tendenz etwas zu oft gegen uns ausgefallen sind. Das Spiel, nach welchem ich mich entsprechend geäussert habe, hat diese Beobachtungen dann einfach nochmals stark gestützt. Ich wollte mit meinen Aussagen in keinster Weise davon ablenken, dass unsere Leistung oft nicht ausreichend war. Das habe ich auch oft genug gesagt.

Sie haben die Aussagen also nicht als Ausrede gemeint?

Nein, überhaupt nicht. Wir haben viele Punkte verschenkt. Wenn dann in solch einem Spiel solch ein Entscheid getroffen und auch noch so damit umgegangen wird im und nach dem Spiel, dann muss einfach etwas gesagt werden. Ich glaube, dass es angekommen ist und man sich auch entsprechende Gedanken gemacht hat. Dass es deswegen diesbezüglich kein perfektes Jahr wird ist aber auch klar. Fehlentscheide wird es immer geben und 50/50-Entscheide können immer gegen dich ausfallen.

Darum geht es Ihnen ja auch nicht, oder?

Nein, absolut nicht. Die Art und Weise und der Umgang miteinander waren für mich einfach nicht akzeptabel. Auch das Verstecken und dann eine Stunde später doch vor die Medien treten, nachdem man alles im Schiedsrichter-Kreis in Ruhe besprechen konnte, das entsprach einfach nicht dem, was ich erwarte. Ich hoffe, dass es eine gute Saison wird für alle. Ich bin jemand, der sich extrem über gute Schiedsrichterleistungen freut. In Genf oder zuhause gegen GC haben wir fehlerfreie Leistungen erlebt mit einer guten und völlig normalen Kommunikation.

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Marwin Hitz im Hinspiel gegen Florenz. Bild: Keystone

Sie hatten zu Beginn einen schweren Stand als Nachfolger des «Fan-Lieblings» Lindner. Wie war das für Sie?

Die Anfangszeit beim FCB war auf jeden Fall keine schöne Zeit. Wenn man von sich aus entscheidet, Borussia Dortmund zu verlassen und zu einem Schweizer Verein zu gehen, der gerade nicht so erfolgreich ist, und dann so empfangen wird, kommen schon gewisse Zweifel auf. Man fragt sich, ob es der richtige Entscheid war. Und auch für die Familie, für meine Kinder, war es natürlich eine grosse Umstellung. Ich habe mich dann auf meine Arbeit fokussiert und versucht, mein Bestes zu geben. Das hat Gott sei Dank in meiner Karriere bisher immer funktioniert. Den Rest kann ich nicht beeinflussen.

Wurde die Situation von aussen auch etwas befeuert?

Es gibt immer gewisse Stimmen, die in den Medien etwas mehr Einfluss haben. Ich bin froh, dass ich bisher eine ordentliche Karriere haben konnte, ohne zu versuchen, diese Stimmen zu beeinflussen. Im Endeffekt glaube ich, dass ich meine Leistung in einer schwierigen Saison mit zahlreichen Formationsveränderungen ziemlich schnell erbracht habe. Die Stimmen sind jetzt auch langsam verstummt, ich nehme das zumindest so wahr.

Haben Sie sich unwohl gefühlt?

Richtig wohl habe ich mich im Stadion lange nicht gefühlt. Das war ein Bauchgefühl. Wenn man beim Einlaufen Dinge zu Ohren bekommt, die eher unschön sind, dann ist das schon nicht einfach.

Das ist ungewöhnlich, im eigenen Stadion…

Genau. Es ist ungewöhnlich.

Mit Ihren Leistungen haben Sie sich unterdessen die Gunst der Fans erkämpft. Sind Sie unterdessen angekommen?

Ja, auf jeden Fall. Wir sind auch als Familie angekommen. Meine Kinder sind grosse FCB-Fans (lacht).

Vor allem gegen Ende der Saison sind Sie nach aussen hin zu einem Sprachrohr der Mannschaft geworden. Ist das eine Rolle, in welcher Sie sich wohl fühlen?

Eigentlich bin ich in der Öffentlichkeit ein sehr zurückhaltender Mensch. Wenn ich mich irgendwo in der Öffentlichkeit äussere, ist mir immer wichtig, dass sich niemand gestört fühlt. Wenn ich neu bin in einer Mannschaft, stehe ich unabhängig von meiner Erfahrung hinten an. Oft spricht man ja im Namen der Mannschaft, das tue ich dann, wenn es im Interesse aller Beteiligten ist. Ich stelle mich auch hin, wenn wir verlieren, und lasse jemand anderen «nach vorne», wenn wir gewinnen, damit habe ich gar kein Problem. Ein Sieg ist etwas Schönes, dann freue ich mich für die Mannschaft. Wenn wir verlieren, fühle ich mich ein Stück weit dafür verantwortlich. Es ist wichtig, dass sich auch die jungen Spieler äussern können, wenn sie einen Lauf haben. Wichtig finde ich, dass die Personen sich zu einem Thema äussern, deren Meinung im Zusammenhang auch wirklich interessiert und relevant ist.

