
Mordvorwurf: 60-Jähriger bestreitet Tatvorsatz
Leonie Fricker
Ein 60-Jähriger soll im Juni 2020 seine Schwiegertochter in Pratteln ermordet haben. Der Angeklagte bestreitet den Tatvorsatz. Vielmehr habe er sich gewehrt.
Der nicht vorbestrafte Mann gab via Dolmetscherin an, dass seine Schwiegertochter ihn zuerst mit dem Messer angegriffen habe und er ihr dieses habe wegnehmen wollen. Es habe keinen Vorsatz gegeben, sie umzubringen, sagte der Kosovare. Er habe seine Schwiegertochter geliebt.
«Lieber hätte ich sterben sollen als sie», sagte der Angeklagte. Nachdem sie ihn mit dem Messer mehrmals verletzt habe, sei vor seinen Augen alles nur noch Schwarz gewesen. «Ich habe die Kontrolle verloren und es ist passiert, was passiert ist.» Er habe ihr Leben nicht absichtlich ausgelöscht.
Laut Anklageschrift der Baselbieter Staatsanwaltschaft ereignete sich die Tat am Vormittag des 20. Juni in Pratteln BL. Der Mann soll seine 24-jährige Schwiegertochter in seiner Wohnung mit zahlreichen Messerstichen umgebracht haben. Sie habe minutenlang geschrien und sei an einer durch die Stichverletzungen verursachten Luftembolie gestorben, heisst es in der Anklageschrift.
Tonaufnahmen der Tat
Die Schwiegertochter hatte das Gespräch mit dem Beschuldigten gesucht. Über das Gespräch und somit auch die Tat gibt es vom Opfer aufgezeichnete Tonaufnahmen.
Gemäss dem vorsitzenden Richter sagte die Schwiegertochter in den Aufnahmen unter anderem: «Es ist zu Ende, es ist zu Ende» und bat ihren Schwiegervater mehrmals darum, noch ein letztes Mal ihren damals knapp dreieinhalb Jahren alten Sohn sehen zu dürfen.
Dem Tötungsdelikt vorausgegangen waren laut Anklageschrift Differenzen mit der Schwiegertochter, die den Sohn des Angeklagten im Juli 2015 im Kosovo in einer Doppelhochzeit mit dessen Bruder geheiratet hatte. Wenige Monate später zog sie nach Pratteln und brachte im Oktober 2016 einen Sohn zur Welt.
Zuvor sei der Sohn des Beschuldigten mit einer anderen Frau verlobt gewesen, was die getötete Schwiegertochter nicht gewusst habe. Sie habe sich von der Familie hintergangen gefühlt.
Die Ehe sei von Schwierigkeiten geprägt gewesen, schreibt die Staatsanwaltschaft weiter. Immer wieder sei es zu Streitigkeiten und häuslicher Gewalt gekommen.
Immer noch Kontakt mit Sohn und Enkel
Der Beschuldigte gab vor Gericht an, mit seinem Sohn und seinem Enkel immer noch intensiven Kontakt zu pflegen. Sein inzwischen achtjähriger Enkel wisse, dass eine Auseinandersetzung zwischen ihm und dessen Mutter vorgefallen sei.
Zu seinem Sohn, der als Privatkläger involviert ist, aber der Verhandlung fernblieb, hat er gemäss eigenen Angaben immer noch ein «sehr gutes» Verhältnis.
Er wisse selber nicht, wieso und wie das Ganze passiert sei, sagte der Angeklagte. Er sei keine Person, die die eigene Familie zerstöre. «Ich bereue es sehr und bitte um Verzeihung», sagte er. Zudem sprach der 60-Jährige den Angehörigen seiner verstorbenen Schwiegertochter sein Beileid aus.
Ambivalente Aussagen
Die 24-jährige Frau wollte sich gemäss Anklageschrift von ihrem Ehemann trennen. Der Schwiegervater habe nach Wegen gesucht, um sie loszuwerden und im Falle einer Trennung seinen Enkel zu behalten. Der Beschuldigte bestritt dies vor Gericht vehement.
Der vorsitzende Richter wies den Angeklagten immer wieder auf Ungereimtheiten hin. So habe dieser bei der Festnahme gegenüber den Polizisten nicht von Notwehr gesprochen. Vielmehr habe er zu Protokoll gegeben, dass seine Schwiegertochter regelmässig schlecht über seine Familie gesprochen habe und er nun mehrfach auf sie eingestochen habe.
Gemäss einem Gutachter machte der Beschuldigte in den Einvernahmen ambivalente Aussagen. Seine Darstellungen seien einseitig und selektiv. In den Einvernahmen habe sich auch gezeigt, dass er von seiner Schwiegertochter sehr gekränkt und enttäuscht gewesen sei. Er blende unangenehme Themen einfach aus, sagte der Gutachter.
Verteidiger plädiert auf vorsätzliche Tötung
Die Staatsanwältin bezeichnete die Tat als Femizid und forderte für den Mann eine Freiheitsstrafe von 17 Jahren wegen Mordes und eine Landesverweisung von 15 Jahren. Der Beschuldigte sei zielgerecht vorgegangen, seine Aussagen seien widersprüchlich zur Aktenlage und reine Schutzbehauptung.
Er habe ein unerbitterliches Vorgehen an den Tag gelegt und seinem Enkel die Mutter weggenommen, sagte die Staatsanwältin. Die Anwältin der Schwester des Opfers machte eine Genugtuung von 10’000 Franken und knapp 800 Franken Schadenersatz geltend.
Der Verteidiger des Angeklagten forderte für seinen Mandanten eine Freiheitsstrafe von maximal neun Jahren wegen vorsätzlicher Tötung, von einem Landesverweis sei abzusehen. Die Anklageschrift stelle Wertungen und Mutmassungen als Tatsachen dar, sagte er. Überzeugende Beweise würden fehlen.
Dass die Schwiegertochter das Gespräch heimlich aufgenommen habe, würde zeigen, dass sie den Beschuldigten aus der Reserve habe locken wollen, sagte der Verteidiger.
Der 60-Jährige sitzt seit März 2022 im vorzeitigen Strafvollzug. Das Urteil soll am 16. Dezember verkündet werden. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Den Prozessverlauf kannst du im Ticker nachlesen:
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