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Hitz gegen YB Ende Oktober 2022. Bild: Keystone

Ihre reflektierte Art unterstützt es sicher, dass Sie in schwierigen Momenten vor die Medien geschickt werden… Ihre Kommunikationsfähigkeit ist auch kein selbstverständliches Talent im Fussballbusiness. Hilft Ihnen das auch dabei, die Jungen zu integrieren?

Wenn es um die Integration neuer Spieler geht, ist Fabian Frei besser, er nimmt alle mit ins Boot. Ich bin wirklich eher zurückhaltend und auch sehr selten laut. Ich versuche einfach immer wieder, ein Bisschen etwas mitgeben zu können. Die heutige Generation ist sehr speziell, nicht nur im Fussballgeschäft. Früher hat man weniger Ansprüche gestellt. Entsprechend muss man heute auch etwas anders vorgehen, wenn man Werte vermitteln möchte.

Inwiefern?

Man muss immer wieder am gleichen Punkt ansetzen, damit gewisse Dinge hängen bleiben, das bedingt, dass man sich selbst manchmal etwas verbiegen muss, um den Jungen etwas beibringen zu können. Wir Älteren probieren es aber stetig und ich glaube auch, dass wir als Mannschaft wirklich zusammengewachsen sind.

Haben Sie stark gespürt, dass sich der Verein zu Beginn der Saison in einer Negativspirale befunden hat?

Auf jeden Fall. Das ist schon nur aufgefallen, wenn man die Stimmung bei den Fans zu Beginn und zum Ende der Saison verglichen hat. Hier ist es besonders wichtig, dass wir daran anknüpfen und die Arbeit entsprechend weiterführen. Im Endeffekt gibt es für alle nichts Schöneres, als wenn dass Stadion fast voll ist. Dann ist ein Spiel auch wieder ein Event, welches man nicht missen will. Das muss eines unserer Ziele sein.

Sie kommen schon fast etwas ins Schwärmen…

Das Stadion und die Fans finde ich grossartig.

Was ist im Gesamtkonstrukt FC Basel denn verbesserungswürdig?

Vieles wurde wirklich schon verbessert. Jeder weiss jetzt beispielsweise, an wen er sich bei Fragen wenden muss. Das war zu Beginn nicht so klar, als wir noch keinen Sportchef hatten. Es gibt aber organisatorische Dinge, die man nicht mit dem Trainer besprechen will. Bei Heiko Vogel war dann eigentlich alles klar, von ihm hat man klare und ehrliche Antworten erhalten und er hat Verantwortung übernommen. In solch einem Konstrukt gibt es immer Menschen, die Verantwortung übernehmen müssen und das passiert jetzt wirklich gut. Ich glaube, dass wir als Gesamtkonstrukt auf dem richtigen Weg sind. Ich schätze es auch, dass unser Präsident ist, wie er ist, dass er mitfiebert und ein gewisses Risiko eingegangen ist. Ich finde es wirklich schön, wenn jemand so für eine Sache lebt.

«Manchmal ist es schwierig, sich den ganzen Tag lang nur mit Fussball zu beschäftigen»
Marwin Hitz und David Degen. Hitz scheint ihn als Präsidenten sehr zu schätzen. Bild: Keystone

Sie sind nicht mehr der Jüngste. Könnten Sie sich sogar vorstellen, Ihre Karriere in Basel zu beenden?

Ich setze mir eigentlich kein Enddatum, es ist im Endeffekt immer vom Körper und vom Kopf abhängig. Solange ich Lust darauf habe, Spiele zu gewinnen, werde ich es sicher versuchen. Wenn irgendwann jemand kommt und mir sagt, dass es nicht mehr reicht, bin ich sicher nicht einer, der sich dagegen wehrt. Natürlich befindet sich das Karriereende in absehbarer Zeit und das könnte ich mir in Basel schon vorstellen.

Brauchen Sie neben dem Fussball noch eine andere Herausforderung?

Manchmal ist es schwierig, sich den ganzen Tag lang nur mit Fussball zu beschäftigen. Wenn der Zeitpunkt kommt, dass ich aufhören sollte oder möchte, wünsche ich mir, keinen Stress und keinen Druck zu haben. Darauf bereite ich mich natürlich jetzt schon vor. Ich kann mir Stand jetzt nicht vorstellen, nach dem Karriereende direkt nur im Bereich Fussball zu arbeiten. Ich möchte irgendwann auch ein Wochenende in Ruhe mit meiner Familie erleben. Am Freitagabend möchte ich irgendwann sagen können «Hey, wir sehen uns am Montag wieder» (lacht). Ich könnte mir auch vorstellen, irgendwann nochmal etwas ganz Anderes zu machen und freue mich auf meine zweite Karriere.

Womit beschäftigt sich Marwin Hitz, wenn er nicht Fussball spielt?

Viel Zeit mit meiner Familie verbringen. Wenn ich bei meiner Familie bin telefoniere ich nicht und kümmere mich nicht um Bürokram, dann fokussiere ich mich auf die gemeinsame Zeit. Ich lese auch viel, interessiere mich für Wirtschaft und Märkte. Irgendwann würde ich auch gerne lernen, Tennis zu spielen. Bisher hatte ich drei Stunden, zu mehr komme ich momentan leider nicht. Tennis würde mir richtig Spass machen. Und in Fremdsprachen bin ich nicht der Beste, da würde etwas Auffrischung sicher auch nicht schaden (lacht).

Welche Sprache würden Sie denn gerne lernen?

Italienisch.

Brauchen Sie mentale Herausforderungen abseits des Fussballs? Fordert der Fussball Sie mental genug heraus?

Das ist unterschiedlich. Der Druck ist immer da. In einer normalen Woche brauche ich aber schon noch andere mentale Herausforderungen. Wenn man noch jung ist und versucht, die eigene Karriere zu lancieren, ist es sicher gut, nicht zu stark abgelenkt zu sein. Ich habe nebenher immer gerne noch andere Dinge gemacht, auch, weil man besser abschalten kann.

Müssen Sie noch jemandem etwas beweisen?

Ich halte nichts vom Satz «ich muss niemandem mehr etwas beweisen». Jeden Tag muss ich es aufs Neue mir selbst und meinem Trainer beweisen, das ist völlig unabhängig von meinem Alter und bleibt auch so. Die Herausforderung ist also immer noch da (lacht). Aber klar ist es auch schwierig, wenn du vor 80’000 Zuschauern gespielt hast und drei Monate später kommst du ins Cornaredo in Lugano, wo du vor 5’000 Fans spielst. Aber das haben wir ja in Basel zum Glück nicht.

Mit wem teilen Sie im Trainingslager das Zimmer?

(Lacht) Vor zehn Jahren habe ich gesagt, dass ich sehr gerne ein Einzelzimmer hätte. In Dortmund hatte sowieso jeder ein Einzelzimmer und in Augsburg habe ich entsprechend angefragt. Ich bin schon immer relativ früh ins Bett gegangen und seit ich Vater geworden bin, gehe ich noch früher schlafen. In einer normalen Woche im Winter ist es gut möglich, dass ich um 21 Uhr im Bett bin. Ausser, wir haben eine englische Woche. Ich stehe auch meist früh auf, lese Zeitungen und informiere mich über aktuelle Themen. Ich lese generell viel und gerne. Auch Geräusche können mich sehr stören, das ist eine Eigenschaft, die ich gerne nicht hätte. Gerade in einem Trainingslager brauche ich immer wieder Zeit für mich. Ich bin froh, dass ich ein Einzelzimmer habe (lacht).

Marwin Hitz und Fabian Frei beim Einwurftraining am Montagnachmittag im Trainingslager. Video: Lea Meister

Und wenn Sie mit jemandem ins Zimmer gehen müssten?

Dann würde ich aufhören (lacht laut). Also am meisten Zeit verbringe ich mit Fabi. Ich verstehe mich eigentlich mit allen super, aber ihn habe ich damals auch gefragt, wie es hier ist. Er ist eigentlich schuld daran, dass ich hier bin (lacht). Wir kennen uns aus der Nationalmannschaft.

Ist die Nationalmannschaft der Punkt, bei welchem Sie gerne mehr herausgeholt hätten?

Eigentlich nicht nur in der Nati. Ich bin mir Stand jetzt noch nicht sicher, ob ich das Maximum aus meiner Karriere rausgeholt habe. Dieses Urteil konnte ich noch nicht fällen. Für mich fehlt immer noch etwas, um wirklich richtig zufrieden sein zu können. Um einen Platz in der Nati habe ich lange gekämpft. Vor dem Turnier in Russland habe ich dann für mich entschieden, dass dieses Turnier für mich nicht in Frage kommt. Ich habe auch gemerkt, dass ich nicht weiterkomme, egal, was ich tue. Es war für mich aber immer eine Ehre, aufgeboten zu werden und mitgehen zu können. Ich musste mich einfach entscheiden, ob ich die Zeit nicht lieber mit meiner Familie nutzen wollte. Diese Phase möchte ich nicht missen.

Sie haben gesagt, für eine «super Karriere» fehle noch etwas Kleines. So etwas wie ein Conference-League-Titel?

Das wäre sicher etwas, ja (lacht). Zwei andere Titel würden dafür aber auch ausreichen. Dann könnte ich mein Urteil fällen.

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